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Exponentielles Wachstum macht Indien zum globalen Hotspot

28. April 2021

Mehr als 360.000 Corona-Neuinfektionen täglich - wie bei der legendären Schachbrett-Formel könnte das exponentielle Wachstum mittelfristig nicht nur für Indien, sondern weltweit zum Problem werden.

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Frauen in Indien ruhen auf einem gekachelten Fußboden mit Schachbrett-Muster
Die Schachbrett-Formel macht Epidemiologen nicht nur in Indien Sorgen. Bild: picture alliance/WILDLIFE

Die Zahl der Neuinfizierten in Indien schockiert die Welt: Aktuell verzeichnet Indien mehr als 360.000 Neuinfektionen täglich - das ist der höchste Wert weltweit. Fast 18 Millionen Menschen sind dort zur Zeit infiziert, mehr als 200.000 Inder sind bereits an oder mit COVID-19 gestorben. Dabei dürfte die Dunkelziffer sogar noch viel höher liegen. 

Verschärft wurde die Lage durch die neue "Doppelmutante" B.1.617, die gleich zwei Mutationen im sogenannten Spike-Protein verbindet. Seit Anfang April explodieren die Zahlen, die Kurve steigt exponentiell an. 

Dieses exponentielle Wachstum könnte mittelfristig nicht nur für den indischen Subkontinent und seine Nachbarländer, sondern weltweit zum Problem werden. 

Was heißt exponentielles Wachstum beim Coronavirus?

Zur Veranschaulichung von exponentiellem Wachstum gibt es eine sehr passende Legende aus Indien von zeitloser Gültigkeit: Vor langer Zeit tyrannisierte der indische Herrscher Shihram seine Untertanen, im Land herrschte großes Elend. 

Um seinen König auf die Missstände aufmerksam zu machen, erfand der weise Brahmane Sissa das Schachspiel mit seinen 64 Feldern, bei dem der König zwar die wichtigste Figur ist, der allerdings ohne die Unterstützung der Bauern und der anderen Figuren nichts ausrichten kann. 

Die Spielfigut König vor einem Schachbrett
Natürlich geht es in der weltweiten Corona-Pandemie nicht um Weizenkörner, sondern um Menschen.Bild: picture-alliance/P. Mall

Dem König gefiel das Spiel und deshalb wollte er den Erfinder belohnen. Der schlaue Sissa wünschte sich, dass auf das erste Feld eines Schachbretts ein Weizenkorn gelegt wird, auf das zweite Feld das Doppelte, also zwei, auf das dritte wiederum die doppelte Menge, also vier und so weiter. 

Der Kaiser fühlte sich angesichts der vermeintliche Bescheidenheit des Brahmanen gekränkt, da ihm das exponentielle Ausmaß des Wunsches noch nicht bewusst war. Es dauerte Tage, bis die höfischen Rechenmeister die erforderliche Menge an Weizenkörnern berechnet hatten. Am Ende teilte der Vorsteher der Kornkammer mit, dass so viel Weizen im ganzen Reich nicht aufgebracht werden könne. 

Denn der schlaue Brahmane müsste 18 Trillionen, 446 Billiarden, 744 Billionen, 73 Milliarden, 709 Millionen, 551 Tausend, 615 Weizenkörner bekommen, das entspricht rund 730 Mrd. Tonnen Weizen, in etwa das Tausendfache der weltweiten Weizenernte des letzten Jahres (776,78 Mio. Tonnen).

Was bedeutet die Schachbrettformel für die Pandemie? 

Natürlich geht es in der weltweiten Corona-Pandemie nicht um Weizenkörner, sondern um Menschen. Überträgt man die Schachbrett-Formel auf die Pandemie, entspräche dies einer Ansteckungsrate (Reproduktionszahl R)  von 2, das hieße, jeder Infizierte würde zwei weitere Menschen anstecken. 

Infografik Symbole Corona-Infektion - Exponentielles Wachstum

In Indien leben aktuell 1,395 Milliarden Menschen. Mit dem Coronavirus infiziert sind derzeit fast 18 Millionen. Glücklicherweise liegt die Reproduktionszahl R bei COVID-19 meist deutlich niedriger als in der Schachbrett-Formel. In Indien liegt sie nach einem Bericht von Indiatoday derzeit bei 1,32.

Der Wert ist aber stark abhängig vom Verhalten der Menschen und von gesellschaftlichen Faktoren: Ob sie Abstand und strenge Hygiene einhalten, ob sie unter beengten Bedingungen leben und unter welchen Umständen sie arbeiten. So war der Wert in Indien während der ersten Corona-Welle im März 2020 auch schon einmal viel höher als jetzt: bei 1,83. 

So oder so - bei der derzeitigen Entwicklung ist damit zu rechnen, dass sich die Zahl der Infizierten schnell verdoppelt. 

Mehr Infizierte, mehr Tote

Mit den exponentiell steigenden Infektionszahlen steigt auch die Zahl der Todesfälle rasant an. Bislang sind in Indien mehr als 200.000 Menschen an oder mit COVID-19 verstorben. Aktuell liegt die Sterblichkeitsrate in Indien bei 1,14 %. Wenn also von den 18 Mio. Infizierten 1,14 % sterben, entspricht das noch einmal 205.200 Toten. Verdoppelt sich die Zahl der Infizierten, sind es bereits 410.400 Tote zusätzlich. 

Und da das neuartige Coronavirus SARS CoV-2 bekanntlich nicht an Landesgrenzen halt macht, löst die indische Virusvariante B.1.617 und das exponentielle Wachstum der Neuinfektionen auf dem indischen Subkontinent nicht nur dort, sondern weltweit zu Recht Sorgen aus. 

 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund