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Woher kommen die afrikanischen Flüchtlinge?

Jan Philipp Wilhelm, Hilke Fischer24. April 2016

Seit die Balkanroute dicht ist, wählen viele Migranten wieder die gefährliche Route von Nordafrika nach Italien. Auf diesem Weg kommen bislang vor allem afrikanische Flüchtlinge nach Europa. Was treibt sie in die Flucht?

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Schiff der italienischen Küstenwache mit 300 afrikanischen Flüchtlingen Foto: REUTERS/Alessandro Bianchi
Eine Gruppe von 300 afrikanischen Flüchtlingen an Bord eines Schiffes der italienischen KüstenwacheBild: Reuters/A. Bianchi

Mehr als eine Million Menschen sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR im vergangenen Jahr über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Mehr als 3700 haben die gefährliche Reise nicht überlebt oder werden vermisst. Für die ersten vier Monate 2016 zählt die Internationale Organisation für Migration (IOM) bislang knapp 180.000 Flüchtlinge, die in Italien, Griechenland, Zypern oder Spanien angekommen sind. Mehr als 1.200 sind ertrunken.

Infografik Flüchtlinge Mittelmeer 2016 Deutsch

Vor allem Migranten aus Afrika wählen die gefährliche Route von Nordafrika nach Italien. Fast 6000 Menschen sind allein vergangene Woche von Libyen aus nach Italien geflohen und es gibt Berichte, dass weitere 300.000 in dem nordafrikanischen Staat auf die Überfahrt warten.

Etwa drei Fünftel der Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr in Italien registriert wurden, stammen aus Eritrea, Nigeria, Somalia, Sudan, Gambia und dem Senegal.

Infografik Flüchtlinge Mittelmeer Italien 2015 Deutsch

1. Eritrea

In Eritrea herrscht seit der Unabhängigkeit von Äthiopien vor 22 Jahren Isayas Afewerki - als Staatsoberhaupt, Regierungschef, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Parlamentspräsident und Chef der einzigen zugelassenen Partei PFDJ. Seine Regierung betreibt eine Politik der Abschottung. In der europäischen Berichterstattung wird Eritrea deshalb auch das "Nordkorea Afrikas" genannt. Willkürliche Verhaftungen, Folter, Armut und Perspektivlosigkeit treiben die Menschen in die Flucht.

Oft sind die Flüchtlinge junge Männer, die dem Militärdienst entgehen wollen. 18 Monate dauert der offiziell, doch in der Praxis wird der Wehrdienst immer wieder unbefristet verlängert. Insgesamt waren laut UNHCR im Juni des vergangenen Jahres mehr als 380.000 Eritreer auf der Flucht - das sind mehr als sechs Prozent der Gesamtbevölkerung.

Der eritreische Präsident Isaias Afewerki. Foto: EPA/Olivier Hoslet
Führt sein Land mit harter Hand: Der eritreische Präsident Isayas AfewerkiBild: picture-alliance/dpa

2. Nigeria

Öl ist der Schmierstoff der nigerianischen Wirtschaft - seit die Weltmarktpreise für das schwarze Gold im Keller sind, steigen die Lebenshaltungskosten und die Arbeitslosigkeit. Tausende Nigerianer verlassen auf der Suche nach einer Perspektive und einem gesicherten Einkommen das Land.

Vor dem Sturz Muammar al-Gaddafis arbeiteten zahlreiche Nigerianer in Libyen. West- und zentralafrikanische Arbeitsmigranten stellen schon seit geraumer Zeit eine bedeutende Minderheit in dem nordafrikanischen Staat. Seit dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in weiten Teilen des Landes sehen sie sich häufig rassistischen Übergriffen, Verfolgung und Zwangsarbeit ausgesetzt. Die Flucht nach Europa erscheint vielen als einziger Ausweg. Auch der jüngste Anstieg der Flüchtlingszahlen aus anderen, vergleichsweise stabilen Herkunftsländern wie Ghana und der Elfenbeinküste hängt weitgehend mit den Problemen der Arbeitsmigranten in Libyen zusammen.

3. Somalia

Seit mehr als zwanzig Jahren hat das Land am Horn von Afrika keine funktionierende Zentralregierung. Der andauernde Bürgerkrieg, Hungersnöte und fehlende Perspektiven haben zahllose Somalis in die Flucht getrieben. Laut einer Schätzung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen UNDP aus dem Jahr 2009 lebten damals bereits 14 Prozent der somalischen Bevölkerung in der Diaspora. Das entspricht mehr als einer Million Menschen - Tendenz steigend.

Bis heute wird in vielen Teilen Somalias gekämpft. Vor allem die islamistische Al-Shabaab-Miliz terrorisiert die Bevölkerung, auch im Nachbarland Kenia hat die Gruppe in den vergangenen Jahren immer wieder Anschläge verübt. Trotz einiger militärischer Erfolge von Truppen der Afrikanischen Union und der regulären somalischen Streitkräfte hat Al-Shabaab Teile Somalias fest im Griff. Zwangsrekrutierungen und Menschenrechtsverletzungen durch die Islamisten sind laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die aktuell am häufigsten genannten Fluchtgründe.

Ein Kämpfer der islamistischen Al-Shabaab Miliz in Südsomalia. Foto: Mohamed Abdiwahab/AFP/Getty Images
Ein Kämpfer der islamistischen Al-Shabaab Miliz in SüdsomaliaBild: Getty Images/AFP/M. Abdiwahab

4. Gambia

Mit nur 1,8 Millionen Einwohnern ist Gambia eines der kleinsten Länder Afrikas. Dennoch zählten italienische Behörden 2015 mehr als 8500 gambische Flüchtlinge. Der Grund: Ähnlich wie in Eritrea herrscht mit Präsident Yaya Jammeh seit mehr als zwanzig Jahren ein Despot.

Laut einem UN-Bericht aus dem Jahr 2014 wird in Gambia Folter als übliches Mittel der Strafverfolgung eingesetzt, willkürliche Verhaftungen sind eine permanente Bedrohung für die Bevölkerung des Landes. Vor wenigen Tagen erst starb ein bekannter Regierungskritiker in Polizeigewahrsam.

Mehr als die Hälfte der Gambier lebt unterhalb der Armutsgrenze. Einziges nennenswertes Exportprodukt sind Erdnüsse, wirtschaftlich ist das Land auf Geldtransfers aus der Diaspora angewiesen. Vor allem junge Gambier machen sich auf die Flucht. Für die meisten von ihnen sind die Aussichten auf Asyl in Europa allerdings nicht besonders gut: In Deutschland etwa haben im vergangenen Jahr nicht einmal drei Prozent der Asylbewerber von dort einen Schutzstatus bekommen.

Yahya Jammeh, Präsident Gambias seit 1994. Foto: AP Photo/Sunday Alamba
Yahya Jammeh, Präsident Gambias seit 1994Bild: picture-alliance/AP/Sunday Alamba

5. Sudan

Die Regierung des Sudan führt seit Jahren in mehreren Teilen des Landes Krieg gegen verschiedene Rebellengruppen. So wird etwa in der Provinz Darfur seit 2003 ein Konflikt ausgetragen, der bis heute mehr als 300.000 Menschen das Leben gekostet hat. Übergriffe auf die Zivilbevölkerung und die Verfolgung ethnischer Minderheiten treiben die Menschen in die Flucht.

2015 kamen nach IOM-Angaben fast dreimal so viele Sudanesen in Italien an wie im Jahr zuvor. Auch dieser Anstieg ist zum Teil auf die desolate Situation in Libyen zurückzuführen, wo viele sudanesische Flüchtlinge schon vor Jahren Zuflucht gefunden hatten.

6. Senegal

Der Senegal gilt als afrikanisches Musterland: Der Präsident ist demokratisch gewählt, der Staat funktioniert, kaum jemand muss Hunger leiden. Fast zwei Drittel der Bevölkerung im Senegal sind noch keine 18 Jahre alt. Immer mehr junge Menschen drängen auf den Arbeitsmarkt - ihre beruflichen Perspektiven sind damit allerdings sehr begrenzt. Auf der Suche nach Arbeit und in der Hoffnung, ihre Familien unterstützen zu können, machen sich tausende junge Senegalesen auf den Weg nach Europa.

Flüchtlinge aus dem Senegal in einem Abschiebelager in Marokko. Foto: EPA/Chema Moya
Senegalesische Flüchtlinge in einem marokkanischen AbschiebelagerBild: picture-alliance/epa/C. Moya

Mangelndes Wissen und falsche Informationen über das Leben dort verstärken diese Dynamik. Inzwischen ist Migration für viele zu einem Modell des sozialen Aufstiegs geworden. Doch in Europa bleibt den senegalesischen Wirtschaftsflüchtlingen meist nur die Illegalität. In Deutschland gehört der Senegal seit 1993 zu den sogenannten "sicheren Herkunftsstaaten". Asylanträge haben damit nahezu keine Aussicht auf Erfolg.