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Politik

Iran räumt "unbeabsichtigten" Flugzeug-Abschuss ein

11. Januar 2020

Nach dem Flugzeugabsturz nahe Teheran hatte der Iran beharrlich behauptet, ein technischer Defekt sei die Ursache. Nun das Eingeständnis: Das Flugzeug wurde abgeschossen. Aus Versehen, wie es heißt.

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Iran Flugzeugabsturz Ukraine International Airlines | Wrackteile bei Teheran
Wrackteile des bei Teheran abgeschossenen ukrainischen Flugzeugs Bild: Reuters/Wana/N. Tabatabaee

Nach tagelangem Leugnen hat der Iran nun doch eingestanden, für den Absturz einer ukrainischen Passagiermaschine mit 176 Todesopfern verantwortlich zu sein. Das Militär habe das Flugzeug "unbeabsichtigt" abgeschossen, es handele sich um "menschliches Versagen", hieß es in einer Presseerklärung.

Kommunikationsdefekt soll schuld sein 

Die Iranischen Revolutionsgarden räumten die Schuld ein. Luftwaffenkommandeur General Amirali Hadschisadeh sagte, er übernehme "die volle Verantwortung". Ein Fehler im militärischen Kommunikationssystem habe zu dem fatalen Abschuss geführt. "Das Unglück ereignete sich nach einem Kommunikationsdefekt, was jedoch trotzdem keine Rechtfertigung und unverzeihlich ist", sagte Hadschisadeh. Er berichtete, am Tag des Unglücks seien alle Streitkräfte wegen der Drohungen der USA, 52 Ziele im Iran anzugreifen, in höchster Alarmbereitschaft gewesen. 

Flugzeug für Marschflugkörper gehalten

Die ukrainische Maschine wurde nach seinen Worten als potenzielle Gefahr eingestuft, man habe sie fälschlicherweise für einen Marschflugkörper im Anflug auf eine Militärbasis gehalten. Der zuständige Offizier wollte demnach der Zentrale die Gefahr melden, aber genau zu dem Zeitpunkt habe es einen Defekt im Kommunikationssystem gegeben.

Der Offizier hatte laut Hadschisadeh dann nur wenige Sekunden, um zu entscheiden, ob er eine Luftabwehrrakete abfeuert oder nicht. "Und leider tat er es, was dann zu dem Unglück führte", sagte der Kommandeur. Die Rakete sei dann neben der Maschine explodiert. Das Flugzeug sei noch eine kurze Strecke weitergeflogen, bevor es abgestürzt und beim Aufprall explodiert sei.

Irans Präsident Hassan Rohani bedauerte den Abschuss, versprach eine gründliche Untersuchung und erklärte: "Dieser unverzeihliche Vorfall muss juristisch konsequent verfolgt werden." Die Familien der Opfer müssten entschädigt werden. So etwas dürfe nie wieder passieren. In einer iranischen Pressemitteilung hieß es, der für den Abschuss Verantwortliche werde vor ein Militärgericht gestellt.

Außenminister Mohammed Dschawad Sarif wies den USA allerdings eine Teilschuld zu. Sie seien für die aufgeheizte Atmosphäre verantwortlich, die zu dem menschlichen Fehler geführt habe, twitterte Sarif.

Laut einem Bericht der halbstaatlichen Nachrichtenagentur Fars wurde der religiöse und politische Führer des Irans, Ajatollah Ali Chamenei, am Freitag über den versehentlichen Abschuss der Maschine informiert. Nach einem Treffen des Nationalen Sicherheitsrats habe er dann angeordnet, diese Information öffentlich zu machen.

Im Iran stieß das Einräumen des Abschusses nach tagelangem Leugnen jedweder Schuld auch auf Kritik. "Es ist eine nationale Tragödie. Die Art, wie sie gehandhabt wurde und mehr noch, wie Behörden das bekanntgegeben haben, ist noch tragischer", sagte der als moderat geltende Geistliche Ajatollah Ali Ansari nach einem Bericht der halboffiziellen Nachrichtenagentur ILNA. Viele Iraner fragten in sozialen Medien, warum der Flughafen Teherans nicht geschlossen worden sei, nachdem die iranische Armee zwei US-Stützpunkte im Irak mit Raketen beschossen hatte.

Trotz vermehrter Mutmaßungen unter anderem westlicher Regierungschefs in den vergangenen Tagen, dass das Flugzeug versehentlich von einer iranischen Rakete getroffen worden sein könnte, hatte Teheran dies zunächst kategorisch dementiert. Dort war bislang ausschließlich von einer technische Ursache die Rede.

Selenskyj fordert Entschuldigung und Entschädigung

Der ukrainsche Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte vom Iran eine Entschädigung für den Abschuss der Boeing. Zudem erwarte sein Land ein vollständiges Eingeständnis der Schuld, eine offizielle Entschuldigung sowie eine umfassende Untersuchung. "Der Morgen heute war nicht gut, aber zumindest brachte er die Wahrheit ans Licht", schrieb Selenskyj auf Facebook. 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (Foto: Getty Images/AFP/C. Platiau)
Der ukrainische Präsident Selenskyj: "Der Morgen heute war nicht gut, aber zumindest brachte er die Wahrheit ans Licht" Bild: Getty Images/AFP/C. Platiau

Auch Kanadas Premierminister Justin Trudeau forderte eine "komplette und sorgfältige Untersuchung" sowie entsprechende Konsequenzen für die Verantwortlichen. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Es war wichtig, dass der Iran diese Klarheit geschaffen hat. Nun sollte Teheran in der weiteren Aufarbeitung dieser schrecklichen Katastrophe die richtigen Konsequenzen ziehen und Vorkehrungen treffen, damit so etwas nicht wieder passieren kann."

Iranische und ukrainische Experten im Einsatz 

Am Freitag hatten die Ermittlungen zur Ursache der Katastrophe von Flug PS752 begonnen. Iranische und ukrainische Experten nahmen ihre Arbeit in einem Labor am Flughafen Mehrabad in der Hauptstadt Teheran auf. Ihr Ziel war die Auswertung der beiden schwer beschädigten Flugschreiber - des Flugdatenschreibers und des Aufzeichners der Geräusche in der Pilotenkanzel.

Die meisten Passagiere, die bei dem Absturz der Ukraine-Airlines-Maschine ums Leben kamen, waren Iraner oder iranisch-stämmige Kanadier, die über die Ukraine nach Kanada weiterreisen wollten. Wenige Stunden vor dem Abschuss hatten die iranischen Revolutionsgarden zwei Stützpunkte im Irak mit Raketen beschossen, die von amerikanischen Soldaten genutzt wurden. Der Angriff gilt als Vergeltung für die gezielte Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani durch eine US-Drohne am 3. Januar in der irakischen Hauptstadt Bagdad.

wo/se/jj (afp, dpa, ap, rtr)