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Die Schau "Point of No Return" zeigt Umbrüche

Torsten Landsberg
27. Juli 2019

30 Jahre nach dem Mauerfall widmet sich die Ausstellung "Point of No Return" im Leipziger Museum der bildenden Künste der ostdeutschen Kunst der Wendezeit. Sie habe den Wandel antizipiert, sagt Kurator Christoph Tannert.

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Ausstellung "Point of no Return"
Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

DW: Herr Tannert, viele der Werke aus der Ausstellung "Point of No Return" sind zuvor noch nie öffentlich gezeigt worden und stammen aus Privatbesitz. Wie sind Sie darauf gestoßen und nach welchen Kriterien haben Sie die Bilder und Skulpturen zusammengestellt?

Christoph Tannert: Paul Kaiser (Direktor des Dresdner Instituts für Kulturstudien, Anm. d. Red.) und ich haben die Auswahl basierend auf unserem Kenntnisstand getroffen. Wir befassen uns seit langer Zeit mit den Entwicklungen in Ostdeutschland. Ich bin Jahrgang 1955 und habe viele Künstlerinnen und Künstler in den 1970er- und 1980er-Jahren in ihren Ateliers besucht und kenne die Werkproduktion aus erster Hand. Es hat mich schon nach der Wende gewundert, dass viele Werke nicht in die Öffentlichkeit gekommen sind. Das Gros der Arbeiten ist nicht präsent gewesen, dabei haben wir nach unserer Recherche eine große Zahl von Werken gefunden, die passgenau mit unserem Thema zu tun haben: die Situation in den 1980er Jahren in der DDR, die Hoffnungen auf Veränderungen, der Zusammenbruch, die Revolution und der transitorische Moment der Veränderung.

Christoph Tannert
Christoph Tannert, einer der Kuratoren der Ausstellung "Point of No Return"Bild: Pam Spitz | Bethanien

Wie erklären Sie sich, dass das Interesse an dieser Kunst nach der Wende so gering gewesen ist und es drei Jahrzehnte gebraucht hat, bis diese Werke in einer Ausstellung zusammengetragen wurden?

Die Künstlerinnen und Künstler haben eine gewisse Zeit gebraucht, um sich in der neuen Situation zurechtzufinden. Viele haben zweite Arbeitsverhältnisse aufgenommen, haben anderweitig versucht, Geld zu verdienen, andere sind gereist oder haben recherchiert. Außerdem kam eine Vielzahl von Kunsthistorikern aus Westdeutschland in die DDR und besetzte die Spitzenpositionen. Das hat verunmöglicht, dass die Ostdeutschen mit ihren eigenen Lebensgeschichten in die Öffentlichkeit treten konnten. Dieser Zustand hat bis heute angehalten, nur ist der Ruf, das zu ändern, viel stärker als damals.

Manche Künstler waren durchaus gefragt, andere sind unbeachtet geblieben. Lässt sich das erklären?

Ausstellung "Point of no Return"
Die Holzplastik "Zweifel" von Hans Scheib und das Bild "Zurück in die Zukunft" von Wolfram Adalbert SchefflerBild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

In der DDR gab es 6000 Mitglieder im DDR-Künstlerverband, der auch eine Überwachungsfunktion hatte. Von diesen 6000 Personen waren etwa 2000 Künstlerinnen und Künstler. Die Zahl derer, die nach der Wende noch präsent gewesen wären, ist trotzdem sehr klein. Dabei haben alle weiter gearbeitet. Wer vor der Wende in den Westen gegangen ist, konnte sich dort in einem zweiten Lebensversuch auch in der Öffentlichkeit anders entwickeln und präsentieren als jene, die in der DDR geblieben sind. Und jüngere Künstler, die erst zum Ende der DDR ihre Hochschulausbildungen abgeschlossen haben, konnten ihre Karrieren in der neuen Bundesrepublik beginnen: Neo Rauch, Eberhard Havekost, Frank Nitsche, Thomas Scheibitz.

Welche Bedeutung hatte die Kunst für die friedliche Revolution?

Seit der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann (im Jahr 1976, Anm. d. Red.) haben Künstlerinnen und Künstler immer wieder mit ihren Bildern, Skulpturen, Filmen und Liedern die Hoffnung auf Veränderung verbreitet. Sie haben den Wandel antizipiert und auf die Möglichkeit gedrungen, dass sich die Dinge ändern. Das ist ein längerer Prozess, deshalb zeigen wir auch Bilder aus den 1970er- und 1980er-Jahren, die diese Hoffnung auf ein Ende weitertragen. Die Leipziger Malerin Doris Ziegler hat in ihrem Passagen-Zyklus bereits 1988 mehrere Bilder gemalt, die diese Unmöglichkeit, sich in Freiheit bewegen zu können, und diesen zusammenbrechenden Staat als dumpfe, graue Glocke, die über dem Individuum liegt, zeigen. Sie hat vorhergesehen, was wir von den Montagsdemonstrationen kennen, die Menschenketten und Kerzen.

Leipzig Ausstellung Point of No Return
Prophetisch: "Große Passage" aus dem Passagen-Zyklus der Leipziger Malerin Doris ZieglerBild: VG Bild-Kunst Bonn/ InGestalt/Michael Ehritt

Nicht alle Künstler haben opponiert, es gab auch staatskonforme Kunst. Wie taucht die in der Ausstellung auf?

Wir zeigen in der Ausstellung Werke von mehr als 100 Künstlerinnen und Künstlern aus mehreren Generationen, insgesamt etwa 300 Werke. Alle zeigen sehr subjektive Perspektiven der Künstler auf die Situation in der DDR, auf den Wandel und einen Rückblick auf die Zeit der DDR. Wir zeigen Positionen, die eher staatsfern sind, aber auch Künstler, die konform gewesen sind, wie Willi Sitte und Wolfgang Mattheuer. Sitte nahm der Arbeiterklasse übel, dass sie sich in einer Vogel-Strauß-Manier dem Kapitalismus in den Rachen warf. Die Ausstellung ist ein Kaleidoskop unterschiedlicher Lebenserfahrungen.

Christoph Tannert, 1955 in Leipzig geboren, ist Künstlerischer Leiter und Geschäftsführer am Künstlerhaus Bethanien Berlin und einer von drei Kuratoren der Ausstellung "Point of No Return", die bis zum 3. November 2019 im Museum der bildenden Künste in Leipzig zu sehen ist.

Das Gespräch führte Torsten Landsberg.