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Eine Chance für Chinas Demokratiebewegung

10. Dezember 2010

Am Freitag wurde der Friedensnobelpreis an Liu Xiaobo verliehen. Peking hat massiv dagegen protestiert. Dies zeigt, wie viel Angst die Kader vor Kritikern wie Liu haben, meint Adrienne Woltersdorf in ihrem Kommentar.

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DW-Grafik: Kommentar
Bild: DW

Der Friedensnobelpreis gehört regelmäßig zu den umstrittensten Ehrungen. Der Krach um den Preis gehört damit ebenso zur Osloer Dezemberfeierlichkeit, wie die Sorge um diejenigen, die geehrt werden. Denn Persönlichkeiten, die sich in schwierigen Konflikten oder unter dramatischen Umständen für Frieden und Verständigung einsetzten, haben meist mehr Feinde als Freunde.

Mutige Entscheidung und schallende Ohrfeige

Ein Demonstrant reckt in Hongkong seine Faust vor dem Bild des chinesischen Schriftstellers und Dissidenten Liu Xiaobo (Foto: AP)
Jubel über Chinas ersten NobelpreisträgerBild: AP

Als das Osloer Nobelkomitee am 8. Oktober den diesjährigen Friedenspreis an den inhaftierten chinesischen Literaturprofessor und Aktivisten Liu Xiaobo vergab, hat es damit die globale Kräfteverschiebung treffend kommentiert. So muss die Wahl interpretiert werden. Eine aufsteigende Macht wie China muss zum Wohle der ganzen Welt die Menschen- und Bürgerrechte achten – das war die Botschaft aus Oslo.

Es ist eine schallende Ohrfeige für die chinesischen Machthaber. Die haben entsprechend reagiert und zu Hause den öffentlichen Diskurs über den zunächst so ersehnten, nun verhassten ersten chinesischen Nobelpreisträger unterdrückt. Zudem wurden zahlreiche Aktivisten, darunter Lius Frau Liu Xia, präventiv eingeschüchtert oder gleich unter Hausarrest gestellt. Die harschen Reaktionen aus Beijing (Peking) zeigen, dass die norwegische Jury den Nerv des Regimes getroffen haben muss.

Kein Preis "gegen" China

Doch ist es lächerlich, wenn regimetreue Kritiker der Osloer Runde die Absicht unterstellen, China provokant und böswillig an seinem Aufstieg hindern zu wollen. Im Gegenteil. Längst fordern in Beijing selbst altgediente Kader der Mao-Ära lautstark mehr Gedankenfreiheit. So kürzlich geschehen in einem offenen Brief, den eine Gruppe einflussreicher kommunistischer Ex-Kader an die neue Parteiführung schickte. Denn eine rasant sich wandelnde Gesellschaft, so ihr Argument, benötigt Diskursfreiheit und Raum für Kritik, um kluge Zukunftsentscheidungen treffen zu können. Solchen Stimmen kann der Friedensnobelpreis nun als Ermunterung und symbolische Rückenstärkung dienen. Denn nur Chinesen selbst können darüber entscheiden, wie sich China entwickeln soll. So ist der Friedenspreis für Liu gleichzeitig eine einmalige Chance für die völlig zerstrittene und weitestgehend marginalisierte chinesische Demokratiebewegung.

Adrienne Woltersdorf, die Leiterin des chinesischen Programms der Deutschen Welle (Foto: DW)
Adrienne Woltersdorf, die Leiterin des chinesischen Programms der Deutschen WelleBild: M. Urbach

Oslo könnte der Anfangspunkt einer neuen Bewegung werden. Doch bis es soweit ist, müssen chinesische Aktivisten in und außerhalb Chinas beweisen, dass sie ihre zum Teil überschäumenden Egos in den Griff und in den Dienst der Sache bekommen. Beijings Machthaber werden alles tun, um die Demokratieverfechter weiterhin in die Bedeutungslosigkeit zu treiben. Dass sie dazu in der Lage sind, haben sie in den vergangenen Wochen hinlänglich bewiesen.

Chinas Bürgerrechtler aber haben jetzt mit Liu eine international anerkannte Identifikationsfigur. Sie haben ein kluges Manifest, nämlich die von Liu Xiaobo verfasste "Charta 08". Sie haben ein weltweit wohlwollendes Publikum und das Internet. Was fehlt ist leider noch die Bewegung, die alle vereint.

Autorin: Adrienne Woltersdorf
Redaktion: Thomas Latschan