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Politik

Franziska Giffey will Berlin regieren

1. Oktober 2021

Nicht nur der Bundestag, auch das Berliner Abgeordnetenhaus wurde neu gewählt. Gewonnen hat die SPD mit der konservativen Franziska Giffey. Ein Porträt.

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Landtagswahl Berlin - SPD Wahlparty
Franziska Giffey winkt bei der Wahlparty der SPD im Berliner Stadtteil KreuzbergBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Man kennt sie als Bundesfamilienministerin. Drei Jahre lang arbeitete Franziska Giffey im Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bis ihr klar wurde, dass es in der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit nicht ausgereicht hatte, auf das Tragen des Titels zu verzichten. Im Mai 2021, als die offizielle Aberkennung durch die Freie Universität Berlin unmittelbar bevorstand, zog Giffey die Reißleine, legte ihr Ministeramt nieder und konzentrierte sich fortan allein auf ihre Arbeit als SPD-Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin.

Berlin ist nicht nur die deutsche Hauptstadt und Sitz der Bundesregierung, sondern auch eins von 16 Bundesländern. Seit 2001 stellt die SPD den Regierenden Bürgermeister, der die Landesregierung anführt. Bis zum Frühjahr lagen die Sozialdemokraten in Umfragen allerdings so abgeschlagen zurück, dass sie politisch abgeschrieben schienen.

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Gute Laune und knallharte Positionen

Doch dann kam Franziska Giffey. Mit politischen Positionen, die auch zur CDU passen würden. Im Juli 2021 sagte sie zum Umgang mit aus Syrien oder Afghanistan geflüchteten Menschen, die in Deutschland schwere Straftaten begehen: "Ich bin da ganz klar: Schwerverbrecher und terroristische Gefährder müssen abgeschoben werden." Giffeys Partei hatte zu diesem Zeitpunkt angesichts der Entwicklungen in Afghanistan schon lange einen Abschiebestopp gefordert. Widerspruch gab es trotzdem kaum.

Im eher rechten, konservativen Spektrum der Sozialdemokraten war Franziska Giffey schon zuhause, als ihre politische Karriere 2010 in Berlin-Neukölln begann. Ein multikultureller Problembezirk mit rund 320.000 Einwohnern und viel Armut. Giffey war hier zunächst Bildungsstadträtin und dann Bezirksbürgermeisterin.

Deutschland Franziska Giffey 2015
Franziska Giffey 2015 im Bezirksparlament von Berlin-NeuköllnBild: Paul Zinken/dpa/picture alliance

Sie machte sich einen Namen als "Macherin". Sagte kriminellen Clans den Kampf an, ließ das Ordnungsamt nachts in Parks patrouillieren und holte Wachschutz an schwierige Schulen. Sie setzte sich für eine Kindergartenpflicht ein und Vorschulklassen mit verpflichtendem Deutschunterricht.

Feindbild der Linken

In der traditionell linken Berliner SPD war das politisch genauso wenig selbstverständlich wie das Programm, mit dem die inzwischen 43-Jährige ihre Partei nun bei der Abgeordnetenhauswahl antreten ließ. Unter der Überschrift "Für eine soziale und sichere Metropole" standen Forderungen nach Sauberkeit, Sicherheit und weitestgehend freier Fahrt für Autos in der Stadt ganz oben. Positionen, die auch die CDU vertritt.

Berlin Wahlprogramm Franziska Giffey SPD
Franziska Giffey wurde auf den Wahlplakaten als "Macherin" inszeniertBild: Photopress Müller/imago images

Während sich die SPD - fasziniert von ihren steigenden Umfragewerten - Giffeys politischer Linie geradezu widerspruchslos anpasste, schlugen die bisherigen Koalitionspartner, die Grünen und die Linkspartei, Alarm. Die SPD-Spitzenkandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin wurde mit Margaret Thatcher verglichen, der einstigen konservativen britischen Regierungschefin.

#giffeyverhindern

Ein Wahlplakat, auf dem Franziska Giffey, in Blau getaucht aufwärts blickend vor einem weißen Strahlenkranz abgebildet war, provozierte wahlweise den Vergleich mit der Ästhetik nationalsozialistischer Propaganda und der der DDR-Jugendorganisation FDJ. Protest gab es auch, als Giffey sagte, sie sehe bei der Unterstützung der Linkspartei für den Volksentscheid zur Enteignung von großen Wohnungsunternehmen "rote Linien überschritten".

Je näher der Wahltag rückte und je mehr sich die Umfragewerte der SPD verbesserten, umso aufgeregter wurden die Kampagnen in den sozialen Medien. #giffeyverhindern, #promotionsbetrügerin und #plagiatsbetrügerin lauteten die Hashtags, mit denen nicht nur die linke Szene gegen Giffey wetterte, sondern auch linke und grüne Politiker.

Die SPD gewann trotzdem. Knapp nur, aber es reicht für den Anspruch, eine Regierungskoalition zu bilden und die Regierende Bürgermeisterin zu stellen.

Probleme? Dafür gibt es Lösungen!

"Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen", das ist ein Satz, den Franziska Giffey gerne sagt, wenn sie auf ihren Werdegang angesprochen wird. Tatsächlich ist in ihrem Leben einiges nicht so gelaufen wie geplant. Angefangen mit ihrem ursprünglichen Berufswunsch. Aufgewachsen in Briesen, einem kleinen Ort südöstlich von Berlin, wollte die Abiturientin Lehrerin für Englisch und Französisch werden.

Der Traumberuf hatte sich erledigt, als Ärzte eine Schwäche der Kehlkopfmuskulatur diagnostizierten. Ihre Stimme hätte den Belastungen nicht standhalten können. Giffey wechselte das Studium und studierte Verwaltungsrecht, ein Fach, das eigentlich in eine Beamtenlaufbahn in einer Behörde mündet. Sie arbeitete in der Berliner Kommunalverwaltung und im Büro des Berliner Bezirksbürgermeisters von Treptow-Köpenick.

Deutschland Franziska Giffey 2019
Am Internationalen Frauentag fuhr Franziska Giffey werbewirksam mit der Müllabfuhr durch BerlinBild: F.Boillot/snapshot/imago images

Der dortige Büroleiter entdeckte ihr Talent und bestärkte sie darin, beruflich Karriere zu machen. Ratschläge gab es auch in Kleidungsfragen. Sie solle sich konservativer kleiden, um als Frau anders wahr und ernst genommen zu werden, soll er ihr gesagt haben. Eine Aufforderung, die bis heute nachwirkt. "Meine Kleidung ist mein Schutz, meine Uniform", sagt Franziska Giffey über ihre stets etwas bieder hochgesteckten blonden Haare und die Kostüme, die im Stil französischer Etuikleider an die fünfziger und sechziger Jahre erinnern.

Von der Verwaltung in die Politik

Von 2003 bis 2005 absolvierte Giffey den Masterstudiengang Europäisches Verwaltungsmanagement und startete ihr Promotionsvorhaben in Politikwissenschaft. Auch die Doktorarbeit sollte ein Schutz sein. "Ich war eine junge Frau, blond, hohe Stimme. Ich wollte mich nicht mehr beweisen müssen, in keine Schublade mehr gesteckt werden", sagte sie einmal in einem Zeitungsinterview. Sie sei überzeugt gewesen, die 2010 beendete Arbeit sei "in Ordnung". Sonst hätte sie den Doktortitel doch nicht "so vor mir hergetragen", behauptete Giffey später immer wieder.

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Blumen für SPD-Wahlsieger: Franziska Giffey (Berlin), Olaf Scholz (Bund), Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern)Bild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

In der SPD ist Franziska Giffey seit 2007. Auf der politischen Karriereleiter hat sie sich kontinuierlich nach oben gearbeitet. 2020 übernahm sie zusammen mit Raed Saleh den Vorsitz der Berliner SPD. Sie ist Mitglied im Bundesvorstand der SPD und hätte 2019 gerne für den Parteivorsitz kandidiert, zog ihre Ambitionen wegen der Plagiatsvorwürfe aber zurück.

Betrugsverfahren gegen den Ehemann

Auch im Privatleben lief bei Franziska Giffey einiges anders als geplant. Sie ist seit 2008 verheiratet und hat einen Sohn. Ihr Mann Karsten Giffey, der als Amtsveterinär für das Land Berlin arbeitete, stand 2020 wegen des Verdachts auf "vorsätzlichen und systematischen Betrug", wie es in der Anklageschrift hieß, vor Gericht.

Er hatte während seiner Dienstzeit Vorträge und Seminare gegeben und damit unerlaubt Geld verdient. Nachdem er aus um Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten hatte, wurde das Gerichtsverfahren eingestellt, gegen Zahlung von 10.000 Euro Bußgeld und Ersatz des für das Land Berlin entstandenen Schadens.

Für Franziska Giffey, gegen die zu diesem Zeitpunkt bereits Plagiatsvorwürfe existierten, war das ein zusätzlicher Schlag. Gemeinsame Auftritte des Ehepaars, die ohnehin rar waren, weil Giffey Berufs- und Privatleben zu trennen versucht, gibt es seitdem gar nicht mehr. Wenn sie sich mit einem Familienangehörigen zeigt, dann nur mit ihrem Vater. Der ist 67 Jahre alt, sammelt jeden Zeitungsausschnitt über Franziska Giffey und sagte am Wahlabend in Berlin, er sei ihr größter Fan und sehr stolz auf seine Tochter.