DW-Exklusiv: Berlin gegen neue Verhandlungen mit Namibia
1. September 2022Um die deutsch-namibische Versöhnung ist es still geworden. Seit Mai 2021 liegt eine Erklärung zum Völkermord im früheren Deutsch-Südwest-Afrika auf dem Tisch, aber beide Regierungen haben noch nicht unterschrieben. Nachfahren der Opfer und einige Politiker forderten schon damals Neuverhandlungen.
Nur Gespräche über die Umsetzung
Dem hat die Bundesregierung nach langem Schweigen nun eine Absage erteilt. "Die Gemeinsame Erklärung ist damit aus Sicht der Bundesregierung ausverhandelt, auch wenn über einzelne Modalitäten der Umsetzung noch Gespräche geführt werden", heißt es in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, die der DW exklusiv vorliegt.
"Es zeugt von Arroganz, dass die massive Kritik im Parlament in Namibia und die große Empörung bei den Nachfahren der Opfer der deutschen Kolonialverbrechen von der Ampel-Regierung einfach ignoriert und auf Namibia abgeschoben wird", sagt Dagdelen der DW.
Eine Reihe Herero- und Nama-Vertreter sehen das ähnlich. Sie hatten im Dezember um ein Treffen mit Außenministerin Annalena Baerbock gebeten, um neue Verhandlungen zu fordern. Sie lehnen die Gemeinsame Erklärung ab, weil Deutschland darin nur moralische, aber keine rechtliche Verantwortung für den Völkermord übernimmt.
Unterschiedliche Positionen
Außerdem kritisieren sie die angebotene Wiederaufbauhilfe von 1,1 Milliarden Euro über 30 Jahre. "Das ist Entwicklungszusammenarbeit. Hier geht es um die Finanzierung von Projekten und Infrastruktur, das ist okay. Aber dieser Deal behandelt nicht den Kern des Problems, es geht nicht um Gerechtigkeit und Versöhnung", sagte die Nama-Aktivistin Sima Luipert im Juni zum "Spiegel".
Andere Herero teilen dagegen die Haltung der Bundesregierung: "Aus protokollarischen Gründen glaube ich nicht, dass eine ausländische Regierung mit Bürgern eines anderen Staates Verhandlungen über ein Abkommen führen kann. Die Verhandlungen über den Völkermord wieder aufzunehmen, würde von unserer Regierung und den Herero-, Mbanderu- und Nama-Gemeinschaften nicht akzeptiert", sagt Ueriuka Tjikuua zur DW. Er gehört zu einem Komitee aus Herero- und Nama-Repräsentanten, das die Verhandlungen mit Deutschland unterstützt und begleitet hat.
Die Bundesregierung bereitet sich derweil darauf vor, das Abkommen umzusetzen. Im Haushalt 2022 sind schon erste Mittel eingeplant: 35 Millionen Euro für Entwicklungsprojekte und 4 Millionen für eine Stiftung, die das gemeinsame Erinnern an den Völkermord fördern soll. Die Mittel sind Teil der 1,1 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe.
Vorbereitungen für Entwicklungsprojekte laufen
Von den Entwicklungsprojekten sollen laut Bundesregierung die Nachfahren der Opfer profitieren. Vor allem in den Bereichen Landreform, Landwirtschaft, Wasser- und Energieversorgung und Berufsbildung will sich die Bundesregierung engagieren. Wann erste Projekte an den Start gehen, ist aber noch unklar: "Die Vorhaben können erst umgesetzt werden, nachdem die Gemeinsame Erklärung durch beide Außenministerinnen unterzeichnet wurde", teilt eine BMZ-Sprecherin auf DW-Anfrage mit. Wie konkret die Planungen für die Projekte sind, will das Ministerium nicht verraten. Man stehe mit der namibischen Regierung "in laufendem Kontakt".
Ob die das Abkommen noch umsetzen will, ist aber unklar. Nach dem Ende der Verhandlungen mit Deutschland im Mai letzten Jahres protestierten wütende Herero und Nama in der Hauptstadt Windhuk. Vor der entscheidenden Debatte im September 2021 drängten Demonstranten sogar auf das Parlamentsgelände. Auch im Plenarsaal ging es hoch her: Die Opposition kritisierte den Vertrag heftig, selbst einige Abgeordnete der Regierungspartei SWAPO waren unzufrieden. Trotz ihrer überwältigenden Mehrheit im Parlament verzichtete die Regierung bisher auf eine Abstimmung.
"Dass die Regierung einen Rückzieher gemacht und es offengelassen hat, ob es eine erneute Aussprache gibt, zeigt die Verunsicherung auf namibischer Seite auf, weil man gemerkt hat: So einfach ist es nicht", sagt der deutsch-namibische Politologe Henning Melber zur DW.
Entscheidung im Oktober?
In der Antwort der Bundesregierung heißt es dagegen: "Die namibische Regierung hält auch nach kontroverser Erörterung in der namibischen Nationalversammlung am Entwurf der Gemeinsamen Erklärung fest." Nach Angaben von Herero-Vertreter Tjikuua wollen alle relevanten Interessensvertreter aus Namibia im Oktober entscheiden, ob das Parlament die Erklärung ratifizieren soll.
Der Bundestag soll aus Sicht der Bundesregierung dagegen gar nicht über die Erklärung abstimmen: "Es trifft zu, dass die ausgehandelte 'Gemeinsame Erklärung' kein völkerrechtlicher Vertrag ist und keiner Ratifizierung durch den Bundestag bedarf", heißt es in der Antwort auf die kleine Anfrage. Die linke Abgeordnete Dagdelen ist damit ganz und gar nicht zufrieden: "Bei einer solch historischen Erklärung wäre es mehr als angebracht, auch das Parlament zu befassen. Selbst wenn es rechtlich nicht zwingend ist, so wäre es das zumindest politisch und hätte hohe Symbolkraft", sagt sie.
Gut möglich aber, dass alle Planspiele erst einmal reine Theorie bleiben: im November 2024 stehen in Namibia Wahlen an. Die Regierung dürfte angesichts schlechter Beliebtheitswerte im Vorfeld alles vermeiden, was im Land für Unruhe sorgen könnte - und sie Wählerstimmen kosten würde. Und das könnte auch auf die Gemeinsame Erklärung zutreffen.