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PolitikAsien

Joe Bidens neue Eindeutigkeit gegenüber Taiwan

Alexander Görlach
24. Mai 2022

Wie verhalten sich die USA, falls China Taiwan angreift? Liefern sie nur Waffen oder greifen sie mit Truppen ein? Joe Biden setzt Xi Jinping mächtig unter Druck, meint Alexander Görlach.

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US Präsident Joe Biden trinkt gemeinsam mit Japans Ministerpräsident Fumio Kishida Tee
Nicht jeder Tee wird so heiß getrunken, wie er serviert wird. Das gilt auch für Aussagen von US-Präsident Joe BidenBild: KYODO/REUTERS

Zwar bestritten sowohl das Weiße Haus als auch das State Department sofort eine neue Qualität der Aussage und auch der Präsident relativierte sich selbst einen Tag später, aber in ihrer Bedeutung und Wirksamkeit ist die Äußerung nicht zu unterschätzen - das zeigt insbesondere die scharfe Reaktion aus Peking: Erstmals in der Geschichte ihrer über 40-jährigen Partnerschaft sagt mit Joe Biden ein US-Präsident Taiwan und seiner Bevölkerung militärischen Beistand zu, sollte die Volksrepublik China der Androhung ihres Anführers Xi Jinping Taten folgen lassen, und das demokratische Eiland erobern wollen.

Xi hat es seit seinem Amtsantritt im Jahr 2012 zu seiner Lebensaufgabe gemacht, Taiwan, das etwa 100 Meilen vor der Küste Chinas liegt, mit der Volksrepublik - wie er es nennt -  "wiederzuvereinigen”. Zwar wird der chinesische Machthaber nicht müde zu behaupten, Taiwan sei eine "abtrünnige Provinz" Chinas. In Wahrheit allerdings hat die kommunistische Volksrepublik nie Befugnisse über die Insel gehabt.

Mit wachsender Stärke begannen die Provokationen

Die Vereinigten Staaten unterhalten seit 1979 spezielle Beziehungen zu Taiwan. Die schloss zwar militärische Unterstützung nie implizit aus, war aber auch nicht explizit ausbuchstabiert. Ende der 1970er-Jahre wäre die verarmte Volksrepublik, die durch dessen Tod 1976 gerade erst den Klauen Maos entkommen war, nicht in der Lage gewesen, dem aufstrebenden Tech-Standort Taiwan gefährlich zu werden. Als China Mitte der 1990er-Jahre stärker geworden war und mit Provokationen gegen Taiwan begann, sandten die USA einen Flugzeugträger durch die Taiwanstraße, um Peking klar zu machen, dass am Status der Insel nicht gerüttelt werden dürfe. Die Volksrepublik ließ wieder von ihrem Tun gegen Taiwan ab. 

Autorenbild | Alexander Görlach
DW-Kolumnist Alexander GörlachBild: Hong Kiu Cheng

Unter Xi Jinping hat China die Militärausgaben in sagenhafte Höhen geschraubt. Das Ziel des Diktators ist nicht nur die Unterwerfung Taiwans, sondern des ganzen Westpazifiks. Unter ihm ist nicht nur die chinesische Marine zur zweitgrößten der Welt, sondern auch das Selbstbewusstsein Pekings angewachsen. So drangen im vergangenen Jahr hunderte Kampfjets in den taiwanesischen Luftraum vor, um Pekings Drohung gegenüber der Insel zu unterstreichen. Von Indien bis Australien kaufen die Länder Waffen (vor allem U-Boote), um der neuen Aggressivität Pekings etwas entgegenzusetzen. Die taiwanesische Präsidentin hat bereits mehrfach zu Protokoll gegeben, dass man das Land gegen China verteidigen werde.

Bereits unter Donald Trump, der Taiwan diplomatisch aufgewertet und reichlich Waffen an Taipeh verkauft hat, trat Peking aggressiver auf. Aber selbst Trump, der um starke Worte gegenüber China nie verlegen war, artikulierte nicht explizit Verteidigungsbereitschaft der Vereinigten Staaten für Taiwan. Das ist nun geschehen, und zwar in einem Moment, in dem die Welt Parallelen zwischen Putins Krieg gegen die Ukraine und Xis möglichem Krieg gegen Taiwan zieht.

Gemeinsam gegen Chinas Expansionspläne

Der Zeitpunkt ist strategisch gewählt, denn in diesen Tagen trifft sich Joe Biden mit den demokratischen Verbündeten der Region in Tokio. Auch der gerade erst vereidigte neue australische Premierminister Anthony Albanese ist bei diesem Treffen dabei. Im vergangenen Jahr erst war Australien militärisch näher an seine demokratischen Partner herangerückt. Der AUKUS-Deal brachte die USA, Großbritannien und Australien erstmals auf solch einer hohen militärischen Ebene zusammen, um sich gemeinsam gegen Chinas Expansionspläne zu stellen.

Anthony Albanese, Joe Biden, Fumio Kishida und Narendra Modi stehen auf einem roten Teppich winkend vor ihren jeweiligen Landesflaggen
Die Staats- und Regierungschefs Australiens, der USA, Japans und Indiens (v. li.) bei ihrem Treffen in TokioBild: Masanori Genko/The Yomiuri Shimbun/AP/picture alliance

Die Entscheidung Washingtons hat Auswirkungen weltweit, nicht nur auf die Länder, die wie die USA oder Japan direkte Sicherheitsinteressen mit Taiwan verbinden. Joe Biden bricht mit seiner Garantie mit der so genannten "Ein-China-Politik”. Diese besagte, dass es historisch gesehen ein China gab, das sich heute sowohl in der Volksrepublik China als auch der Republik China auf Taiwan abbilde. Dieser Formelkompromiss, der den Deutschen aus der Zeit, in der zwei deutsche Staaten existierten, von denen beide für sich in Anspruch nahmen, das "wahre" Deutschland zu repräsentieren, bekannt vorkommen mag, wird in Peking und Taiwan unterschiedlich interpretiert. 

Die Kommunistische Partei China und besonders Xi Jinping leiten daraus ihren Anspruch auf Taiwan ab, wo hingegen Taiwan den Status Quo einer Koexistenz bewahren will. Für die USA aber war immer ganz entscheidend, dass eine Veränderung der Lage oder eine Annäherung beider Länder nur auf Augenhöhe und nicht unter Zwang oder gar Krieg erfolgen dürfe. Entsprechend äußerte sich auch Joe Biden: Die Verteidigung der Insel werde dann zu einem Anliegen der USA, wenn Peking mutwillig den selbst mit aufgestellten Kompromiss untergrabe. 

Hat Xi den Bogen überspannt?

Doch Xi hat sich verrechnet - so wie vor ihm auch sein Freund Putin. Xi glaubte, dass sein aggressives Verhalten die freie Welt von der Unterstützung Taiwans abhalten würde. Dass nach Washington nun andere Hauptstädte folgen (das politische Berlin unter Olaf Scholz wird auch hier ebenfalls eher Bremser als Gestalter sein) und die Ein-China-Politik offiziell beerdigen werden, steht zu erwarten und ist einzig und alleine Xi Jinpings Verantwortung.

Dieser steht zu Hause zunehmend, wenn auch unter zaghafter und leiser Kritik für seine verfehlte Russland- und Corona-Politik. Die militärische Parteinahme der USA für das bedrängte, kleine Inselland wird seine Führungsqualitäten erneut in Frage stellen. Hätte Xi die Insel nicht einfach in Frieden lassen sollen, werden seine Kritiker raunen? Einen Krieg gegen die freie Welt unter der Führung der Vereinigten Staaten, das wissen sie auch in Peking, kann die Volksrepublik nicht gewinnen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Research Associate am Internet Institut der Universität Oxford. Nach Aufenthalten in Taiwan und Hongkong wurde diese Weltregion, besonders der Aufstieg Chinas und was er für die freie Welt bedeutet, zu seinem Kernthema. Er hatte verschiedene Positionen an der Harvard Universität und der Universität von Cambridge inne.