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WHO empfiehlt Remdesivir nicht bei COVID-19

Alexander Freund mit Fabian Schmidt
20. November 2020

Zwar verringert das Medikament Sterberate und Krankheitsdauer - das erhoffte Zaubermittel gegen das Coronavirus ist Remdesivir aber nicht. In ihrer neuesten Richtlinie empfiehlt die WHO es ausdrücklich nicht.

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Remdesivir antivirales Medikament in Erprobung
Bild: picture-alliance/AP/Gilead Sciences

In ihrer jüngsten Aktualisierung der Behandlungsleitlinie für COVID-19-Patienten empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Medikament Remdesivir ausdrücklich nicht für die Behandlung in der Intensivmedizin.  Es gebe derzeit keine Hinweise darauf, dass das Medikament das Überleben oder die Notwendigkeit einer Beatmung verbessere, schreibt die Guideline Development Group der WHO in ihrer Empfehlung. 

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat das Medikament Remdesivir  indes noch Ende Oktober zur Behandlung von COVID-19-Erkankungen zugelassen. Das geht aus einer Mitteilung der FDA hervor. Bislang hatte das Mittel in den USA eine Notfallgebrauchszulassung (EUA). In Europa hatte das Mittel im Juli als erstes Medikament eine Zulassung unter Auflagen zur spezifischen Behandlung von bestimmten COVID-19-Patienten erhalten. 

Bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der ersten Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus in China war das Medikament in den Fokus der Forscher geraten. Der Wirkstoff war ursprünglich gegen Ebola-Infektionen entwickelt worden, zeigte aber auch bei SARS- und MERS-Coronaviren im Labor Wirkung. Und der neue Corona-Erreger SARS-CoV-2 gilt als Variante des SARS-Erregers von 2002.

Das vom US-Pharmaunternehmen Gilead Sciences als GS-5734 entwickelte Remdesivir war bis zur jetzigen Entscheidung der FDA in keinem Land weltweit offiziell zugelassen. Aber zahlreiche Länder hatten eine EUA erteilt. Zudem kam es im Rahmen wissenschaftlicher Studien zum Einsatz. Gilead Sciences hat dem Medikament im Herbst 2020 den Markennamen Veklury verliehen. 

Da eine erste klinische Studie in den USA im Mai 2020 positiv verlaufen war, erteilte die US-Arzneimittelbehörde FDA damals die EUA. Danach durfte Remdesivir im Krankenhaus bei einzelnen Patienten gegen die Lungenkrankheit COVID-19 eingesetzt werden, also auch außerhalb klinischer Versuche. 

Erst am 15. Oktober veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine weniger optimistische Studie als nicht begutachtete Vorab-Publikation auf MedRxiv. Daraus geht hervor, dass Remdesivir die Sterblichkeit von COVID-19 Patienten kaum senkt. Die Studie ist ein Ergebnis des sogenannten SOLIDARITY Trial, in dem die Daten von 11.266 Patienten ausgewertet wurden. 

Gilead Sciences bedauerte in einem Statement vom 15. Oktober 2020, dass durch die Vorab-Veröffentlichung "die Daten von dieser offenen globalen Versuchsreihe nicht die notwendige rigorose Überprüfung durchlaufen haben, wie es für eine konstruktive wissenschaftliche Diskussion notwendig ist". 

Zudem verwies die Firma auf eine weitere Studie mit 1062 Probanden, die kurz zuvor im New England Journal of Medicine erschienen war und die zeigte, dass mit Remdesivir die durchschnittliche Heilungsdauer von 15 auf 10 Tage verkürzt werden konnte. 

Gilead Sciences hatte bereits am 7. August seinen Antrag auf die reguläre Zulassung des Medikaments bei der FDA gestellt.

Mehr dazu: EU-Kommission sichert Bezug von Remdesivir für 30.000 Menschen 

  

Wie wirkt Remdesivir? 

Die antivirale Wirkung von Remdesivir beruht auf seiner Funktion als sogenanntes Nukleotidanalog. Der Wirkstoff hemmt die RNA-Polymerase (RdRp) von Viren wie Ebola und MERS, denn seine Struktur ähnelt RNA-Bausteinen und bei der Virenvermehrung werden diese irrtümlich in die Erbgutstränge der neuen Viruskopien eingebaut. Wirklich funktionsfähige neue Viren können so nicht entstehen. 

Bei Ebola erwies sich Remdesivir zwar als nicht wirklich effektiv, aber bei Zellkulturversuchen und ersten Experimenten an Makaken zeigte es eine vielversprechende Wirkung gegen die mit SARS-CoV-2 eng verwandten Coronaviren SARS und MERS-CoV. 

Weißes Haus feierte positive Effekte

Erste positive Resultate der frühen randomisierten klinischen Studien in den USA hatte Präsident Donald Trump bereits am 29. April direkt aus dem Weißen Haus in Washington verkündet. Der Direktor des National Institute for Allergy and Infectious Diseases (NIAID), Anthony Fauci, sagte seinerzeit bei einer Pressekonferenz zu Remdesivir: "Das wird zum Behandlungsstandard werden." 

An der von dem Institut finanzierten Studie "Adaptive COVID-19 Treatment Trial" hatten zuvor insgesamt 1.063 Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad der Erkrankung teilgenommen, die zehn Tage lang mit Remdesivir oder Placebo behandelt wurden.

Bei solch einer randomisierten Doppelblindstudie wissen weder die behandelnden Ärzte noch die Patienten, wer täglich den Wirkstoff und wer nur ein Placebo injiziert bekommt. Dadurch soll verhindert werden, dass die Erwartungen an den Wirkstoff möglicherweise die tatsächlichen Ergebnisse verzerren. 

Mehr dazu: Remdesivir: Spaltpilz und Kostenfaktor

USA | Washington | Trump äußert sich über das Coronavirus
US-Präsident Trump gibt bei seinen Corona-Pressekonferenzen gerne RatschlägeBild: picture-alliance/AP Photo/A. Brandon

Die Ergebnisse der damaligen Studie deuteten ebenfalls auf eine frühere Genesung der Patienten hin. Laut NIAID hatten die COVID-19-Patienten, die Remdesivir erhielten, eine um durchschnittlich 31 Prozent schnellere Genesungszeit aufgewiesen als Patienten, die ein Placebo erhalten hatten. Allerdings war der Unterschied nicht so deutlich wie bei der jüngsten Studie in NEJM: Remdesivir-Patenten waren durchschnittlich nach 11 Tagen genesen, Placebo-Patienten nach 15 Tagen. 

Die Mortalitätsrate betrug demnach in der mit Remdesivir behandelten Gruppe acht Prozent - und 11,6 Prozent bei den Placebo-Patienten.

Vorzeitig abgebrochene Studien

Diese Ergebnisse reichten den Verantwortlichen damals für die vorübergehende Sonderzulassung des Medikaments. Die Ergebnisse seien aussagekräftig genug, hieß es vom US-amerikanischen National Institute of Health.

Parallel zu den Erfolgsmeldungen aus Washington kamen indes ernüchternde Meldungen aus China, wo Remdesivir zuerst in Wuhan in randomisierten klinischen Studien auf seine Wirksamkeit bei schwer an COVID-19 erkrankten Patienten auf Intensivstationen erprobt worden war. 

China Wuhan FEBRUAR | Coronavirus | Wang Chen
Am Ausgangsort der Corona-Pandemie in Wuhan gibt es mittlerweile zu wenige Patienten Bild: picture-alliance/Xinhua News Agency/C. Min

Mittlerweile fehle es in Wuhan aber wegen der stark zurückgegangen Neuinfektionen an den nötigen Patienten, die Studie wurde ebenfalls vorzeitig abgebrochen, war in der Fachzeitung The Lancet zu lesen. 

Was bedeuten die Ergebnisse?

Sowohl die Daten aus dem April als auch die jüngst veröffentlichen Studien deuten darauf hin, dass der Wirkstoff Remdesivir als gemäßigt wirksam zu betrachten ist. Er senkt die Sterberate leicht, aber nicht wirklich signifikant. Und er bewirkt, dass sich die Krankheitsdauer um wenige Tage verkürzt.

Das ist zwar sehr erfreulich, es ist allerdings längst nicht der durchschlagende Erfolg, den sich viele von dem Wirkstoff-Kandidaten erhofft hatten.

Führende deutsche Experten der Infektiologie rechneten nach Bekanntwerden der US-Studie vor einem halben Jahr mit einer raschen Zulassung von Remdesivir zur Behandlung von COVID-19, so auch Gerd Fätkenheuer vom Uniklinikum Köln, der eine klinische Prüfung des Wirkstoffs bei Patienten in Deutschland leitete. "Für Patienten mit einer schweren Form dieser Erkrankung macht diese Studie Hoffnung, schneller und sicherer von der Infektion genesen zu können", sagte Fätkenheuer im Mai. Seitdem gilt Remdesivir als Maßstab für die Bewertung der Wirksamkeit anderer Medikamente bei der Behandlung von COVID-19. 

Mehr dazu: Neue Studie: Was wir über Corona-Immunität wissen

"Die Ergebnisse der groß angelegten SOLIDARITY Studie der WHO mit immerhin 11.266 weltweit eingeschlossenen Patienten sind nicht ganz unerwartet, aber daher nicht weniger enttäuschend", sagte Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen in München nach der Veröffentlichung der neuesten Ergebnisse. "Trotz der Einschränkung, dass bis dato keine detaillierten Daten auf dem Preprint-Server verfügbar sind und ein Peer Review Verfahren noch aussteht, kann festgehalten werden, dass die Studie ihren primären Endpunkt verfehlt hat: Durch keines der vier getesteten Medikamente - Remdesivir, Hydroxychloroquin, Lopinar/Ritonavir und IFN-ß1a - lässt sich die Sterblichkeit von COVID-19 bei symptomatischen Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, verringern."

Dieser Artikel war ursprünglich am 30. April - also vor der Zulassung von Remdesivir - veröffentlicht worden. Er wurde nach der EUA-Zulassung des Medikaments und zuletzt nach der offiziellen Zulassung durch die FDA und der Neupositionierung der WHO am 20.11.2020 aktualisiert, um neueste Studienergebnisse und Entwicklungen zu berücksichtigen. 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund