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Politik

Großbritannien wegen Corona-Mutation isoliert

21. Dezember 2020

Viele Länder haben Flugverkehr aus und nach Großbritannien gestoppt, der Fährbetrieb ruht und der Eurotunnel ist geschlossen. Der Virologe Christian Drosten ist indes wegen der neuen Coronavirus-Variante wenig besorgt.

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Der Brexit und die Corona-Pandemie sorgten schon vor der Sperrung für endlose Staus vor dem Hafen Dover
Der Brexit und die Corona-Pandemie sorgten schon vor der Sperrung für endlose Staus vor dem Hafen DoverBild: Gareth Fuller/empics/picture alliance

Das europäische Festland macht nach und nach die Schotten dicht: Alle Verkehrswege zum Vereinigten Königreich sollen weitgehend unterbrochen werden. Weil Frankreich die Grenzen zum Vereinigten Königreich geschlossen hat, wurden der wichtige britische Hafen Dover am Ärmelkanal sowie der Eurotunnel geschlossen. Auch die niederländische Regierung lässt keine Passagiere von Fähren aus Großbritannien mehr einreisen.

Sowohl Frachtverkehr als auch Passagiere würden gebeten, nicht mehr anzureisen, gab der Hafen Dover am Sonntagabend bekannt. Diese Beschränkungen seien für mindestens 48 Stunden von Mitternacht an in Kraft. Nur der unbegleitete Frachtverkehr sei genehmigt. Der letzte Zug von Großbritannien durch den Tunnel nach Frankreich fuhr am Sonntagabend in London ab.

Noch entscheidet jedes EU-Land für sich

Frankreich hat das Einreiseverbot wegen der neuen hoch ansteckenden Variante des Coronavirus verhängt. Das Verbot gilt für alle Grenzübergänge auf dem Luft-, See-, Schienen- und Landweg aus dem Vereinigten Königreich. Auch Deutschland schränkt die Reisemöglichkeiten ein. Das Bundesverkehrsministerium hat ein Landeverbot für Flüge aus Großbritannien und Nordirland verfügt. Man berufe sich dabei auf eine EU-Verordnung, damit könne die Regelung ab Mitternacht zunächst bis zum 31. Dezember gelten, heißt es. Ausgenommen sind reine Frachtflüge, Flüge mit medizinischem Personal oder, wenn Jets nur mit Crews an Bord nach Deutschland zurückkehren. 

Rund 120 Passagiere aus Großbritannien mussten die Nacht zum Montag im Transitbereich des Frankfurter Flughafens verbringen, weil das Ergebnis ihres Corona-Tests noch nicht vorlag. im Berliner Hauptstadtflughafen in Schönefeld
warteten am morgen noch 77 Passagiere auf eine Klärung durch einen Test. Aus demselben Grund durften in Hannover 63 Passagiere eines Flugs aus London den Flughafen nicht verlassen. Nach Angaben des Flughafens wurden im Terminal Feldbetten aufgebaut und die Passagiere dort auch verpflegt.

Verbindungen nach Südafrika sollen ebenfalls eingeschränkt werden, nachdem das mutierte Virus dort entdeckt wurde. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte, in Deutschland sei die neue Variante bisher noch nicht nachgewiesen worden. Aber man nehme alle Meldungen darüber sehr ernst.

Immer mehr Länder stellen Flugverkehr mit Großbritannien ein

Bei Flug- oder Landeverboten waren Belgien und die Niederlande vorgeprescht. Inzwischen sind viele Länder nachgezogen. Dazu gehören Deutschland und die meisten anderen EU-Staaten, aber auch Norwegen, Indien, Hongkong, Kanada, Argentinien und Chile. Malta verordnete Quarantäne für Reisende aus Großbritannien. Zumeist treten die Landeverbote um Mitternacht in der Nacht zum Dienstag in Kraft.

Einige Staaten gingen noch weiter. So stellt die Schweiz auch die Flugverbindungen nach Südafrika ein und die Türkei akzeptiert keine Flüge aus Südafrika und den Niederlanden mehr, weil dort ebenfalls Virus-Mutationen im Umlauf sind. Saudi-Arabien schloss gar seine Flughäfen für alle internationalen Flüge sowie seine Häfen und Grenzübergänge. 

Probleme zuhauf

Premierminister Boris Johnson hat für diesen Montag ein Krisentreffen seiner Regierung einberufen. Ein "steter Fluss von Fracht" aus und nach Großbritannien müsse sichergestellt werden. Wegen der Schließung der wichtigen Verbindungen wird der Druck vor allem auf den Frachtverkehr zwischen Großbritannien und der EU noch stärker zunehmen. Ohnehin kommt es seit Wochen auf den Autobahnen Richtung Dover und dem Eurotunnel zu langen Staus. Grund sind das hohe Aufkommen zu Weihnachten, aber auch größere Lieferungen von medizinischem Material wegen der Corona-Pandemie. Zudem versuchen viele Unternehmen, vor Ablauf der Brexit-Übergangsphase am 31. Dezember ihre Lagerbestände aufzufüllen.

Britische Verbände warnen vor Versorgungsengpässen. "Das ist eine Hauptversorgungsroute für frische Produkte in dieser Jahreszeit", sagte der Lebensmittelexperte des Handelsverbandes BRC. Nur wenige Fuhrunternehmen würden die Gefahr eingehen, ihre Fahrer nach Großbritannien zu schicken - ohne eine Garantie, dass diese auf den Kontinent zurückkehren können. Der britische Logistikverband UK Logistics äußerte sich "besorgt über das Wohlergehen der Fahrer".

Der Chef des Transportverbands RHA, Richard Burnett, sagte dem Sender BBC Radio 4, der Transport von frischen und verderblichen Waren sei nun die größte Herausforderung. Der BRC forderte die britische Regierung und die EU auf, sobald wie möglich eine pragmatische Lösung zu finden, um Störungen bei Lieferungen zu Weihnachten möglichst zu vermeiden.

Festung gegen britische Corona-Variante

Nach einem bislang unbestätigten Bericht der "Bild"-Zeitung strebt Bundeskanzlerin Angela Merkel die Total-Abriegelung Europas für Reisen von und nach Großbritannien bis zum 6. Januar an. Anfang der Woche soll demnach die EU über die komplette Einstellung des Personenverkehrs zwischen dem europäischen Festland und dem Königreich entscheiden.

Die Bundeskanzlerin, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates, erörterten in einem Telefonat die neue Lage. Nach Angaben aus Elysée-Kreisen habe ein gemeinsames Vorgehen im Mittelpunkt der Gespräche gestanden. Es gehe darum, Einfallstore für das Virus zu schließen.

Drosten: Nicht besorgt wegen neuer Virus-Variante

Der deutsche Virologe Christian Drosten geht indes davon aus, dass die in Großbritannien entdeckte Virus-Mutation bereits in Deutschland angekommen ist. Das Virus komme seit Ende September in England vor und sei im Oktober noch überhaupt nicht im Fokus gewesen. "Wir wissen jetzt: Es ist schon in Italien, in Holland, in Belgien, in Dänemark - sogar in Australien. Warum sollte es nicht in Deutschland sein?"

Er sei deshalb aber nicht besorgt, sagt der Forscher von der Berliner Charité im Deutschlandfunk. Er wolle die Lage allerdings auch nicht verharmlosen und sei - wie alle anderen auch - in einer "etwas unklaren Informationslage". Ob die neue Virus-Variante tatsächlich deutlich ansteckender sei, könne noch gar nicht bewertet werden. Dafür müssten Informationen aus Großbritannien in dieser Woche abgewartet werden.

Kanzlerin Merkel will das Überspringen der neuen Corona-Variante auf das Festland mit harten Maßnahmen verhindern
Kanzlerin Merkel will das Überspringen der neuen Corona-Variante auf das Festland mit harten Maßnahmen verhindernBild: Florian Gaertner/photothek/imago images

Britischen Behördenangaben zufolge ist die neue Virus-Variante bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form und weitet sich vor allem in London und Südostengland rasant aus. Für die Region ordneten die Behörden einen Shutdown mit Ausgangs- und Reisesperren an. Auch die Landesteile Wales und Schottland verschärften die Restriktionen.

Wirken die neu entwickelten Impfstoffe?

Die Regierung in London äußerte sich besorgt über die neue Corona-Variante. "Sie ist außer Kontrolle, und wir müssen sie wieder unter Kontrolle bekommen", sagte Gesundheitsminister Matt Hancock in der BBC. Ersten Analysen britischer Wissenschaftler zufolge verfügt die Mutation über ungewöhnlich viele genetische Veränderungen, vor allem im Spike-Protein. Dieses Protein benötigt das Coronavirus, um in Zellen einzudringen.

Der in Großbritannien eingesetzte Impfstoff des deutschen Unternehmens BioNTech und seines US-Partners Pfizer erzeugt eine Immunantwort gegen genau dieses Protein. Deswegen gibt es die Befürchtung, dass der Impfstoff gegen die neue Variante möglicherweise nicht wirkt. Nach Angaben des britischen Premierministers Boris Johnson gibt es aber keine Hinweise darauf, dass die Mutation schwerere Krankheitsverläufe oder eine höhere Sterblichkeitsrate auslöse oder dass Impfstoffe gegen die Mutation weniger effektiv seien.

qu/rb/ml (afp, dpa, rtr)