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Die Welt der stummen Bilder

25. Februar 2012

Der Stummfilm "The Artist" weckt neues Interesse an der Frühzeit des Kinos. An der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst weiß man die Retro-Filme und ihre Musik schon länger zu schätzen.

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Jean Dujardin als George Valentin und Berenice Bejo als Peppy Miller in einer Szene des Stummfilms 'The Artist' (Foto: Delphi Filmverleih)
Bild: picture-alliance/dpa

Ernst-August Klötzke kennt die Trickkiste der Stummfilm-Musikbegleitung. Der Professor für Musiktheorie sitzt an einem der beiden großen Flügel im Unterrichtsraum und führt seinen Studenten vor, wie musikalische Grundmotive die Stimmung und Handlung eines Stummfilms beeinflussen. Sein Beispiel ist Ophelia in Shakespeares "Hamlet". Ophelia wartet, begleitet von Klötzkes traurigem Klavierspiel. Ein Bote tritt auf. Kurze Pause. Die 25 Studierenden hören gebannt zu. Dann wechselt Ernst-August Klötzkes Klavierspiel hin zu einem Trauermarsch. "Und was wissen wir nun?", fragt der Musikprofessor seine Studenten und gibt gleich darauf selbst die Antwort: "Durch diesen Trauermarsch-Rhythmus wissen wir: Jetzt hat der Trübsinn einen Grund."

So funktioniert jede Hollywoodschnulze

Der Bote bringt schlechte Nachrichten, das vermittelt der Stummfilm ganz ohne Sprache. So funktioniert das Prinzip bis heute bei jeder Hollywoodschnulze. "Wenn der gute Ritter ins Bild kommt, dann gibt's immer noch die Fanfare. Wenn der Böse kommt, dann gibt's immer noch das Tiefe, Mulmige. Das wirkt tief emotional", erklärt Klötzke die Wirkung der Musik.

Stummfilm-Abend an der HFMDK (Foto: HFMDK/Björn Hadem)
Emotionen vermitteln - allein durch die MusikBild: HFMDK/Björn Hadem

Seinen Studenten im Seminar "Stummfilm-Komposition" an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main hat Ernst-August Klötzke nicht nur musikalische Versatzstücke früherer Stummfilm-Pianisten gezeigt. Gemeinsam haben sie auch Stummfilmklassiker analysiert und begleitend zur Theorie durfte jeder der Studierenden eine eigene Musik zu einem kurzen Stummfilm komponieren – inklusive anschließender Präsentation in der Hochschule mit Live-Orchester vor Publikum.

50 Stunden Komposition für fünf Minuten Musik

Für Musikstudent Michael Meininger war die Präsentation seiner eigenen Komposition ein "berauschender Moment", erzählt er. "Da wurde eine große Leinwand aufgebaut, und ich habe dann mein eigenes Stück parallel zum Film mit großem Orchester dirigiert." Die besondere Schwierigkeit sei dabei gewesen, Musik und Bilder synchron aufeinander abzustimmen, verrät Meininger. "Es war einfach toll, meine eigene Musik, die ich nur vom Computer kannte, das erste Mal live von einem Symphonieorchester zu hören."

Michael Meininger dirigiert ein Symphonie-Orchester nach seiner eigenen Partitur. Hier bei den Proben für den Stummfilmabend der Musikhochschule Frankfurt, an dem die eigens von den Studenten komponierte Musik zu Stummfilmen aufgeführt wird (Foto: HFMDK/Björn Hadem)
Michael Meininger dirigiert nach seiner eigenen PartiturBild: HFMDK/Björn Hadem

Michael Meininger ist, wie viele der Seminarteilnehmer, Student der Schulmusik fürs Gymnasium. Er spielt seit frühester Kindheit Posaune im Orchester und leitet ein Jugendorchester. Genau wie seine Kommilitonen hat Meininger zum ersten Mal eine eigene Musik komponiert. In seinem Fall: 50 Stunden Komposition für fünf Minuten Musik. Die neue Faszination für Stummfilme wie "The Artist", der eine Liebeserklärung an die frühen Hollywoodfilme ist, erklärt sich der Musikstudent so: "Vielleicht haben die Menschen genug von dieser Alltagsberieselung und wollen intellektueller gefordert werden." Er könne sich vorstellen, dass dieses Genre den Zuschauer mehr fordert.

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Interesse am Stummfilm nicht neu

Das Interesse an der Welt der stummen Bilder ist nicht neu in Deutschland. Immer wieder werden Stummfilm-Zyklen gezeigt, verstärkt in den vergangenen Jahren. Auf der 60. Berlinale, vor zwei Jahren, wurde das restaurierte Meisterwerk "Metropolis" von Fritz Lang gezeigt. Stummfilmkonzerte füllen auch abseits der Hochschule Konzertsäle bis zum letzten Platz.

Ralph Abelein (links), Professor für Schulpraktisches Klavierspiel, Ensemblearbeit und Arrangieren und Ernst-August Klötzke, Professor für Musiktheorie (Foto: HFMDK/Björn Hadem)
Die Professoren Ralph Abelein (links) und Ernst-August KlötzkeBild: HFMDK/Björn Hadem

Für Ralph Abelein, Professor für schulpraktisches Klavierspiel und Arrangieren an der Frankfurter Musikhochschule, ist diese Entwicklung nachvollziehbar. "Wir sehnen uns nach dem Gehalt hinter dem Effekt. Trotz aller Neuerungen und 3-D sehnen wir uns nach einer guten Geschichte, in der nichts aufgebauscht wird." Abelein hat das Seminar "Stummfilm-Komposition" gemeinsam mit seinem Kollegen Ernst-August Klötzke entwickelt. Inzwischen wird das Seminar im fünften Jahr angeboten.

Erster Oscar nach 80 Jahren?

Musik-Professor Klötzke freut sich besonders über das weltweite Ansehen, das der Stummfilm durch die zahlreichen Preise und Nominierungen von "The Artist" derzeit genießt. Filme wie dieser könnten dazu beitragen, glaubt Klötzke, dass die Arbeit all derer aufgewertet wird, die sich mit dem Kino abseits des Mainstreams befassen, all jener, "die nicht immer in den ausgetretenen Pfaden herum laufen".

Sollte "The Artist" bei der Oscar-Verleihung am 26. Februar in Los Angeles zum "Besten Film" gekürt werden, wäre das der erste Oscar für einen Stummfilm in der Königskategorie seit mehr als 80 Jahren. Nur bei der ersten Academy-Awards-Verleihung im Jahr 1929 gab es zwei Stummfilm-Gewinner. Danach gaben Tonfilme den Ton an.


Autorin: Bianca von der Au
Redaktion: Svenja Üing / Rolf Breuch