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Klimaklage: Hoffnung für den Klimaschutz?

Anika Limbach
21. Dezember 2018

Den Klimawandel bekam Biobauer Claus Blohm zum ersten Mal richtig zu spüren, als er dadurch seine Kirschbäume verlor. Er handelte – und verklagte gemeinsam mit Greenpeace die Regierung wegen unzureichendem Klimaschutz.

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Biobauer Claus Blohm steht vor den gerodeten Überreste seiner Kirschbäume (Bild: DW/A. Limbach)
Biobauer Claus Blohm vor den Überbleibseln seiner Kirschbäume. 25 Prozent des Bestandes mussten gerodet werden. Bild: DW/A. Limbach

Franziska Blohm liebte schon als Kind das Blütenmeer der Apfel- und vor allem der Kirschbäume auf Bioobsthof ihres Vaters. Vor zwei Jahren nun mussten die Kirschbäume – ein Viertel des Baumbestandes – gerodet werden.

Als die junge Studentin von einem Auslandsjahr zurückkehrte, standen sie nicht mehr dort. Es war eine schmerzliche Entscheidung, die ihr Vater, Claus Blohm, damals treffen musste, doch es führte kein Weg daran vorbei. Es war, wie ihr Bruder Johannes es ausdrückt, eine "notwendige Anpassung an den Klimawandel".

Lesen Sie mehr: Mühsamer Klimaschutz: Bürger verklagen Regierungen

Da der Betrieb zu Deutschlands nördlichstem Obstanbaugebiet, dem "Alten Land", gehört, konnte die Familie Blohm früher bedenkenlos die Kirschen als "garantiert madenfrei" anbieten. Denn die Kirschfruchtfliege, deren Maden im reif werdenden Fruchtfleisch schlüpfen, war bis vor Jahren ausschließlich in einem Gebiet südlich von Kassel beheimatet.

Doch mit dem Ansteigen der Durchschnittstemperaturen wanderte sie immer weiter Richtung Norden, bis sie tatsächlich 35 Kilometer westlich von Hamburg ins Alte Land eindrang. "Wir haben keine Mittel gegen die Kirschfruchtfliege", erläutert Claus Blohm, ein bodenständiger Mann mit festem, geradeaus gerichtetem Blick. "Und bei 4,5 Hektar haben wir auch nicht die Chance, Klebefallen in jeden Baum zu hängen."

Chemischen Spritzmittel verwendete Blohm nicht. Nicht nur, weil er das es als Biobauer nicht darf, sondern auch aus Überzeugung. Er wolle die Zukunft in die Hände seiner Kinder legen, sagt er. Da gehe es nicht, dass er die Erde innerhalb einer Generation total verseuche.

Franziska und Johannes Bohm auf dem heimischen Bioobsthof (Bild: DW/A. Limbach)
Auch Franziska und Johannes Blohm engagieren sich für die Umwelt – und für die Zukunft der Landwirtschaft Bild: DW/A. Limbach

Seit jeher engagiert sich Claus Blohm für die Umwelt, auf unterschiedliche Weise. So versuchte er – auch vor Gericht – die Elbvertiefung zu verhindern, weil in seinen Augen fehlender Gewässerschutz das Alte Land bedroht. Dieses ausgewiesene Überschwemmungsgebiet befindet sich unterhalb des Meeresspiegels, nur geschützt durch den Elbedeich. 

Trotzdem hätte der Obstbauer vorher niemals gedacht, dass er und seine Kinder einmal die Bundesregierung wegen unzureichendem Klimaschutz verklage würde. "Als uns Greenpeace die Idee der Klage vorstellte, fanden wir das gut", erzählt sein 27-jähriger Sohn Johannes, der wie Franziska in Hamburg studiert und sehr ernst wirkt. "Aber wir mussten trotzdem ein paar Wochen drüber nachdenken und es abwägen." Letztendlich sei es ihnen wichtig gewesen, gegen die Regierung zu klagen, wichtig für sie selbst, für die Allgemeinheit und für die Landwirte. 

Alle seien hier vom Klimawandel und den zunehmenden Wetterextremen betroffen, fügt Claus Blohm hinzu. Doch nur ihn und seine Kinder habe es gereizt, dagegen aufzustehen. Völlig anders als am Anfang befürchtet seien sie mit diesem mutigen Schritt nur auf positive Resonanz gestoßen. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich an meinem Stammtisch nochmal Zuspruch bekomme bei den alt eingesessenen Bauern und Jägern."

Auch Franziska betont: "So viele Leute haben sich gemeldet und gesagt, es ist klasse, dass ihr das macht." Viele seien zudem bereit, als Beigeladene die Klage zu unterstützen. Juristisch relevant ist das nicht unbedingt, für die öffentliche Wahrnehmung aber schon, erklärt Anike Peters von Greenpeace. Es zeige, dass auf vielfältige Weise Menschen auch in Deutschland unter der Erderwärmung leiden.

Die Klage

Greenpeace nutzt hier die Möglichkeit einer Verbandsklage, um deutsches und europäisches Umweltrecht gerichtlich einzufordern, sprich: die Einhaltung des Klimaziels 2020. Ergänzend dazu klagen drei betroffene Bauernfamilien – darunter die Familie Blohm – ihre Grundrechte ein. Denn indem die Regierung das Klimaziel aufgibt, greift sie in das Recht auf Eigentum, auf Berufsfreiheit und auf den Schutz von Leben und Gesundheit ein, so die Auffassung der Anwältin Dr. Roda Verheyen. 

Anike Peters, Klima-Expertin von Greenpeace (Bild:DW/A. Limbach)
Extremwetter, Hagel, neue Schädlinge: Anike Peters von Greenpeace hält dies alles nur für VorbotenBild: DW/A. Limbach

Der Biohof der Familie Backsen auf der Nordseeinsel Pellworm ist vor allem durch den ansteigenden Meeresspiegel bedroht. Häufigere Starkregen-Ereignisse und Sturmfluten führen zu massiven Ernteeinbußen. Wie lange der Deich noch erhöht werden muss und Schutz bieten kann, ist ungewiss.

Der biologische Milchwirtschaftsbetrieb der Familie Lütke Schwienhorst aus Brandenburg litt besonders unter der Rekordhitze des Sommers 2018. Auch die Familie Blohm verlor in diesem Jahr ein Viertel ihrer Ernte, weil der sogenannte Sonnenbrand viele Äpfel braun werden ließ. Der extreme Dauerregen 2017 verursachte Staunässe und faulende Wurzeln, wodurch einige Bäume einfach umkippten. Extremwetter, Hagel, neue Schädlinge und Frostnächte während der Blütezeit – die Probleme und Unwägbarkeiten belasten den Betrieb enorm und werden mit steigenden Temperaturen zunehmen, fürchten die Obstbauern.

Die Initiatorin

"Das alles ist ja nur ein Vorgeschmack dessen, was auf uns zukommt, wenn wir jetzt nicht handeln", betont Anike Peters. Seit vielen Jahren schon beäugt Greenpeace die Untätigkeit der Bundesregierung. Diese beschloss 2007 zwar, die Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, sie bekräftigte das Ziel immer wieder, ließ de facto aber zu, dass der deutschlandweite CO2-Ausstoß seit 2009 nicht mehr sank. Der notwendige Kohleausstieg wurde nicht umgesetzt, trotz des rasanten Zuwachses erneuerbarer Energien.

Mit der späten Veröffentlichung des letzten Klimaberichts 2017 wurde offenbar, dass die Regierung nicht einmal Maßnahmen ergreift. "Sie hat" wie Anwältin Verheyen es formuliert, "das Handeln eingestellt, um dieses Klimaziel zu erreichen." Damit war für Greenpeace die Klage überfällig. In deren Fokus steht einerseits das Klimaziel 2020, andererseits die 650 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, die bisher zu viel ausgestoßen wurden. Die Klagegemeinschaft fordert zusätzliche Maßnahmen, um diese Überemissionen auszugleichen.

Die Klimaanwältin

Diesen Aspekt betont auch Roda Verheyen. Sie ist freundlich, scharfsinnig und Umweltrechtlerin aus Leidenschaft, das merkt man ihr an. Ihrer Auffassung nach lässt sich aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ein Gesamt-CO2-Budget für Deutschland ableiten, das unabhängig vom Zeitraum ist, in dem es aufgebraucht wird. "Wir müssen wirklich aufhören, von diesen Zeitzonen zu sprechen", sagt sie. "Wir müssen von dem globalen Kuchen leben, und den kann man nur einmal verteilen."

Dr. Roda Verheyen in ihrem Büro  (Bild: DW/A. Limbach)
Roda Verheyen ist Rechtsanwältin, aber auch Umweltrechtlerin aus LeidenschaftBild: DW/A. Limbach

Im europäischen Kontext steht sie mit ihrer Einschätzung nicht alleine da. Ein Berufungsgericht in den Haag verpflichtete die niederländische Regierung zu effektiverem Klimaschutz, wobei es anerkannte, dass der vermeidbare Klimawandel Menschenrechte einschränkt. 

Die gleiche Aussage traf der hohe Kommissar der UN für Menschenrechte in einem irischen Verfahren. Er verdeutlichte zudem, dass sich kein Land seiner eigenen Schutzpflicht und Verantwortung zur Verringerung der weltweiten Treibhausgase entziehen könne. 

Verheyens Argumente wirken schlüssig. Dennoch müssen ihre Mandanten mit der Klimaklage – die erste dieser Art – auch Hürden überwinden. Sie können sich nicht auf ein Klimaschutzgesetz berufen, da die Bundesregierung seit Jahrzehnten versäumte, ein solches zu verabschieden. Was stattdessen gilt, sind Klimaschutzpläne einschließlich des Ziels für 2020. Indem die Regierung das Ziel durch Kabinettsbeschlüsse immer wieder bekräftigte, hat sie sich nach der Logik des Vertrauensschutzes selbst daran gebunden.

Verheyen hofft, dass das Verwaltungsgericht Berlin ihren Argumenten folgt und die Klage zulässt. Sie ist vorsichtig optimistisch, zumal es nicht der erste Fall ist, mit dem sie juristisches Neuland betritt. Als Anwältin eines Peruaners, der den Energiekonzern RWE verklagte, erzielte sie beachtliche Teilerfolge. Das Oberlandesgericht bestätigte sie in der Rechtsauffassung, dass es eine individuelle Verantwortung von Großemittenten für die Folgen des Klimawandels gibt. An eine solche Aussage wäre vor Jahren noch nicht zu denken gewesen.

Es sind eben solche Verfahren, die einen Wandel in der Rechtsprechung herbeiführen. Dessen ist sich Roda Verheyen bewusst. Es ist das, worauf sie hofft. Das gilt umso mehr für eine europäische Klimaklage, an der sie ebenfalls beteiligt ist. 

Doch im Moment ist strittig, ob Privatpersonen auf EU-Ebene überhaupt vor Gericht ziehen können. Verheyen hingegen hält das für nötig. "Das kann ja nicht sein: In der EU haben wir eine Menschenrechtscharta und Gesetze für den Klimaschutz. Aber Bürger dürfen nicht vor Gericht ziehen?" In ihren Augen ist das eine Schieflage, ein Problem, zu dessen Lösung sie beizutragen hofft, indem sie das Gericht überzeugt.

Sehen Sie hier: 10 Tipps, was jeder tun kann, um Klimagase zu vermeiden: