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Politik

Die Ästhetik dschihadistischer Videos

14. November 2016

Terrororganisationen wie der "IS" setzen bei ihrer Propaganda auf Videos im Internet. Diese sind zum Teil sogar nach Art westlicher Unterhaltungskultur gehalten. Das macht sie für Jugendliche besonders verführerisch.

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Bildergalerie Islamismus in Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa

In einigen Videos sieht man den Schriftzug "Dschihad" - nachempfunden dem Design einer international bekannten Sportartikelfirma. Und der Slogan "Call of Dschihad" ist als Anspielung auf den Namen eines unter Teenagern sehr beliebten Videospiels: Immer öfter nehmen islamistische Propaganda und Parolen auf erfolgreiche Angebote aus der Unterhaltungsindustrie Bezug. Sie gleichen sich ihnen in der Schriftgestaltung formal an, übernehmen deren Charakteristika bis in kleinste Einzelheiten.

Auf diese Einzelheiten müsse man achten, sagt der Mainzer Filmwissenschaftler Bernd Zywietz. Nur dann verstehe man die Feinheiten vieler ins Netz gestellter islamistischer Videos. Diese enthielten vielerlei Anspielungen, die man nur dann erkenne, wenn man mit den ästhetischen Vorlagen bekannter Kinofilme und Videospiele vertraut sei. Denn auch die Dschihadisten bezögen sich auf die Populär-Kultur. Denn das erst verleihe ihrer über das Internet vertriebenen Propaganda jene nötige Attraktivität, um junge Menschen für die Sache der Gotteskrieger zu gewinnen.

Die Videos der jüngsten Generation zeichneten sich vor allem dadurch aus, dass sie sich weniger an den Intellekt als an das Gefühl des Publikums richteten. Ideologie spiele zwar weiterhin eine Rolle, wichtiger sei aber die ästhetische Aufmachung der Filme. "Die aufwendig und teuer produzierte Propaganda soll wirklich die Sinne ansprechen. Man kann durchaus von einer Ästhetik dieser Videos sprechen."

Ästhetik des Kinos

Diese folge auch in der Technik immer mehr den Vorlagen erfolgreicher Kinofilme, allen voran der Gestaltung von Actionfilmen. Szenen etwa, in denen Gotteskrieger gegen sogenannte "Ungläubige" kämpften, zeichneten sich oft durch den Einsatz schneller Schnitte oder einen Zeitlupeneffekt aus. Auch Farbgebung und Nachbearbeitung spielen eine große Rolle. Und noch etwas falle auf, sagt Bernd Zywietz: der Einsatz von Texten und Einblendungen am unteren Bildrand. "Durch ihren Einsatz unterscheidet sich die Anmutung solcher Videos kaum mehr von der, die man etwa vom Fernsehen, vor allem von Nachrichtensendungen, kennt."

Mit solchen Techniken soll der Eindruck von Seriosität erweckt werden. Die Botschaften der Dschihadisten suggerieren, dass sie denselben Anspruch auf Objektivität und Verlässlichkeit wie die großen Informationssender stellen. "Man legt es also nicht durchweg darauf an, spektakulär aufzutreten, sondern gibt sich durchaus auch einen seriösen Anstrich", so Zywietz.

Dschihad-Union in Selbstdarstellung
Selbstdarstellung einer islamistischen Gruppe im InternetBild: dpa - Bildfunk

Immer weniger intellektuelle Auseinandersetzung

Die Anmutung der Propaganda spielt mittlerweile zunehmend eine größere Rolle als der Inhalt. Dieser Trend, sagt Marwan Abou-Taam, Terrorismus-Experte des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz, habe sich über Jahre kontinuierlich entwickelt. "Wir beobachten, dass die ersten Vordenker islamistischer Organisationen - etwa Sayyid Qutb (Anm. der Redaktion: der 1966 hingerichtete Vordenker der ägyptischen Muslimbrüder) - Bücher und Pamphlete geschrieben haben. Sie haben sich geistig mit Inhalten auseinandergesetzt und versucht, ihren Standpunkt theologisch zu begründen."

Osama Bin Laden hingegen habe kaum geschrieben, sich dafür aber immer wieder mündlich geäußert. Seine Reden zielten weniger auf religiöse Argumente als darauf ab, dass Muslime Opfer seien und sich wehren müssten." Die derzeit mächtigste dschihadistische Organisation, der "Islamische Staat" (IS), veröffentliche hingegen kaum mehr längere Texte,sagt Abou-Taam. Stattdessen setze er auf Videos. "Und die sollen zeigen: Wir sind keine Opfer, sondern wir schreiben die Geschichte. Wir sind Sieger." Dieses Sieger-Narrativ mache den IS attraktiver. Ob dieser Diskurs aber langfristig überzeuge, sei inzwischen zweifelhaft, erklärt der Experte. "Denn zurzeit befindet sich der IS eben nicht mehr auf der Siegerspur."

Die Evidenz der Wirklichkeit

Ideologische Anliegen werden in vielen Videos auf eine meist drastische Bildersprache herunter gebrochen. Bilder von toten Kindern und vergewaltigten Frauen sollen etwa Beschützer-Instinkte wecken und die Betrachter dazu bewegen, nach Syrien aufzubrechen. "Sie sollen den Zuschauer fragen: Wo bist du? Du hast eine religiöse Pflicht, diese Menschen zu schützen." Andere Bilder sprechen hingegen die entgegengesetzte Regung an, nämlich Brutalität. Zu den drastischsten Veröffentlichungen gehören etwa Enthauptungsvideos. "Sie richten sich an Menschen, die eine solche Brutalität suchen, die Gewaltphantasien ausleben wollen. Und denen wird signalisiert, 'bei uns könnt Ihr das tun'."

Die Bilder des IS wirken auf die Zielgruppe. Ihnen etwas entgegenzusetzen, sei schwierig, sind sich Abou Taam und Bernd Zywietz einig. Daher sei es nötig, dass anerkannte muslimische Autoritäten sich gegen den IS und dessen Propaganda wendeten. Doch der IS müsse auch mit der Evidenz der Wirklichkeit rechnen: Denn wenn er die militärische Auseinandersetzung verliert, dann verliert er auch den Ruf der Unbesiegbarkeit. Und damit auch den der ideologischen Unfehlbarkeit.

Die Interviews mit Marwan Abou Taam und Bernd Zywietz fanden am Rande des von der Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB) ausgerichteten Forums "Propaganda, Prävention und politische Bildung" im November in Bonn statt.

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika