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Europa Hautnah

Kerstin Schweighöfer16. Februar 2007

In unserer Reportage geht es heute um das Thema Leben mit dem Klimawandel. Für die Niederländer heißt das: Leben mit mehr Wasser. Denn wenn der Meeresspiegel steigt, wirkt sich das für sie in Europa am stärksten aus.

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Bild: AP

Schon heute bereiten sich die Niederlande darauf vor: Allerdings nicht mit immer höheren Deichen. Überall wird dem Wasser mehr Raum gegeben - an der Küste durch Deichdurchbrüche, im Landesinneren durch Notauffangbecken. Nicht mehr gegen das Wasser kämpfen, lautet die Devise in den Niederlanden, sondern mit dem Wasser leben. Kerstin Schweighöfer berichtet.

Rund 1.000 Kilometer rheinabwärts bei Hoek van Holland: "Nieuwe Waterweg" heißt das letzte kanalisierte Stück des Rheins, bevor er in die Nordsee mündet. Der fast 400 Meter breite Kanal ist die Lebensader des Rotterdamer Hafens. Er wird jedes Jahr von 80.000 Schiffen befahren. Kurz vor der Hafeneinfahrt werden sie von zwei gigantischen Stahlrohr-Konstruktionen begrüßt, die rechts und links am Ufer liegen. Sie sehen aus wie zwei umgekippte Eiffeltürme. Das ist die Maeslantkering, ein bewegliches Sturmflutwehr. Bei seiner Einweihung 1997 wurde es als Wunder der Technik gefeiert. Zurecht, findet Wasserbauingenieur Joop Weijers. Das Prinzip sei ebenso einfach wie genial: "Bei drohendem Hochwasser können die beiden Stahlkonstruktionen mit Hilfe von Kugelgelenken auf das Wasser hinausgetrieben werden und den Nieuwe Waterweg abriegeln."

Nach dem selben Prinzip soll nun auch ein Sturmflutwehr in New Orleans gebaut werden - der amerikanischen Stadt, die im Herbst 2005 überschwemmt wurde. Längst ist das Wissen der niederländischen Wasserbauingenieure auch im Ausland gefragt. Egal, ob Afrika, Amerika oder Asien - Joop Weijers hat bereits Kollegen in aller Welt beraten: "Sie zapfen unser Wissen ab, aber wir helfen gerne!"

Holland geht unter

Das Ergebnis des vierten UN-Klimareports hat die Niederländer nicht weiter überrascht. Der Kampf gegen das Wasser ist so alt wie das Land selbst. Längst haben sie sich auf den Klimawandel und das damit verbundene Ansteigen des Meeresspiegels eingestellt. An der Universität Wageningen untersuchen Wissenschaftler im Auftrag der Regierung schon seit Jahren die Folgen. Einer von ihnen ist der renommierte Klimaforscher Pavel Kabat: Er rechnet mit einem Meeresanstieg von bis zu einem Meter in den nächsten hundert Jahren. Nicht ausgeschlossen allerdings ist, dass die Polkappen schneller als erwartet schmelzen, so Kabat: "Wenn die Eiskappen schneller schmelzen, geht es um 3 bis 6 Meter."

Für den 48 Jahre alten Professor ist es eine klare Sache: Die Niederländer müssen sich darauf einstellen, dass das Wasser große Teile ihres Landes zurückerobern wird. Schon jetzt liegt mehr als die Hälfte der Niederlande unter Normalnull, stellenweise bis zu sechs Meter tief. "Mit Deichen allein ist es nicht mehr getan. Wir dürfen das Wasser nicht länger als Feind betrachten, wir müssen umdenken und mit dem Wasser leben."

Die Regierung hat sich bereits darauf eingestellt - mit einer neuen Gewässerpolitik: Überall wird dem Wasser mehr Raum gegeben: durch Überflutungsgebiete, künstliche Flussnebenarme oder Notauffangbecken. Eine grosse Aufklärungskampagne der Regierung mit Postern und Rundfunkspots soll den Bürgern helfen, sich darauf einzustellen: Nicht mehr gegen das Wasser kämpfen, lautet die neue Devise, sondern mit dem Wasser leben.

Schwimmende Treibhäuser

Die Universität Wageningen hat bereits den Prototypen eines schwimmenden Treibhauses entwickelt, speziell für die Gärtner im Westland bei Delft: Das Hochwasser ruiniert ihnen in den letzten Jahren immer wieder die Ernte. Der gesamte Sektor müsse sich innerhalb von 15 Jahren entscheiden, sagt Klimaforscher Kabat: entweder auf schwimmende Treibhäuser umziehen - oder das Gebiet verlassen. "Der gesamte Sektor muss an Umziehen denken oder an technische Innovationen wie treibende Treibhäuser."

Besiedelte Gebiete entlang der Flüsse und der Küste müssen geräumt werden, damit eine Pufferzone entsteht, in der das Hochwasser freies Spiel hat. Diese Gebiete dürfen nur noch als Erholungsgebiete genutzt werden. Es gibt bereits konkrete Pläne, zur Schaffung dieser Pufferzone. Orte wie Scheveningen oder Breskens landeinwärts zu versetzen.

Wohnen auf dem Wasser

Städteplaner haben sich längst auf diese Entwicklungen eingestellt: Aquawohnen heisst der neueste Trend. In vielen Gemeinden entstehen schwimmende Stadtviertel, immer mehr Architekturbüros spezialisieren sich auf Amphibienbauten. In 100 Jahren, so prophezeit Klimaforscher Kabat, sind die Niederlande zu einer grossen Hydrometropole geworden, die auf dem Wasser treibt. Auf seinem Computerbildschirm ist auch diese Zukunftsvision längst Wirklichkeit geworden. "Sehen Sie, so könnte das aussehen: Viel, viel Wasser und überall treibende Wohnungen und Treibhäuser. Viele Teile des Landes sind nur noch per Boot erreichbar. Statt Garten hat jeder eine Terrasse direkt am Wasser mit einer Anlegestelle für sein Boot. Sieht doch nicht schlecht aus, oder?"