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Gesellschaft

Heidelberg: Medien nennen falschen Attentäter

24. Januar 2022

Ein Twitter-Account nennt den Namen des angeblichen Attentäters von Heidelberg und verbreitet dazu Fotos und Videos. Medienportale übernehmen den Namen ungeprüft - und sitzen dabei einer Falschinformation auf.

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Deutschland Heidelberg | Amoklauf auf Uni-Campus
Großeinsatz der Polizei in Heidelberg: Der Amokläufer ist tot, die Ermittlungen dauern anBild: Daniel Roland/AFP/Getty Images

Auf dem Gelände der Universität Heidelberg kam es am Montag zu einem bewaffneten Amoklauf. Eine Frau wurde getötet, drei weitere Personen wurden verletzt. Nur Minuten nach der ersten Eilmeldung wurde auf Twitter bereits ein angeblicher Täter präsentiert: Um 13:44 Uhr vermeldete die Deutsche Presse-Agentur (dpa) als erste Nachrichtenagentur, dass es auf dem Gelände der Heidelberger Universität zu einem Großeinsatz kam. Um 13:49 wusste der anonyme Twitter-Account "DerguteUser" bereits, wer angeblich hinter der Tat steckt - obwohl bis dahin weder bekannt war, was genau passiert war, geschweige denn, wer verantwortlich für die Tat war. 

Unbeteiligter Schauspieler wird zum vermeintlichen Attentäter

"Der Täter wurde als der 23-jährige Tobias L. (Name von der Redaktion anonymisiert) identifiziert", schrieb der Nutzer und lieferte auch gleich noch ein Tatmotiv: "Als Motivation für seine Tat gab er an, dass er als radikaler Veganer das Leid der Tiere rächen wollte, aber auch eine starke Abneigung gegenüber Studenten besäße." Der Account wurde inzwischen gelöscht, der Tweet über den angeblichen Attentäter ist jedoch archiviert. Das verwendete Foto stammt aus dem Instagram-Kanal von L. und zeigt ihn nach eigenen Angaben mit einer Waffe bei Dreharbeiten für eine Youtube-Serie. L. ist Schauspieler und Buchautor. Auf einem weiteren Instagram-Kanal präsentiert er sich als veganer Ernährungsberater. Auf Twitter wurden im Laufe des Montags weitere Fotos, Informationen und ein angebliches "Abschiedsvideo" des vermeintlichen Attentäters veröffentlicht - offenbar ebenfalls übernommen aus Social-Media-Auftritten von L.

Deutschland Heidelberg | Amoklauf auf Uni-Campus
Während die Polizei in Heidelberg noch ermittelt, wird auf Twitter wild über den Täter spekuliertBild: Pr-Video|R.Priebe/dpa/picture alliance

Die verdächtig schnell präsentierten Informationen entpuppten sich schnell als Falschnachrichten, dennoch wurden sie von Nutzern geteilt und auch von Nachrichtenportalen als reale Meldungen verkauft: So schrieb etwa "Radio Sarajevo" über den Heidelberg-Amoklauf, dass der "23-jährige  Tobias L. das Feuer eröffnete". Und "Tikleak" veröffentlichte neben dem Namen sogar die angebliche Motivation des Täters. Solche Nachrichten-Übernahmen durch Medien gelten unter Social-Media-Trollen als Trophäe und werden in Foren stolz diskutiert.

Fall erinnert an Falschnachrichten über "Drachenlord"

Der Fall erinnert an den des Youtubers Rainer W., bekannt als "Drachenlord", der jeweils kurz nach den Attentaten von München (2016), Utrecht (2019) und Kongsberg (2021) fälschlicherweise von Social-Media-Kanälen zum Täter erklärt wurde. Internationale Medien übernahmen in allen drei Fällen die falschen Behauptungen ungeprüft. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Rainer W. auch nach dem Amoklauf von Heidelberg erneut als angeblicher Täter präsentiert wurde.

Währenddessen erklärte ein Sprecher der Polizei Mannheim auf DW-Anfrage, dass der Name des Attentäters von Heidelberg am Montagnachmittag nicht genannt wurde und sich jegliche Spekulationen verbieten. "Der Täter ist tot. Wir gehen von einem Einzeltäter aus", hieß es in einer Pressemitteilung der Polizei.

Tobias L. widersprach den Meldungen mit einer Story auf seinen Instagram-Kanal und betont, dass er sehr wohl noch am Leben sei: "Es ist Fake. Ich bin nicht der Amokläufer. Es wurde das Bild gezeigt, auf dem ich eine Waffe halte. Ich bin Schauspieler", so L, der auch von Hassbotschaften infolge der Beschuldigungen im Netz berichtet. Der Fall zeigt einmal mehr, wie schnell sich Falschnachrichten in Breaking-News-Situationen im Netz verbreiten können.

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber Was ist echt? Und was nicht? Darauf sucht Faktenchecker Joscha Weber täglich Antworten.@joschaweber