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Himmel über Havanna

Astrid Prange17. September 2015

Vom Feind zum Freund: Angesichts des Papstbesuches durchlebt die katholische Kirche auf Kuba einen politischen Frühling. Doch auch sie muss sich auf Veränderungen einstellen, nicht nur die Regierung in Havanna.

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Altar mit Kreuz (Foto: Isaac Risco/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/I. Risco

Schon bevor Papst Franziskus am 19. September kubanischen Boden betritt, ist die Bilanz seiner Reise beeindruckend: Die Regierung will anlässlich seines Besuches 3522 Gefangene freilassen. Dies ist mehr, als bei den beiden vorherigen Papstbesuchen von Benedikt 2012 und Johannes Paul II. 1998 zusammen.

Damit nicht genug: Nach der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den ehemaligen Erzfeinden gibt es nun konkrete Anzeichen für eine "päpstliche Vermittlungsprämie": Laut vatikanischem Missionspressedienst Fides haben kubanische Behörden erstmals seit 1959 die Genehmigung für den Neubau einer Kirche in einem Stadtteil im Osten Havannas erteilt.

Der katholische Frühling verhindert jedoch nicht die Verfolgung von Regimekritikern. Am 10. September wurden in Santiago de Cuba rund 100 Aktivisten festgenommen, die im Wallfahrtszentrum von "El Cobre" einen Brief an Papst Franziskus niederlegen wollten. Drei Tage später erfolgte die Festsetzung von rund 40 Mitgliedern der Menschenrechtsgruppe "Damen in Weiß".

Massenbegnadigung und politische Unterdrückung - die Widersprüche gehören auf der kommunistischen Insel zum Alltag. Auch die katholische Kirche und ihre Mitglieder wurden jahrzehntelang verfolgt. Die Angst sitzt so tief, dass viele Gläubige immer noch offene Gespräche meiden.

Exodus der Gläubigen

"Im Jahr 1961 hat die Regierung die katholische Kirche zum Feind Nummer eins erklärt", erinnert sich die Gemeindemitarbeiterin Cecilia Silva (Name geändert) aus Havanna. "Nur durch die Vermischung von katholischen Heiligen mit afrokubanischen Gottheiten haben sich die kirchlichen Wallfahrtsorte am Leben gehalten", meint die engagierte Katholikin.

Rund 300.000 Katholiken und 30.000 Protestanten verließen nach der Revolution im Jahr 1959 die Insel. Zwei Jahre später waren nur noch 250 Priester und Ordensleute im Land. Alle kirchlichen Schulen und Krankenhäuser wurden verstaatlicht. Christen galten als Konterrevolutionäre.

Warten auf den Papstbesuch in Kuba (Foto: Denise Koch/dpa )
Jungfrau und Aphrodite - die Schutzpatronin Kubas wird von Katholiken und Anhängern afrikanischer Götter verehrtBild: picture-alliance/dpa

Doch die Kubaner ließen nicht von ihrem Glauben ab. Sie tauften heimlich ihre Kinder. Sie beteten ihre Heiligen an, die religiös kompatibel waren. Die Figur des Heiligen Lazarus zum Beispiel entspricht der afrikanischen Gottheit der Heilkunde, Babalú Ayé. Und die Jungfrau von Cobre, Kubas Schutzpatronin, wird auch als Aphrodite des afrokubanischen Götterhimmels verehrt.

Nach dem Mauerfall änderte Fidel Castro 1992 schließlich die Verfassung und veranlasste die Umwandlung Kubas von einem atheistischen in einen laizistischen Staat. Seitdem können Katholiken Mitglied der kommunistischen Partei werden und umgekehrt dürfen Kommunisten auch Katholiken sein.

2012 führte sein Bruder Raúl Castro im Zuge des Besuchs von Papst Benedikt Karfreitag als gesetzlichen Feiertag wieder ein. Die schrittweise Annäherung zwischen kommuistischen Altrevolutionären und katholischen Kirchenführern gipfelte schließlich in dem diplomatischen Coup von Papst Franziskus, der die Eiszeit zwischen Havanna und Washington beendete.

Konkurrenz für die Katholiken

Die Annäherung an die USA könnte allerdings auch dazu führen, dass amerikanische Kirchengemeinden künftig ihre Glaubensbrüder- und schwestern auf der Insel verstärkt unterstützen. Protestanten und Pfingstler sind zurzeit eine kleine Minderheit. Auf Kubas "religiösem Markt" bedeutet dies eine Konkurrenz für die dominante katholische Kirche.

"Die Ruhe ist vorbei, auf Kuba könnte es zu einer religiösen Lateinamerikanisierung kommen", prognostiziert Christoph Anders, Direktor des Evangelischen Missionswerks in Deutschland (EMW) und dort Leiter des Lateinamerika-Referates. Wie im Rest der Region könnten auch auf Kuba Pfingstkirchen einen evangelikalen Boom auslösen.

Ob Papst Johannes Paul II. diese Auswirkungen vorhergesehen hat, als er am 21. Januar 1998 bei seiner Ankunft auf Kuba jenen historischen Satz aussprach, der zum geflügelten Wort des Wandels wurde? "Möge Kuba sich der Welt öffnen, und die Welt sich öffnen für Kuba" - diese päpstliche Hoffnung hat sich erfüllt.

Messe in Havanna (Foto: AP Photo/Javier Galeano)
Ohne Gott geht es nicht - auch über 50 Jahre nach der Revolution haben sich die Kubaner ihre Religiösität bewahrtBild: AP

Mit der wachsenden Religionsfreiheit verbinden viele Kubaner mittlerweile auch die Hoffnung auf eine weitere politische Öffnung und Meinungsfreiheit. Die digitale Zeitschrift "Convivencia", gegründet 2008 von dem katholischen Intellektuellen Dagoberto Valdés Hernández, sieht in der Kirche eine Wegbereiterin des Wandels.

"Die echte Religionsfreiheit beschränkt sich nicht darauf, Gottesdienste abzuhalten", heißt es im Leitartikel von "Convivencia". "Die Kirche muss Zugang zu den sozialen Medien haben und sich politisch und sozial engagieren können, um die katholische Soziallehre umzusetzen. Sie ist Vermittlerin und Hoffnungsträgerin auf dem Weg zum Rechtsstaat".