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TerrorismusDeutschland

Islamisten in Deutschland: Wie gefährlich sind sie?

Marcel Fürstenau
12. Januar 2023

Die Festnahme zweier mutmaßlicher Terroristen schärft die Sinne für eine Gefahr, die nie gebannt war und Erinnerungen ans Weihnachtsmarkt-Attentat 2016 weckt.

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Ein Mann mit nacktem Oberkörper und einer Pelzjacke über den Schultern wird von zwei mit Schutzmasken ausgerüsteten Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos abgeführt.
Einer der beiden Terrorverdächtigen bei seiner Festnahme durch Polizisten eines Spezialeinsatzkommandos (SEK)Bild: WTVnews/dpa/picture alliance

Mit Cyanid und Rizin hätten zwei Männer "eine unbestimmte Anzahl von Personen" töten wollen, vermutet die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf. Zwar hat die Polizei bei den am 8. Januar 2023 in Castrop-Rauxel (Nordrhein-Westfalen) festgenommenen Männern keine Materialien zum Bau von Bomben gefunden. Dennoch bleiben die aus dem Iran stammenden Brüder im Alter von 32 und 25 Jahren in Untersuchungshaft. Die Ermittler gehen trotz erfolgloser Durchsuchungen von Wohnungen und Garagen weiter davon aus, dass sich die 2015 nach Deutschland gekommenen Terrorverdächtigen Cyanid und Rizin besorgen wollten.

Gefährliches Gift: Rizin

Der Fall ähnelt auf den ersten Blick einem weit fortgeschrittenen Terrorplan, der im Juni 2018 in Köln aufgedeckt wurde. Der Beschuldigte hatte große Mengen Rizin in seiner Wohnung gelagert. Er wurde zwei Jahre später zu zehn Jahren Haft verurteilt – wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.  

Ein von zwei Kollegen begleiteter Feuerwehrmann trägt eine verdächtige blaue Plastiktonne, die 2018 in der Wohnung eines Terrorverdächtigen gefunden wurde
Feuerwehrmänner transportieren eine verdächtige Tonne, die in der Wohnung des Terrorverdächtigen gefunden wurde Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Der folgenschwerste religiös motivierte Anschlag in Deutschland ereignete sich im Dezember 2016, als der Islamist Anis Amri mit einem Lastwagen in einen Berliner Weihnachtsmarkt raste. Bei dem Attentat starben zwölf Menschen. Die Gefahr weiterer Anschläge ist aus Sicht der deutschen Innenministerin Nancy Faeser nach wie vor groß: "Unsere Sicherheitsbehörden rechnen deshalb jederzeit mit Vorbereitungen für einen Anschlag." 

Verfassungsschutz warnt vor Einzeltätern

Fast wie eine Prophezeiung klingt im Rückblick das, was Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang im Juni 2022 sagte, als er seinen Jahresbericht vorstellte: "Die Lage wird insbesondere durch Kleingruppen und allein handelnde Täter dominiert, die durch Internet-Propaganda gewonnen und radikalisiert werden." In dieses Schema scheinen auch die jetzt verhafteten Männer zu passen.  

Innenministerin Nancy Faeser (rechts) und Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang halten gemeinsam den Verfassungsschutzbericht in ihren Händen
Innenministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang zeigen den Verfassungsschutzbericht Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Seit dem Jahr 2000 sind nach Angaben der Innenministerin in Deutschland 21 islamistische Anschläge verhindert worden. Ohne die Unterstützung ausländischer Geheimdienste, insbesondere aus den USA, wäre dieser Erfolg aber wohl kaum möglich gewesen. Zu dieser Einschätzung gelangt der Islamismus- und Terrorexperte Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer Auftragsstudie der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Der entscheidende Tipp kam aus den USA

Auch der Hinweis auf das vor wenigen Tagen festgenommene Brüderpaar stammte nach Angaben der Staatsanwaltschaft aus den USA. Langfristig sei es ein Risiko, weite Teile der deutschen Terrorismusbekämpfung an die USA "outzusourcen", hatte Guido Steinberg schon 2021 in seiner Studie gewarnt. Deutschland habe mit der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus seit 2001 große Schwierigkeiten, "die vor allem die Früherkennung von terroristischen Planungen durch menschliche und technische Quellen betreffen".

Dass die Zahl der Anschläge und Anschlagsplanungen nach dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin stark zurückgegangen ist, hält Guido Steinberg vor allem für eine Folge des Niedergangs der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) im Nahen Osten und einer verbesserten technischen Aufklärung der USA. Es liege "weniger an der Effektivität der weiterhin fragmentierten, lückenhaften und fehleranfälligen deutschen Terrorismusbekämpfung", heißt es in seiner Analyse.

Informationsaustausch im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum

Aufgrund der föderalen Struktur Deutschlands haben alle 16 Bundesländer eigene Polizei- und Verfassungsschutzämter, die sich lange Zeit untereinander kaum austauschten. Aber seit 2004 sitzen sie gemeinsam mit Vertretern von acht Sicherheitsbehörden des Bundes im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin an einem Tisch. Dadurch seien viele Abstimmungsprobleme beseitigt worden, lobt Guido Steinberg.

An zwei langen Tischreihen mit jeweils etwa 20 Plätzen sitzen sich Fachleute aus deutschen Sicherheitsbehörden gegenüber; unterhalb der Tische sowie an der Stirnseite und an der Wand befinden sich Monitore.
38 Behörden arbeiten im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) seit 2004 zusammenBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Dennoch sieht der Islamwissenschaftler und Terrorexperte weiteren Reformbedarf. Dass die Probleme grundsätzlicherer Art seien, habe der Fall Anis Amri gezeigt. Das zunächst zuständige Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen habe richtig erkannt, "dass es sich bei dem Tunesier um einen gefährlichen Terroristen handelte, und ihn dementsprechend überwacht".

Tödliche Fehler vor dem Breitscheidplatz-Attentat

Als er jedoch im Februar 2016 nach Berlin umzog und mit Drogen handelte, stufte ihn die Polizei der deutschen Hauptstadt als Kleinkriminellen und damit nicht mehr als gefährlich ein. "Seine Überwachung lief aus, so dass der Weg zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember geebnet war", schlussfolgert Guido Steinberg. Die Ergebnisse eines Sonderermittlers des Berliner Senats stützen diese Sicht auf die Umstände des Attentats und das staatliche Versagen.

Ein Fahndungsplakat vom 21. Dezember 2016 mit zwei unterschiedlichen Fotos des flüchtigen Attentäters Anis Amri. Auf dem einen Bild hat er dunkles, welliges Haar, auf dem anderen trägt er eine Kurzhaar-Frisur und eine rechteckige Brille.
Der später auf der Flucht in Italien erschossene Islamist Anis Amri hatte verschiedene GesichterBild: picture-alliance/dpa/Bundeskriminalamt

Danach blieb Deutschland zwar von ganz großen Anschlägen verschont, aber die Sicherheitsbehörden sind in ständiger Alarmbereitschaft. Islamisten verfolgten "unvermindert das Ziel, jede sich bietende Gelegenheit für einen terroristischen Anschlag zu nutzen", heißt es im aktuellen Bericht des Verfassungsschutzes.

Weniger Gefährder

Dass die Gefahr mitunter unterschätzt wird, liegt vielleicht auch an der stark rückläufigen Zahl sogenannter Gefährder. Solchen Leuten traut die Polizei im Extremfall Terroranschläge zu. 2018 registrierte die Polizei noch über 770 islamistische Gefährder, zwei Jahre später waren es noch knapp 630 und inzwischen sind es nur noch rund 530

"Die Anschläge, die es in den vergangenen Jahren in Deutschland gab, wurden allesamt durch Personen aus dem Spektrum der selbstradikalisierten Einzeltäter verübt", sagte Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang im Dezember in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die jetzt, wenige Wochen später, festgenommenen Terrorverdächten gehören womöglich zu diesem Personenkreis.

Terrorverdächtige müssen mit zehn Jahren Gefängnis rechnen

Sollten bei ihnen weiterhin keine Chemikalien für den Bau von Bomben gefunden werden, wäre aber vielleicht dennoch eine Anklage und Verurteilung möglich. Dafür müsste den jungen Männern im Laufe der Ermittlungen die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nachgewiesen werden. In diesem Fall müssten sie mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren rechnen.