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Habeck ruft Gas-Alarmstufe aus

23. Juni 2022

Die drastische Drosselung russischer Gaslieferungen nach Deutschland durch die Pipeline Nord Stream 1 hat weitere Konsequenzen: Der Wirtschaftsminister ruft die zweite von drei Alarmstufen aus.

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Wirtschaftsminister Habeck zeigt ein Blatt mit einer Grafik
Bundeswirtschaftsminister HabeckBild: Markus Schreiber/AP/picture alliance

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die zweite Krisenstufe im Notfallplan Gas ausgerufen. Grund dafür seien die seit Mitte Juni bestehende Kürzung der russischen Gaslieferungen sowie die hohen Preise am Gasmarkt, sagte Habeck am Donnerstag in Berlin. Die Lage sei derzeit "angespannt", die Versorgungssicherheit aber gewährleistet.

Der Notfallplan hat drei Stufen: Die jetzt ausgerufene Alarmstufe ist die zweite. Die dritte wäre die Notfallstufe.

"Die Lage ist ernst", erklärte der Wirtschaftsminister: "Die Drosselung der Gaslieferungen ist ein ökonomischer Angriff auf uns." Die Strategie von Russlands Präsident Wladimir Putin sei es, Unsicherheit zu schüren, die Preise hoch zu treiben und zu spalten.

Zwei Mitarbeiter des Energieversorger Uniper an einem Gasspeicher
Mitarbeiter des Energieversorger Uniper an einem GasspeicherBild: Uniper SE

Sparen beim Gasverbrauch!

"Wir sind in einer Gaskrise. Gas ist von nun an ein knappes Gut. Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen." Oberste Priorität sei es nun, die Gasspeicher zu füllen. Alternative Anbieter würden gesucht und erneuerbare Energien ausgebaut. Außerdem müsse mehr Gas eingespart werden.

Der Minister forderte Privathaushalte auf, ihre Heizungsanlagen zu warten. Dadurch seien Einsparungen von 15 Prozent möglich. "Wir sind also jetzt gehalten, die Gasverbräuche zu reduzieren." Habeck sprach von einer «trügerischen Sicherheit» im Sommer. "Aber der Winter wird ja kommen. Wir müssen also jetzt die Vorsorge treffen, um im Winter vorbereitet zu sein." 

Für die Industrie will Habeck Rationierungen nach Möglichkeit vermeiden. "Das soll nicht passieren, in keinem Monat im besten Fall", sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag in Berlin, fügte aber hinzu: "Ich kann es natürlich nicht ausschließen, weil es so voraussetzungsreich ist, was wir tun. Aber es ist kein Szenario, auf das wir hinarbeiten - im Gegenteil."

Infografik Erdgasverbrauch 2021 in Deutschland

Habeck sieht "externen Schock" für die Konjunktur

Versorgungsunternehmen sollen noch keine Möglichkeit erhalten, ihre Gaspreise nach dem Energiesicherungsgesetz zu erhöhen. Zwei Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein: Zum einen müssen Alarmstufe oder Notfallstufe ausgerufen worden sein. Zum anderen muss die Bundesnetzagentur auf dieser Grundlage eine "erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland" festgestellt haben. Diese Feststellung muss im Bundesanzeiger veröffentlicht werden. Erst dann dürfen die Unternehmen die Preise auf ein "angemessenes Niveau" erhöhen.

"Die Preise sind jetzt schon hoch, und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen", so der Minister. Das werde sich auf die Industrieproduktion auswirken und für viele Verbraucher eine große Last werden. "Es ist ein externer Schock."

Laut dem Plan liegt bei der Alarmstufe eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt. Der Markt ist aber derzeit noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen.

Infografik Nettostromerzeugung

Druck aus München

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) erwartet die zeitnahe Ausrufung der Notfallstufe Gas. "Die Ausrufung der Alarmstufe Gas ist längst überfällig. Wir brauchen aber zeitnah die Notfallstufe und gezielte Maßnahmen zum Einsparen von Gas gegen Entschädigung, unbürokratisches Umsteuern auf andere Energiequellen und weniger Vorschriften für Erneuerbare Energien», sagte der Freie-Wähler-Chef am Donnerstag in München.

Das gelte auch für Verfahren zum Artenschutz, beispielsweise bei Wasserkraft und Wind. «Wir brauchen auch eine begrenzte Verlängerung der AKW-Laufzeiten und schließlich: ein schnellstmögliches Hochfahrenden der Wasserstoffwirtschaft», betonte Aiwanger.

Schwere Rezession am Horizont?

Einige Ökonomen sehen sehr dunkle Wolken aufziehen: Sebastian Dullen, Direktor des IMK-Institutes, weist darauf hin, dass die "Konjunktur bereits auf Messers Schneide" stehe. "Wir rechnen zwar mit einem Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent in diesem Jahr - aber unter der Annahme, dass der Gasfluss nicht unterbrochen wird. Wenn doch, dann sind wir relativ schnell in einer Rezession. Bei einem Gaslieferstopp droht eine Verdoppelung oder gar Verdreifachung der Gasrechnung."

Der Volkswirtschaftler Jens Südekum von der Uni Düsseldorf befürchtet Schlimmes: "Mit der Ausrufung der Alarmstufe ist nun klar: die Lage auf dem Gasmarkt ist bedrohlich. Die Drosselung der Ströme aus Russland führt nicht unmittelbar zu einem Zusammenbruch der Gasversorgung in Deutschland. Aber wir können nicht mehr hinreichend Gas einspeichern - und das werden wir im Winter zu spüren bekommen. Es droht dann eine Rationierung des Gasbezugs und damit Produktionsstopps in der Industrie. Eine schwere Rezession könnte die Folge sein."

Aber nicht nur die Industrie und mit ihr die Konjunktur würden leiden, sondern auch die Bürger: "Die Preisanpassungsklausel des Energiesicherungsgesetzes wird zwar noch nicht aktiviert, aber das wird nicht mehr lange dauern. Es drohen dann massive Anstiege der Endkundenpreise. Analysten rechnen mit einer Vervierfachung bis Versechsfachung. Die Inflation würde nochmals spürbar nach oben gehen."

Keine automatische Preissteigerung

Die Alarmstufe ist die zweite von drei Eskalationsstufen des Notfallplans Gas. Die entsprechende Verordnung wurde erstmals nach dem russischen Angriff auf die Ukraine aktiviert. Habeck hatte am 30. März die Frühwarnstufe ausgerufen. Anders als die Frühwarnstufe könnte die Alarmstufe für Unternehmen und Verbraucher erhebliche Konsequenzen mit sich bringen, wenn Versorger ihre höheren Einkaufspreise direkt an ihre Kunden weiterreichen könnten. Dafür war im Energiesicherungsgesetz im Mai eine neue Preisanpassungsklausel geschaffen worden. Das ist aber kein Automatismus. Sie muss zuvor förmlich von der Bundesnetzagentur aktiviert werden.

Die Ausrufung der Alarmstufe ist aber auch eine Voraussetzung für die Umsetzung der Pläne der Bundesregierung, dass vermehrt Kohle-Kraftwerke wieder ans Netz geholt werden sollen, um Erdgas bei der Stromproduktion einzusparen. Das entsprechende Gesetz soll am 8. Juli den Bundesrat passieren.

Die Alarmstufe bringt noch keine staatlichen Eingriffe in den Gasmarkt. Erst mit der Notfallstufe als letztem Schritt der Eskalationsleiter würde die Bundesnetzagentur in einer Gasmangellage zuteilen, wer noch Gas bekommt. Private Haushalte sind besonders geschützt und sollen möglichst lange versorgt werden. Die Industrie müsste sich dann auf Kürzungen einstellen.

Infografik Nettostromerzeugung

hb/dk (rtr, dpa)