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Frank-Walter Steinmeier - ein Kulturmensch

12. Februar 2022

Er liebt den Jazz, hat Sinn für Kunst und ist belesen: Mit Frank-Walter Steinmeier geht ein Kulturmensch in die zweite Amtszeit als Bundespräsident.

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Deutschland | Schloss Bellevue in Berlin | Amtssitz des Bundespräsidenten
Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Soeben feierte das Essener Folkwang-Museum sein 100-jähriges Bestehen. Berühmte Bilder der französischen Maler Renoir, Monet und Gauguin reisten zur großen Jubiläumssausstellung an. Aus Berlin kam der Bundespräsident. Der Festakt: ein Pflichttermin für Frank Walter Steinmeier, den "Freund der schönen Künste", wie ihn das SPD-Parteiblatt "Vorwärts" anerkennend nennt.

Seit ihn die Bundesversammlung am 10. Februar 2017 in das höchste Staatsamt wählte, genießt Steinmeier solche Begegnungen. Ob beim Rheingau-Musikfestival, beim Adventskonzert oder beim Bonner Jazzfest, die Reihe seiner Eröffnungsreden und Schirmherrschaften ist lang - Kunstgenuss inbegriffen, versteht sich. Nun wird die Liste wohl noch länger. Am 13. Februar 2022 tritt die Bundesversammlung im Paul-Löbe-Haus in Berlin zusammen, um den 12.Bundespräsidenten zu bestimmen. SPD, Grüne, FDP und auch die Unionsparteien haben schon angekündigt: Steinmeiers Nachfolger wird...er selbst.

Kulturköpfe wählen Steinmeier

Eine gute Nachricht, wie manche Kulturleute finden: Vor fünf Jahren noch waren es Prominente wie die Sänger Roland Kaiser und Peter Maffay, der Regisseur Marcus Rosenmüller, die Schauspielerinnen Iris Berben und Natalia Wörner, Stefanie Kloß von der Band "Silbermond", Katja Ebstein oder auch der YouTuber Julien Bam, die für die SPD als Wahlmänner-bzw. frauen in die Bundesversammlung zogen und - mutmaßlich - dem gemeinsamen Kandidaten von Union und SPD ihre Stimme gaben.

In diesen Tagen stellten die Fraktionen der Ampelregierung erneut ihre Wahltruppen zusammen, darunter wiederum viele Kulturköpfe, die Namen nicht weniger klangvoll: Der Pianist Igor Levit etwa, die Schriftsteller Sasa Stanisic und Gaby Hauptmann, die Schauspielerinnen Renan Demirkan und Sibel Kekilli oder der Entertainer Bernd Stelter.

Sinn für Kunst - ohne viel Aufhebens

Bevor er 2017 den Posten des Außenministers gegen den des Staatsoberhaupts tauschte, gab es freundlichen Beifall aus Kulturkreisen. "Viele Kulturschaffende wünschen sich, dass Steinmeier die Nachfolge von Präsident Joachim Gauck antritt", recherchierte die Nachrichtenagentur DPA. Zitiert wurden der Opernsänger Thomas Quasthoff und der Filmemacher Sönke Wortmann. "Er hat einen Sinn für Kunst, ist auch belesen, aber davon macht Frank-Walter Steinmeier wenig Aufhebens", so die Beobachtung.

Das mag an Steinmeiers ostwestfälischem Temperament liegen, gerne verbunden mit Zurückhaltung und Bescheidenheit. In dem 1000-Seelen-Dorf Brakelsiek, nicht weit von Detmold, ist der Tischlersohn "Frank" (damals noch ohne Walter) groß geworden. Er kickte beim TuS 08 Brakelsiek und soll, wie später in der Politik, eine Art Allzweckwaffe gewesen sein, einsetzbar auf bald jeder Position. "Einer", wie es in einem Zeitungsporträt heißt, "der keine Geniestreiche bot, aber zäh und zuverlässig kämpfte - und im Zweifelsfall abwartete".

Populär bei seinen Landsleuten

Abwarten zu können scheint eine von Steinmeiershervorstechenden Tugenden zu sein. Langen Atem beweist er auf seinen politischen Stationen: An der Seite von Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) managt Steinmeier die Staatskanzlei in Hannover. Mit Schröder, Jurist wie er, wechselt er 1998 ins Bundeskanzleramt, erst in Bonn, dann in Berlin. Sein Spitzname: "Die Graue Effizienz". Nach der Ära Schröder wird Steinmeier - unterbrochen durch vier Jahre als Oppositionsführer - zweimal Außenminister einer Großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel. Steinmeiers eigene Kanzlerkandidatur 2009 scheitert indes krachend.

"Von Parteiämtern und Mandaten hatte er sich lange ferngehalten", kommentierte der Cicero-Kolumnist Matthias Heitmann 2017 frech, "Stattdessen nutzte er lieber den Technokrateneingang, um an die Schaltstellen der Macht zu gelangen." Am Ende aber gelingt Steinmeier der Sprung ins Präsidentenamt. Sein unprätentiöses, verbindliches Auftreten während der Außenministerjahre hat ihn populär gemacht.

Einsatz für Corona-Hilfen in der Kultur

Nachdenklich, zuhörend und vermittelnd füllt er die Präsidentenrolle aus, etwa als er gleich zu Beginn der Corona-Pandemie einige Kritiker staatlicher Schutzmaßnahmen trifft. Unüberhörbar dann sein Appell, die leidende Kultur mit neuen Geldspritzen zu unterstützen. "Die Aussichten für die Zeit nach diesem zweiten Pandemiewinter sind ungewiss", sagt Steinmeier beim präsidialen Adventskonzert im Dezember 2021, "für viele freie und städtische Museen und Bühnen, aber auch für die Clubs geht es ums Überleben!" Dabei sei die Kultur doch der Kitt der Gesellschaft, gerade in einer so schweren Krise.

Steinmeiers Eintreten für die Kultur erinnert an seine Außenministerzeit. Als er 2005 Chef im Auswärtigen Amt wird, leidet die Auswärtige Kulturpolitik unter Sparzwängen, einige Goethe-Institute müssen schließen. Steinmeier ist überzeugt: In einer kriselnden Welt kann die Kultur manchmal mehr erreichen als die Politik, in religiösen oder kulturellen Konflikten schafft sie den Raum für Begegnungen und so die Basis für Dialog und Verständigung. Steinmeiers Amtszeit gilt denn auch als Wendepunkt: Binnen drei Jahren steigen die Mittel für die Auswärtige Kulturpolitik um 35 Prozent auf über 650 Millionen Euro. Zehn Goethe-Institute werden wieder - oder neueröffnet. Das Kulturinstitut kann seine Strukturen modernisieren und - dank Steinmeier - wieder nach vorne blicken.

Kultur- und Geschichtsbewusstsein

Im Schloss Bellevue in Berlin zeigen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Bütenbender DDR-Kunst
Gemälde von DDR-Künstlern im Berliner Schloss Bellevue. Der Bundespräsident beweist Geschichtsbewusstsein Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Dazu passt, dass Steinmeier seinen Berliner Amtssitz Bellevue erst unlängst hat umdekorieren lassen. Aus Verehrung für die Gebrüder Humboldt wurde ein Saal mit Me­mo­ra­bilien der beiden preußischen Aufklärer bestückt. Schaukästen mit Steinproben aus Mexiko, Italien und Ka­sachstan stehen da jetzt, eingerahmt von Porträts der Forscher-Brüder. Neugestaltet wurden auch drei Räume im Hauptflügel des Schlos­ses.

Der einstige Gartensalon heißt nun "Salon Voltaire", dort hängen Büsten des französischen Philosophen, seines Förderers Friedrich des Großen und Immanuel Kants sowie sechs Ölporträts von Anton Graff. Das frühere Musikzimmer verwandelte sich in den "Schinkel-Salon" mit Entwürfen des Architekten, und der Damensalon in den "Salon Rahel Varnhagen", behängt mit einem Bildnis der berühmten Salonnière. Preußen konnte auch anders, so Steinmeiers geschichtspolitische Botschaft. Geschichtsbewusstsein demonstrierte der Präsident auch 2019, als er zum 30. Jubiläum des Mauerfalls Gemälde von DDR-Künstlern im Schloss Bellevue aufhängen ließ. Als Verbeugung vor allen, "die im Jahr 1989 den Mut aufgebracht haben, auf die Straße zu gehen."

Steinmeier, der Jazz-Fan

Gerne gibt der Bundespräsident den kulturaffinen Gastgeber, wie zum Auftakt des Bonner Jazzfestes 2019. Helle Frauenstimmen des Kölner Vokal-Ensembles "Of Cabbages And Kings" zaubern ein seliges Lächeln auf Frank-Walter Steinmeiers Gesicht. Der zum Jazzvirtuosen gewandelte Opernstar Thomas Quasthoff tritt auf, es folgen der Jazz-Pianist Frank Chastenier und das Duo Julia Hülsmann und Christopher Dell. Das Entree der spätklassizistischen Villa Hammerschmidt, Steinmeiers zweiter Amtssitz in der früheren Bundeshauptstadt, trägt Züge eines Jazzkellers - ganz nach dem Geschmack des Hausherrn. 

Dass er dem Jazz zugetan ist, daraus hat Steinmeier nie einen Hehl gemacht. Bei einem Konzert im Berliner Schloss Bellevue 2017 betonte er die historische Bedeutung der Musikrichtung: "Jazz war nach dem Krieg für die Deutschen so etwas wie der Soundtrack zum neuen Leben, die Melodie der Befreiung, vielleicht sogar der Freiheit." Beeindruckt habe ihn "die ganz besondere Verbindung zwischen Struktur und Freiheit, Konzept und Improvisation, Strenge und Spontaneität im Jazz". Das klang wie eine Liebeserklärung - des alten und absehbar neuen Präsidenten.