1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie Forscher die Echtheit von Audios prüfen

Torsten Landsberg
16. Juni 2019

Im Archiv eines mexikanischen Radiosenders soll eine Aufnahme von Frida Kahlo aufgetaucht sein. Nun müssen Experten die Echtheit prüfen. Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts erklären im DW-Gespräch, wie das geht.

https://p.dw.com/p/3KNwq
Frida Kahlo
Bild: picture-alliance/E. Moore

Die Nachricht hatte weltweit für Aufsehen und mindestens in Mexiko für große Euphorie gesorgt - allen Unsicherheiten zum Trotz. Im Archiv, das der Radiosender Televisa der nationalen Phonothek zur Digitalisierung und Auswertung überlassen hatte, entdeckten die Experten eine Tonbandaufnahme, auf der Frida Kahlo zu hören sein soll. "Fridas Stimme war immer ein großes Rätsel, eine endlose Suche", sagte der Direktor der Phonothek, Pável Granados. Auch Mexikos Kulturministerin Alejandra Frausto hob die historische Bedeutung des Fundes hervor: Bis jetzt habe es keine Aufnahme von Kahlo gegeben.

Frida-Kahlo-Aufnahme soll aus den 1950ern stammen

Der Mitschnitt stammt wohl aus einer 1955 ausgestrahlten Pilotsendung und soll 1953 oder 1954 aufgezeichnet worden sein. Jene Sendung enthielt eine Kurzbiografie über den Maler Diego Rivera, mit dem Kahlo zweimal verheiratet war. Einen Frauenstimme liest aus ihrem Essay "Portrait über Diego", der 1949 in einem Ausstellungskatalog erschienen war.

Die wohl bekannteste Malerin Lateinamerikas könnte diese Tonaufnahme selbst gesprochen haben. In dem knapp zweiminütigen Ausschnitt spricht sie recht schnell, liebevoll bezeichnet die Frau ihren Mann als "ein großes Kind, immens, mit freundlichem Gesicht und traurigem Blick".

Aber trotz aller Euphorie schränkte auch die Phonothek in ihrem Tweet über den vermeintlichen Fund der Stimme Frida Kahlos vorsichtig ein, der Ausschnitt sei "wahrscheinlich von ihr selbst gelesen" worden, das sei aber bislang nicht eindeutig geklärt.

Profiling wie bei einem Erpresseranruf

Der womöglich großen historischen Bedeutung entsprechend, werden die Aufnahmen nun einer Prüfung unterzogen, um die Echtheit endgültig zu verifizieren. Je sicherer das Ergebnis sein soll, desto aufwändiger wird das Verfahren, das einer kriminalistischen Arbeitsweise gleicht. Am Anfang stehe das Profiling der Stimme, vergleichbar mit dem Ablauf bei einem Erpresseranruf, sagt Martin Steinebach, Abteilungsleiter Media Security und IT Forensics am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie. Er und sein Team haben für den "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" die Echtheit des sogenannten Ibiza-Videos geprüft, dessen Veröffentlichung den Bruch der Regierung in Österreich zur Folge hatte.

Jedes Detail wird anlaysiert

"Im ersten Schritt wird bewertet, ob die Stimme, zu der vorgegebenen Quelle passt", erklärt Steinebach. "Es gibt biografische Informationen über Frida Kahlo: Wo ist sie aufgewachsen, wer waren die Eltern? Passt die Stimme zu einer Frau in diesem Alter, die in dieser Region aufgewachsen ist? Es gibt vielleicht einen regionalen Akzent, und man vergleicht, ob die Verwendung der Worte für das Milieu typisch ist."

An dem gesamten Prozess der Verifizierung sind eine Reihe von Spezialisten unterschiedlicher Bereiche beteiligt, die technische Analyse erfolgt erst im zweiten Schritt. Bekäme Martin Steinebach vergleichbares Material zur Prüfung, würde es zunächst digitalisiert werden, um anschließend möglichen Spuren nachgehen zu können: "Mit welchem Gerät wurde aufgezeichnet, aus welchem Jahr stammt das Gerät? Tonbandaufnahmen können charakteristische Schwankungen haben, weshalb man prüft, ob das Verhalten der Tonbandrolle zu den Geräten der damaligen Zeiten passt."

Museums-Besucherin zeigt auf ein Selbstporträt von Frida Kahlo
Frida Kahlo hat zahlreiche Bilder hinterlassen, doch eine Tonaufnahme war bislang nicht überliefertBild: picture-alliance/dpa/V. Sharifulin

Da die Aufnahme aus den 1950er Jahren stammen soll, müssten bei Sammlern oder in Archiven Referenzgeräte angefragt werden, um damit eigene Aufnahmen machen und deren Schwankungsverhalten mit dem Verhalten des zu untersuchenden Materials vergleichen zu können. "Wir nennen es Ballistik, den Begriff kennt man bei der Zuordnung einer Kugel zu einer Waffe. Die Verbindung von Gerät und Medium ist der erste Schritt."

Problem: Es gibt keine zweite Quelle

Sascha Zmudzinski, der am Fraunhofer-Institut für Schulungen über Cybersicherheit und Medienanalyse verantwortlich ist, verweist zudem auf das Trägermaterial: "Die Bänder haben mehrere Magnetschichten. Ist der Herstellungsprozess in jener Zeit üblich gewesen, war dieses Medium an diesem Ort erhältlich?" Wenn man herausfinde, wo die Radiosender damals ihr Material gekauft haben, könnten die Hersteller womöglich mit Informationen weiterhelfen. Zmudzinski zieht einen Vergleich zu den Hitler-Tagebüchern, deren Fälschung wegen des verwendeten Materials aufgeflogen war: Bei einem Test unter ultraviolettem Licht wurden damals Aufheller nachgewiesen, die in der Papierherstellung erst seit den 1950er Jahren eingesetzt worden waren.

Während es bei historischen Dokumenten häufig eine Referenz gibt - einen anderen Mitschnitt oder ein anderes Bild, anhand dessen sich Vergleiche ziehen und Übereinstimmungen oder Unterschiede ableiten lassen -, ist die Tonquelle, auf der Frida Kahlo zu hören sein soll, einmalig. Die Phonothek hofft, dass sich im Archiv des Radiosenders weitere Aufnahmen der Malerin befinden, momentan existiert jedoch keine zweite Quelle.

Absolute Sicherheit wird es nicht geben

Deshalb werde man auch nach eingehender Prüfung des Materials keine hundertprozentige Aussage darüber treffen können, ob es sich tatsächlich um Frida Kahlo handelt, sagt Martin Steinebach. "Es ist aber nicht unmöglich, ohne Referenz zu überprüfen, ob die Sprechweise und Stimme zur vorgegebenen Person passen." Gerade Frida Kahlo sei aufgrund ihrer Erkrankungen ein spezieller Fall.

Gemälde von Frida Kahlo zeigt ein Doppelporträt der Künstlerin
Litt zeitlebens unter Schmerzen: Frida KahloBild: picture-alliance

Mit sechs Jahren war die Künstlerin an Kinderlähmung erkrankt. Als sie 18 war, durchbohrte eine Stahlstange bei einem Busunfall ihren Unterleib, "wie der Degen den Stier", wie es Kahlo selbst bezeichnete. Es folgten mehr als 30 Operationen in ebenso vielen Jahren. Oft musste sie wochenlang im Bett liegen, gefangen in einem Stahlkorsett oder einem Ganzkörpergips. "Welche Auswirkungen hat es auf die Stimme, wenn jemand unter Kinderlähmung leidet und lange ein Stahlkorsett getragen hat?", fragt Sascha Zmudzinski. Diese Einschränkungen könnten Rückschlüsse auf das Sprechverhalten geben. "Ein medizinischer Forensiker könnte abschätzen, ob die Stimme, die Art, wie gesprochen und Luft geholt wird, zur entsprechenden Person passen", ergänzt Martin Steinebach.

Viel Arbeit für die Prüfer 

Vor den Experten in Mexiko liegt eine Menge Fleißarbeit. Selbst die folgenreiche Verifizierung des Ibiza-Videos sei leichter gewesen, weil den Wissenschaftlern nicht nur Audio-, sondern auch Videomaterial zur Verfügung stand, erklärt Steinebach: "Umso mehr Daten und Referenzmaterial vorliegen, desto belastbarer ist am Ende die forensische Aussage."

Frida Kahlo, die mit volkstümlicher Malerei in den Stilen Surrealismus und Neuer Sachlichkeit bekannt wurde, ist heute ein Mythos - auch weil sie sich in der Männerdomäne Malerei ihren Platz erkämpfte. Dem russischen Revolutionär und Kommunisten Leo Trotzki, mit dem sie eine Affäre hatte, schenkte Kahlo ein Haus, in dem sich Trotzki versteckt hielt. Zeit ihres Lebens litt sie unter Schmerzen, die sie in ihren Bildern verarbeitete, 55 ihrer 143 Werke sind Selbstporträts. Die letzten Jahre verbrachte Frida Kahlo im Rollstuhl, 1954 starb sie im Alter von 47 Jahren.