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Filmtipp: Gegenüber

Funda Akin11. Oktober 2007

Das Thema Gewalt in der Ehe ist ein Tabu – dass oftmals diese Gewalt aber auch von Frauen ausgeht, wird gänzlich tot geschwiegen. Der junge Regisseur Jan Bonny hat einen Film darüber gedreht – mit bedrückenden Szenen.

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Anne umarmt ihren Mann Gregor. (Quelle: Heimatfilm)
Die Beziehung zwischen Anne (Victoria Trauttmannsdorff) und Georg (Matthias Brandt) gerät ins Wanken.Bild: Heimatfilm

Sie ist ein gesellschaftliches Tabu: Gewalt in der Ehe. Auch wenn zahlreiche Frauen regelmäßig von ihren Partnern gedemütigt, geschlagen und vergewaltigt werden, weiß doch niemand so recht, damit umzugehen. Noch schwieriger wird es, wenn die Gewalt von den Frauen ausgeht - wie in Jan Bonnys gefeiertem Debütfilm "Gegenüber". Denn was nach außen wie eine glückliche Ehe wirkt, ist in Wirklichkeit die Hölle: Georg und Anne sind schon lange verheiratet, haben zwei Kinder und sind in ihren Berufen als Polizist und Grundschullehrerin erfolgreich. Doch hinter der gutbürgerlichen Fassade schlägt die aufbrausende Anne brutal auf den gutmütigen und hilflosen Georg ein.

Es sind bedrückende Bilder, die der junge aus Düsseldorf stammende Regisseur Bonny in seinem ersten Langfilm zeigt. Während Anne (gespielt von Victoria Trauttmansdorf) tagsüber eine verständnisvolle Lehrerin ist und ihren Mann am Abend überschwänglich begrüßt, kippt die Stimmung innerhalb von Sekunden. Eine kurze Bemerkung, eine falsche Bewegung ihres Mannes und schon drischt und tritt Anne auf Georg (Matthias Brandt) ein. Immer wieder trifft ihre Faust seinen Rücken, immer wieder klatschen ihre Hände auf seine nackte Haut.

Tabu ans Tageslicht zerren

Die Idee für die Geschichte kam dem jungen Regisseur, als er in einem Zeitungsartikel darüber las, dass Gewalt in der Ehe erstaunlich häufig auch von Frauen ausgehe. "Mich hat berührt, dass diese Meldung so klein war", erinnert sich Bonny und besonders habe ihn berührt, dass so viele Menschen dieses Thema offenbar ignorierten.

Anne steht auf einem Parkplatz vor den Wohnblocks. (Standfoto)
Kleine Fluchten: Victoria Trauttmansdorff als AnneBild: Heimatfilm

Doch nicht nur die dumpfen Schläge in den Filmszenen sind für den Zuschauer nur schwer zu ertragen, auch das Verhalten Georgs ist kaum nach zu vollziehen: Beruflich steuert der erfolgreiche Polizist auf eine Beförderung zu und ist bei allen seinen Kollegen sehr beliebt. Zu Hause jedoch wehrt er sich nicht gegen Annes Gewalt. Stattdessen krümmt er sich auf dem Boden in Embryohaltung zusammen und erduldet die minutenlangen Attacken. Auch Annes regelmäßige verbale Angriffe lässt Georg ohne Gegenwehr über sich ergehen.

Gewalt als Glutkern

Doch die Aggressionen sind nur ein Aspekt des Films: Die Gewalt sei hier vielmehr ein "Glutkern", an dem sich die Dramatik des Films immer wieder entzünde, sagt Bonny: "Wenn der Film ein Thema hat, dann sind es eher Liebe, Isolation und das, was aus der Liebe selbst werden kann."

Anne und Michaeal (Wotan Wilke Möhring) der Kollege von Georg. (Standfoto)
Anne und Michaeal (Wotan Wilke Möhring) der Kollege von Georg. Nur ein Flirt?Bild: Heimatfilm

"Die beiden brauchen sich, sie bedingen sich - dadurch, dass sie mit ihrer Geschichte nicht nach außen können, sind sie isoliert und haben nur sich", erläutert der Regisseur. Denn auch das ist sein Anliegen: Das Schweigen um die Scham und Unsicherheit aller Beteiligten zu brechen. "Dabei war mir wichtig, dass das Paar nicht am Rande der Gesellschaft steht, sondern als Polizist und Lehrerin akzeptierter Teil ist", sagt er. Die Zuschauer sollten den Film nicht einfach als Unterschichtenproblem abtun können.

Essen als "diffuse Stadt"

Die ungewöhnliche Wahl des Filmtitels erklärt Bonny folgendermaßen: "Der Titel trägt eine Idee in sich: das Gegenüber, wie die beiden sich gegenüber stehen, aber auch das räumliche Gegenüber, wie die Menschen auf der anderen Straßenseite". Nicht nur der Titel sollte einfach unverfälscht sein, sondern auch der Drehort: Die Stadt Essen sei für den Regisseur nicht "vorbelastet" gewesen: "Essen ist zwar nicht mehr die Ruhrpottstadt mit seinen Arbeitern, es ist aber auch noch nicht ganz klar, was sie wirklich ist. Dieses Diffuse macht die Stadt zu einer prototypischen westdeutschen Stadt, die einfach zum Film passt."

Damit konnte Bonny offenbar auch die Zuschauer überzeugen: So wurde "Gegenüber" beim Filmfest München für das Beste Drehbuch ausgezeichnet, erhielt beim Filmfestival in Cannes eine lobende Erwähnung und ist derzeit für den First Steps Award nominiert. Besonders die Weltpremiere in Cannes hat den Jungregisseur nachhaltig beeindruckt: Die Filme, die dort laufen, werden von allen enorm geschätzt. Das ist ein gutes Gefühl."