Geipel: "DDR-Dopingopfer sterben einfach"
6. November 2014DW: Können Sie erklären, warum in der DDR Zwangsdoping eingesetzt wurde?
Ines Geipel: Die DDR war ein kleines zugeschlossenes Land mit einer Diktatur und war Anfang der 70er Jahre international anerkannt. 1974 überlegt sich die Regierung einen konspirativen Staatsplan, das heißt, dass alle Athleten im Kadersystem mit männlichen Sexualhormonen gedopt wurden. Das ging bei Kindern im Alter von acht Jahren los bis in die Nationalmannschaft - insgesamt 15.000 Athleten. Und sie wurden nicht aufgeklärt, weil man die hoch aggressiven Substanzen als Vitamine getarnt verteilt hat. Deswegen spricht man von politischem Doping.
Können Sie ein paar Beispiele nennen, unter welchen Schäden und Problemen ehemalige DDR-Athleten noch immer leiden?
Es geht um viele verschiedene Schäden vor allem an Herz, Lunge und Leber. Es geht um behinderte Kinder, sehr viele Krebserkrankungen und Fettstoffwechselstörungen. Es war die Phase des Steroiddopings. Man konnte mit Hilfe der Steroide deutlich mehr trainieren und dadurch sind die Körper verschlissen: kaputte Rücken, Arthrosen, kaputte Gelenke. Außerdem sterben die ehemaligen Athleten einfach, ohne dass sich jemand um sie kümmert. Zum Beispiel ist vor kurzem der ehemalige Gewichtheber Gerd Bonk, der früher als stärkster Mann der Welt gefeiert wurde, an einem multiplen Organschaden gestorben.
Sie haben gesagt, es gab Entschädigungszahlungen, aber die ausgezahlten Summen waren gering. Warum wird 25 Jahre nach dem Ende der DDR nicht mehr für die Opfer getan?
Es gibt einfach keinerlei Verantwortungsbewusstsein, weder von der Politik noch vom Sport. In dem Moment, in dem die Lichter und die Fernsehkameras ausgeschaltet sind, werden die Athleten ihrem Leben überlassen und sie kommen nicht zurecht. Sie können nicht leben: 80 Prozent der ehemaligen Athleten leben von Hartz IV, sie können ihre Medikamente nicht bezahlen und keine Therapien machen. Wir versuchen als Verein, Anträge bei der Stasi-Unterlagenbehörde oder in anderen Archiven zu stellen, damit sie erfahren, was mit ihnen überhaupt passiert ist. Die Ärzte schweigen, die Trainer schweigen - das ist eine schwierige Situation.
Was wollen sie für die ehemaligen Athleten erreichen und was ist möglich?
Wir kämpfen jetzt schon länger darum, eine Rente für die ehemaligen Athleten zu bekommen. Wir versuchen mit dem Sport einen Hilfsfond auf die Beine zu stellen. Und wir versuchen auch, zwei Spezialkliniken aufzubauen, in denen es Ärzte gibt, die sich mit den vielen verschiedenen Nachwirkungen des Dopings auskennen.
Meinen Sie, das moderne Deutschland hat aus den Erkenntnissen über das DDR-Zwangsdoping etwas gelernt?
Es gibt sicher nicht mehr diese Art von Zwangsdoping und Zugriff und Enteignung des Körpers, wie zu Zeiten der DDR. Aber ich glaube, wir haben nicht genug gelernt, denn wir haben keine andere Idee von Sport. Es geht immer wieder neu um die Effizienz. Das Kadersystem, die Eliteschulen, das ist eine "DDR-isierung" des deutschen Sports. Es ist gut, Weltmeister sein zu wollen, aber wenn man um jeden Preis Weltmeister sein will, geht man ein hohes Risiko hinein. Der Sport hat sich auch verändert: Du kannst als junger Sportler im Sport relativ schnell gut verdienen, die Menschen lieben dich, und du wirst zum Star. Aber du gehst ein großes Risiko ein, denn das System ist sehr stark die Interessenskette ist sehr stark. Diese Geschichte sollen von der Gesellschaft verstanden werden. Es geht uns um Aufklärung.
Ines Geipel ist eine ehemalige DDR-Sprinterin und anerkanntes Dopingopfer. Sie ist Chefin des Doping-Opfer-Hilfevereins. Außerdem arbeitet sie als Schriftstellerin und Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin. 2011 erhielt unter anderem wegen ihres Engagements für ihre Aufarbeitung des DDR-Zwangsdoping-Systems das Bundesverdienstkreuz.