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PolitikAsien

Hartes Schicksal Homosexueller im Iran

24. Februar 2021

Homosexuelle können sich im Iran nur unter Inkaufnahme von Repressionen outen, so ein aktueller UN-Bericht. Bleibt die Hoffnung auf politisches Asyl.

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Symbolbild Homosexualität
Bild: picture-alliance/Bildagentur-online/McPhoto

Die Beamten interessierten sich für alles, was in der Wohnung des jungen Mannes Aufschluss über die "Verfehlungen" des Beschuldigten geben könnte, vom Wäscheschrank bis zum Computer. Denn Sahand, so der Name des jungen Mannes, hatte gegen die Prinzipien und Gesetze der Islamischen Republik Iran verstoßen: Er war in flagranti erwischt worden, im Bett mit einem anderen Mann. Ein Verwandter hatte die beiden ertappt.

"Es war ein furchtbarer Moment", erinnert sich Sahand im DW-Interview. "Kaum waren wir entdeckt, war auch mein Vater zur Stelle. Er tobte, schrie mich an, warf mir vor, sein Leben zerstört zu haben. Er wolle nichts mehr mit mir zu tun haben, mich nie wieder sehen. Später kamen dann die beiden Beamten. Daraufhin rief meine Mutter meine Schwester an, der ich mich bereits anvertraut hatte." Über die Schwester erfuhr Sahand schließlich auch, dass der Verwandte ihn an die Sicherheitsbehörden verraten hatte.

Nach dieser Wohnungsdurchsuchung sei ihm klar geworden, dass er in seiner Heimat nicht mehr leben könne, berichtet Sahand weiter. Über die Universität im nahen Ausland, wo er studierte, hatte sich eine Gelegenheit zu einer kurzen Reise nach Europa ergeben. Dort stellte er den Asylantrag. Seit einem guten Jahr lebt er in Deutschland und hofft auf die Anerkennung als politisch Verfolgter.

Iran LGBT l Rally in Teheran
Die Regenbogenfahne als Symbol der LGBT-Community wird im Iran nur von ihren Gegnern gezeigt: Um sie herabzuwürdigen.Bild: Amin Monfared/ZUMA Wire/picture alliance

UN-Bericht über Verfolgung sexueller Minderheiten

Was ihm im Iran blühen könnte, ist dem jüngsten Bericht des UN-Sondergesandten zur Situation der Menschenrechte im Iran, 

Ahmed Shaheed, zu entnehmen. Darin äußert sich Shaheed auch zur Situation lesbischer, schwuler, bisexueller und transsexueller Menschen im Iran. Sie seien Menschenrechtsverletzungen und weit verbreiteter Diskriminierung ausgesetzt, so Shaheed. "Hochrangige Beamte beschreiben die Gemeinschaft in hasserfüllten Begriffen, unter anderem, indem sie die jeweiligen Personen als 'Untermenschen' und 'krank" bezeichnen."

Sexueller Kontakt kann im äußersten Fall die Todesstrafe nach sich ziehen. Auf Küsse und Berührungen stehen Peitschenhiebe. Die Kriminalisierung einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Handlungen legitimiere Gewalt durch staatliche Akteure und Privatpersonen, berichtet Shaheed weiter: "Einschließlich der Anwendung von Folter, Schlägen und Vergewaltigung durch Strafverfolgungsbehörden und Bürgerwehren", heißt es in dem UN-Bericht.

Generell seien lesbische, schwule, bisexuelle Menschen regelmäßig Schikanen ausgesetzt. Würden sie verhaftet, werde ihnen das Recht auf ein faires Verfahren verweigert. Allerdings erkläre die Regierung, sie erkenne Transsexualität an, berichtet Shaheed.

Berlin I Pride I Dyke March
Freiheit von staatlicher Diskriminierung wie in Deutschland zieht Verfolgte an Bild: Imago Images/A. Friedrichs

Zuflucht in Deutschland gesucht

Von dem repressiven Kurs Teherans gegen Personen aus LGBT-Gruppen hörten er und seine Kollegen immer wieder, sagt Patrick Dörr vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD) der DW. "Viele queere Geflüchtete berichten den Beraterinnen in unserem LSVD-Projekt 'Queer Refugees Deutschland' von massiver Gewalt, Gewaltandrohung und Erpressung, so etwa durch Familienmitglieder, aber auch durch die iranische Polizei." Dörr weiß noch über weitere Repressionsmaßnahmen zu berichten: Der "iranische Staat nötigt lesbische Frauen und schwule Männer regelmäßig zu geschlechtsentstellenden Operationen. So werden beispielsweise schwule Männer chirurgisch und durch Vergabe von Hormonen verstümmelt, in der irrigen Annahme, sie seien eigentlich Frauen. Die psychischen Folgen dieser kaum reversiblen Eingriffe sind für die Betroffenen verheerend."

Was ihm am meisten zu schaffen gemacht habe, sei die Scham, berichtet Ali, (Name von der Redaktion geändert) gegenüber der DW. Auch er, der seinen wahren Namen aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht sehen will, sah sich aufgrund seiner Homosexualität veranlasst, in Deutschland Asyl zu beantragen. Wie Sahand lebt er in einer Einrichtung speziell für LGBT-Flüchtlinge.

Iran Teheraner - Jugend Disziplin
Irans Sittenpolizei kontrolliert nicht nur in öffentlichen Parks Bild: YJC

Scham und "unsichtbare Wunden"

"Als ich ein Kind war, habe ich mit meiner Cousine Hochzeit gespielt. Dabei übernahm ich die Rolle der Braut. Als mein Vater das sah, stellt er mich zur Rede. So wütend war er, dass er ein Messer über die Herdflamme hielt und mir das erhitzte Eisen auf den Unterarm drückte". Bis heute ziert eine lange Brandnarbe Alis Unterarm. "Ich dürfe nie wieder Braut spielen. Ich sei ein Junge und müsse mich entsprechend verhalten. Mein Vater ist sehr gebildet, und auch nicht sonderlich religiös. Trotzdem will er einen maskulinen Sohn. Er hätte mich lieber tot als schwul."

Über Jahre habe er seine Neigung verborgen, berichtet Ali. "Ich habe mich geschämt, mich gefragt, was mit mir los ist, warum ich nicht bin wie die anderen. Ich stand dauernd, mein ganzes Leben lang, unter Stress. Als junger Mann bin ich auch zu einem Therapeuten gegangen. Doch in dem Moment, als die Therapie beginnen sollte, erlitt ich einen schweren Unfall, durch den ich fast ums Leben gekommen wäre. Für mich war das ein Wendepunkt. Ich sagte mir, mein Leben ist mir ein zweites Mal geschenkt worden. Das wollte ich nun auf meine eigene Weise leben. Ich sagte die Therapie ab und nahm meine Neigung innerlich an." Natürlich sei es schwer gewesen: "Alle Minderheiten im Iran haben Probleme. Menschen wie wir werden nicht nur nach den Gesetzen der Regierung zum Tode verurteilt, sie werden jeden Tag Tausende Male in Ihrem Wesen getötet, Sie müssen jeden Tag eine Rolle spielen, Sie werden jeden Tag beurteilt. Die Wunden einiger Menschen sind unsichtbar".

Die gesellschaftliche Ächtung sei in der Gesellschaft groß, bestätigt Sahand. "Auch ich habe mich in Therapie begeben, eine Schwester hatte mir eine entsprechende Therapeutin genannt. Mit ihr hatte ich Glück: Nach drei, vier Sitzungen sagte sie mir, ich hätte eben eine homosexuelle Neigung, und damit müsse ich leben, ich müsse sie annehmen. Nur so würde ich glücklich. Das habe ich dann getan. Aber es ist schwer. Meinen Vater habe ich seit unserem Streit nicht mehr gesprochen. Kontakt habe ich zu meinen beiden Schwestern und über sie auch wieder in ganz schwacher Form zu meiner Mutter."

 

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika