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Atomkraft? Ja, bitte!

Ruth Rach 23. Juli 2008

Jahrelang hielten sich die beiden großen britischen Parteien beim Thema Atomenergie bedeckt. Doch nun vollführen Labour und Konservative einen Kurswechsel: Bis 2020 wollen sie zehn neue Atomkraftwerke ans Netz bringen.

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Außenansicht mit britischer Fahne AKW Dungeness in Kent (dpa/ 10.1.2008)
Großbritannien schließt alte Atomkraftwerke wie dieses in Kent - dafür will es bis 2020 zehn neue AKW ans Netz bringenBild: picture-alliance/ dpa

Vor fünf Jahren bezeichnete New Labour Atomenergie noch als unattraktive Option. Und auch im Wahlkampf vor drei Jahren waren Labour und Konservative noch der Ansicht, wegen der hohen Entsorgungskosten radioaktiven Mülls sei das Thema weiterhin vom Tisch.

"Atomkraft? Ja, bitte!"

Doch dann begannen Labour Politiker wiederholt Warnungen auszugeben: Die Versorgunslücke, die durch das Schließen der alten Atommeiler bis zum Jahr 2023 entstünde, könne unmöglich durch erneuerbare Energiequellen geschlossen werden. Seit Beginn des Jahres signalisiert die britische Regierung ihre Bereitschaft für den Bau neuer Kraftwerke.

Britisches AKW Sellafield (AP/Greenpeace)
1957 brannte ein Reaktor in dieser Atomkraftanlage in Sellafield. Der Störfall gilt als der erste schwere Reaktorunfall der GeschichteBild: AP

Atomkraft? Ja, bitte! So lautet neuerdings das Credo des britischen Premierministers Gordon Brown. In vielen Ländern der Welt, etwa China, Indien und vielen Staaten Europas würden neue Atomkraftwerke geplant oder alte Meiler ersetzt. Der Premier zeigte sich überzeugt, dass auch Großbritannien seine Reaktoren ersetzen müsse, deshalb treibe er diese Pläne jetzt verstärkt voran.

Browns Bekenntnis zur Kernenergie war keine Überraschung. Schon im Januar hatte Energieminister John Hutton Energiekonzerne eingeladen, Pläne zum Bau und Betrieb neuer Atomkraftwerke vorzulegen. Und das, obwohl Kernenergie in Großbritannien umstritten ist, besonders da Störfälle der Vergangenheit noch nicht vergessen sind. Hinzu kommt, dass die Kosten enorm hoch sind.

Atomkraftwerke als Retter in der Not

Zumindest in finanzieller Hinsicht musste sich Energieminister Hutton deshalb ein neues Konzept einfallen lassen. Die neuen Meiler würden nicht mit staatlichen Geldern subventioniert, so seine Idee. Für sämtliche Bau-, Betriebs- und Entsorgungskosten müssten Privatfirmen aufkommen.

Und er bekräftigte noch einmal: Atomkraftwerke seien die großen Retter in der Not. Angesichts der Herausforderungen von Klimawandel und Versorgungssicherheit deute alles daraufhin, dass Atomkraft in der künftigen Energiepolitik eine wichtige Rolle spielen müsse, so Hutton.

Energiekonzerne mit am Tisch

Kritiker und selbst eine von der Regierung einberufene Untersuchungskommission sagen, dass die erwarteten CO2-Einsparungen relativ niedrig seien, verglichen mit dem enormen Kostenaufwand und den Risiken neuer Atomreaktoren.

Wirtschaftsexperten kritisieren die Rahmenpläne als zu vage. Ohne feste Tarifgarantien würde sich kein Unternehmen auf ein milliardenschweres Unterfangen einlassen, da das finanzielle Risiko zu hoch sei. Dennoch haben sich bereits Interessenten in Position gebracht, unter ihnen der deutsche Energiekonzern Eon und der französische Versorger EDF. Vincent de Rivaz, Chef von EDF-Energy, spricht davon, sich am Bau von vier neuen Kernkraftwerken zu beteiligen.

Großbritannien verschwendet zu viel Energie

Umweltgruppen weisen dagegen daraufhin, dass britische Steuerzahler allein für die Schließung der alten Meiler und die Atommüllentsorgung noch rund 70 Milliarden Pfund zahlen müssten. Auch die Frage der Endlagerung sei noch lange nicht geklärt.

Sicherheitscontainer mit Atommüll (AP/ 29.5.2001)
Vor allem die Entsorgung des radioaktiven Mülls erzeugt hohe Kosten, weshalb Kritiker Atomkraft als "unwirtschaftlich" bezeichnenBild: AP

Im Grunde laufe die Debatte in die falsche Richtung, sagt Robin Webster von Friends of the Earth. Man solle über Effizienz, erneuerbare Energiequellen und Dezentralisierung reden, da die Briten unglaublich verschwenderisch mit ihrer Energie umgingen: 30 Prozent verpufften als Hitze in Kühltürmen, weitere 30 Prozent gingen im Verteilungsprozess wegen der riesigen Entfernungen zwischen Kraftwerk und Endverbraucher verloren, so Webster.

Bislang produziere Großbritannien nur zwei Prozent erneuerbare Energien und sei damit mit Malta und Luxemburg das europäische Schlusslicht. Der Umweltschützer hofft, dass die Briten bis zum Jahr 2015 wenigstens einen Wert von 15 Prozent erreichten. Aber im Grunde müsste Großbritannien seiner Einschätzung nach mit seinem Wind- und Wellenenergiepotential an der Spitze der europäischen Rangliste liegen: "Schließlich sind wir eine Insel!"

Desinteresse bei britischen Bürgern

Noch zeigt die britische Öffentlichkeit wenig Interesse, über Atomkraft zu diskutieren, sagt Rick Webber, ein Londoner Medienexperte. Das dürfte sich ändern, wenn die Regierung konkrete Baupläne bekannt gibt. Und wenn Gemeinden aufgefordert werden, gegen Entgelt Atommüll zu lagern.

Die regierende schottische Nationalpartei erklärte bereits, in Schottland würden auf keinen Fall neue Meiler gebaut. Auch die walisische Nationalversammlung ist skeptisch. Grüne Optimisten weisen allerdings daraufhin, dass schon in der Thatcher-Ära vom Bau einer ganzen Generation neuer Reaktoren die Rede war, und letztendlich doch nur ein einziger Meiler gebaut wurde.