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Größtes Vorkommen in Europa: Tschechien im Lithium-Rausch

Lubos Palata (aus Usti nad Labem)
14. September 2023

Im Erzgebirge stecken riesige Lithium-Vorkommen. Geht es nach der Regierung in Prag, soll das "weiße Gold" Tschechiens Wirtschaft vorantreiben und die Region Usti entwickeln. Doch nicht jeder ist begeistert.

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Ein Stück Erz mit Lithium
Für Tschechien könnte der Abbau von Lithium alles verändernBild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Es ist ein kleiner Schatz, auf dem der Ort Cinovec im deutsch-tschechischen Grenzgebiet sitzt. Um den Ort herum, der etwa 100 Kilometer nordwestlich der tschechischen Hauptstadt Prag liegt, stecken etwa drei bis fünf Prozent der weltweiten Lithium-Reserven im Boden - das größte Vorkommen in Europa. Das Leichtmetall hat in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Denn Lithium wird unter anderem bei der Herstellung von Batterien verwendet - und Energiewende und Elektromobilität sind ohne lithiumhaltige Stromspeichermöglichkeiten zurzeit kaum denkbar. Inzwischen sind die Preise für den Rohstoff so hoch, dass sich auch für Tschechien ein Abbau lohnen würde. Für das Land könnte das alles verändern.

Denn laut einer Analyse der tschechischen Handelskammer hat die Tschechische Republik alle bisherigen Wachstumsquellen ausgeschöpft. Dem Land drohe daher in den kommenden Jahren eine wirtschaftliche Stagnation. Der Lithium-Abbau allerdings könnte der tschechischen Wirtschaft einen neuen Schub verschaffen, hofft etwa Ministerpräsident Petr Fiala. Als er Anfang September 2023 seine Vision für die Entwicklung der Tschechischen Republik in den kommenden dreißig Jahren vorstellte, zählte er sechs Bereiche auf, in die Tschechien zukünftig strategisch investieren müsse. Lithium und die Investition in seine Gewinnung und Verarbeitung waren die überraschendsten unter ihnen.

Tschechiens Premierminister Petr Fiala blickt in die Kamera, im Hintergrund ist ein goldenes Wappen zu sehen
Tschechiens Premier Petr Fiala bei einem Briefing am 28.02.2023Bild: Vit Simanek/CTK/picture alliance

"Lithium ist ein Schlüsselrohstoff für die Elektromobilität, insbesondere für Batteriespeicher. Deshalb arbeiten wir daran, sobald wie möglich mit dem Abbau zu beginnen, idealerweise im Jahr 2026", sagte Fiala.

Genug Rohstoff für eine Million Lithium-Batterien jährlich

Das Dorf Cinovec liegt mitten in einer Bergbauregion, schon im 13. Jahrhundert wurden hier Erze abgebaut, ab den 1940er-Jahren Wolfram und Zinn gewonnen. Dann zeigten erste Explorationen in den 2010er-Jahren, dass die Lithium-Mengen signifikant sind. Hier - und auch auf der anderen Seite der deutsch-tschechischen Grenze, in Zinnwald, wo ein kleinerer Teil der Reserven liegt. Die Tschechische Republik hat bereits ein Abkommen mit Sachsen über die mögliche Zusammenarbeit beim Lithium-Abbau unterzeichnet. Von tschechischer Seite aus soll der Lithium-Abbau von den staatlich kontrollierten Tschechischen Energiewerken (CEZ) betrieben werden.

Infografik Globaler Batteriebedarf (Prognose) DE
Prognosen zeigen, dass der Bedarf an Lithium-Ionen-Akkus, wie sie mit tschechischem Lithium produziert werden könnten, steigt

Die aktuelle Vormachbarkeitsstudie zeigt, dass bei Cinovec jährlich eine Förderung von 2,25 Millionen Tonnen Erz denkbar wäre, was die Produktion von knapp 30.000 Tonnen Lithiumhydroxid ermöglichen würde. Nach derzeitigen Schätzungen dürfte die geförderte Menge Erz ausreichen, um jährlich fast eine Million Lithium-Batterien für Autos herzustellen.

Die Batterien möchte Tschechien am liebsten gleich selbst herstellen, in einer geplanten Gigafactory. "Wir können die gesamte Kette vom Abbau, der Verarbeitung, der Batterieproduktion, der Chip-Produktion bis zur Endproduktion von Autos abdecken", sagte Fiala. Der Lithium-Abbau, so die Hoffnung, könnte sich auch zum wirtschaftlichen Motor für die Region entwickeln. 

Lithium-Region statt Kohle-Revier?

Die Region Usti gehört zu den ärmsten in der Tschechischen Republik. Das sich seit den 1990er-Jahren abzeichnende Ende des Braunkohle-Abbaus, der Tausenden von Menschen vor Ort Arbeit gab, hat strukturelle Probleme hinterlassen. Der Tagebau hat außerdem tiefe Wunden in die Landschaften geschlagen, mehr als 100 Siedlungen wurden von den Baggern verschlungen.

Schätzungen zufolge würden während der 25-jährigen Abbauperiode des Lithiums tausend Bergleute Arbeit finden. Auch der Plan, eine Gigafactory für die Herstellung von Elektroauto-Batterien zu errichten, würden Arbeitsplätze und Geld in die Region bringen. Die Tschechischen Energiewerke stellen in Aussicht, dass der Abbau bereits in vier Jahren aufgenommen werden könne.

Ein Mann im Anzug blickt in die Kamera
Jan Schiller, Landrat der Region Usti in TschechienBild: Region Ústí

Die Region Usti unterstützt den Lithium-Abbau, sofern er so umweltfreundlich wie möglich erfolgt. "Ich sehe die Möglichkeit des Lithium-Abbaus als Chance", sagt Jan Schiller, Landrat der Region und Mitglied der oppositionellen ANO-Partei. "Aber vieles hängt davon ab, welche Rahmenbedingungen vor dem eigentlichen Abbau ausgehandelt werden. Wir haben die Folgen des Kohle-Abbaus in der Region noch in lebhafter Erinnerung. Jegliche Beeinträchtigung und Verschlechterung der Lebensbedingungen muss auch den Gemeinden gegenüber angemessen entschädigt werden", so der Landrat zur DW.

Neue Perspektiven oder wieder Bergbau?

Die Region Usti erhält von der EU Gelder aus dem Just Transition Fund, um die Einstellung des Kohlebergbaus zu finanzieren und die Struktur der lokalen Wirtschaft zu verändern. Ein Teil dieses Geldes soll nun in die Weiterentwicklung des Lithium-Projekts fließen. Einige Experten warnen jedoch davor, dass die Region Usti nach dem Rückgang des Braunkohlebergbaus nicht einfach in den nächsten Bergbau umsteigt. Sie empfehlen, das Geld stattdessen in Bildung und eine allgemeine Umstrukturierung der Wirtschaft in der Region zu investieren.

Ähnliche Stimmen gibt es auch in der Bevölkerung. Michal Kolecko etwa, Professor an der Jan-Evangelista-Purkyne-Universität in Usti nad Labem, ist ein ausgesprochener Gegner des Lithium-Abbaus. "Ich denke, dass Lithium nicht der richtige Weg ist. Wenn wir die Region verändern und ihr eine neue Zukunft geben wollen, müssen wir uns für einen grundlegenden Wandel entscheiden. Wir müssen auf Bereiche setzen, die Potenzial haben und der Region nicht nur eine wirtschaftliche Zukunft geben, sondern auch die soziale Zusammensetzung und das Bildungsniveau der Bevölkerung verändern", sagte Kolecko der DW.

Angst vor Umweltfolgen

Die Meinung der Menschen rund um Cinovec ist gespalten. Als am 7.09.2023 im nahegelegenen Dubi eine Diskussion zwischen Bürgern und Vertretern der mehrheitlich staatlichen CEZ stattfand, war der Saal des örtlichen Kurbads bis auf den letzten Platz gefüllt. Wie der tschechische Rundfunk berichtete, sind die größten Sorgen der Anwohner die Bedrohung der Wasserversorgung und die Verschlechterung der Luftqualität durch den Transport des abgebauten Rohstoffs.

Luftansicht auf verschiedene rechteckige Pools, in denen Lithium in verschiedenen Trockenstadien vor sich hintrocknet
In den Salinas Grandes in Jujuy, Argentinien, verdunstet lithiumhaltige Sole in offenen Becken. In Tschechien dagegen wird der Rohstoff durch den Abbau in Minen gewonnenBild: MARTIN SILVA/AFP

Wie bei jeder Gewinnung von nicht nachwachsenden Rohstoffen wirkt sich auch der Lithium-Abbau auf die Umwelt aus. In Südamerika, wo im sogenannten "Lithium-Dreieck" zwischen Bolivien, Chile und Argentinien etwa 70 Prozent der weltweiten Lithium-Reserven liegen, sank der Grundwasserspiegel durch das Abpumpen der lithiumhaltigen Sole teils stark. Durch den in einigen Fällen sorglosen Umgang der Abbauunternehmen wurden stellenweise Luft, Wasser und Boden kontaminiert. In Cinovec würde Lithium aus Festgestein gewonnen werden. Auch diese Fördermethode gilt als wasserintensiv - und deutlich energieaufwendiger und teurer als der Abbau aus Sole.

Nach Angaben des Energiekonzerns CEZ soll das Genehmigungsverfahren für den Lithium-Abbau Ende 2023 eingeleitet werden. Das Unternehmen scheint allerdings wenig Zweifel an dem Ausgang des Verfahrens zu haben: Es hat bereits ein Grundstück für eine Lithium-Aufbereitungsanlage gekauft, für eine Milliarde Tschechische Kronen - etwa 40,8 Millionen Euro.

Porträt eines Mannes mit blondem Haar, er trägt ein weißes Hemd und ein blau-schwarz kariertes Sakko
Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag