Buchmesse Mexiko
29. November 2011Er wird gefeiert wie ein Heilsbringer. Applaus brandet auf, als Javier Sicilia durch die Gänge der Messehalle schreitet, umringt von einem dutzend Bodyguards. Männer, Frauen küssen seine Hände. Keine Frage, der Mann ist ein Held auf dieser Buchmesse. Denn Javier Sicilia hat den Narcos, den Drogenkartellen, den Kampf angesagt. Im Frühjahr wurde sein Sohn gefoltert und ermordet aufgefunden, Täter unbekannt. Sicilia verkündete, dass er nie mehr ein Gedicht schreibe, und forderte die Zivilgesellschaft zum Protest auf. Endlich.
Mit Büchern gegen Gewalt
Nach fünf Jahren Drogenkrieg mit über 40.000 Toten wollte er demonstrieren, dass jetzt Schluss sein muss mit der Gewalt. “Estamos hasta la madre” nennt sich die von ihm ins Leben gerufene Protestbewegung, “Wir haben die Schnauze voll”. Und so ist auch der Titel seines als Buch veröffentlichten Essays, den er auf der Messe präsentiert. Die Signierstunde findet hinter Panzerglas statt. “Von uns gibt es viele”, sagt Sicilia im Gespräch. Und dass er die Hoffnung für sein Land noch nicht aufgegeben habe.Von den rund 40.000 Neuerscheinungen, die in Guadalajara vorgestellt werden, gibt es etliche, die sich mit der Gewalt und der politischen Situation im Lande befassen. Die Messe, sagt Buchmessendirektorin Nubia Macias, soll ein Ort des freien Wortes sein. Und dieses Wort muss offenbar geschützt werden, denn überall in- und ausserhalb der Messehalle sind Soldaten und Polizisten mit Maschinengewehren zu sehen, manche tragen sogar Sturmmasken. Ein beunruhigender Anblick, den die zahlreichen Besucher hier in Guadalajara aber offenbar normal finden.
Die Literatur feiern
Ungeachtet dieser Atmosphäre werden auch im 25.Jahr der Feria Internacional del Librode Guadalajara wieder Hunderttausende kommen, um das Buch und die Literatur zu feiern. Im letzten Jahr waren es an neunTagen 600.000 Besucher. 500 Autoren werden auch diesmal wieder erwartet. Die Buchmesse ist die größte ihrer Art auf dem amerikanischen Kontinent. Und sie ist zwar auch aus wirtschaftlichen Gründen immens wichtig, aber – anders als etwa die weltweit größte Buchmesse in Frankfurt – vom ersten Tag an ein Lesefest und ein riesiger Buchladen. Viele kommen, um hier Bücher zu kaufen, die nur schwer im Handel zu bekommen sind. Die Mexikaner lesen gern und viel, aber die Vertriebswege sind umständlich, und so sind die Schlangen an den Kassen lang in den riesigen Verlagskojen.
Gastland Deutschland
Auch wenn die überwiegende Mehrzahl der angebotenen Bücher von spanischsprachigen Autoren kommt – in diesem Jahr steht die Literatur eines Landes im Mittelpunkt, das kulturell und geografisch weit wegliegt: Deutschland. Erstmals haben die Mexikaner damit ein nicht-romanisches Land zum Ehrengast erkoren. Und das im Jubiläumsjahr! Literatur aus Deutschland ist zwar nicht unbekannt, aber die Zahl der Übersetzungen ist überschaubar. Günter Grass und Herta Müller, das sind die Klassiker. Aber man will in diesem Jahr verstärkt auch jüngere Autoren vorstellen – und solche, die in Mexiko noch zu entdecken sind.
Vor allem gehe es um den kulturellen Austausch, der in einer globalen Welt so wichtig geworden ist, sagt Staatsministerin Cornelia Pieper zur Eröffnung des Pavillons vor hunderten von Gästen und Schaulustigen. Die bleiben auch noch, als der Tross der Politiker und Honoratioren davon zieht und amüsieren sich köstlich über zwei Männer im Glaskasten, die Slam-Poetry vortragen. Bas Böttcher und Dalkor Markovic sind die beiden Sprachkünstler, die vor allem ein junges Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Deutsche Sprache mal anders.
Viele deutsche Autoren kommen oder sind schon da. Von Monika Maron bis Wladimir Kaminer, die Bandbreite ist groß, die Themenauswahl auch. Klimawandel, DDR-Geschichten, Familienepen, die Liebe. Alles ist dabei. Trotzdem bleibt es schwer, deutsche Autoren in Mexiko durchzusetzen, sagt Jan-Cornelius Schulz, der als Deutscher seit bald zehn Jahren den mexikanischen Herder-Verlag betreibt und die Literaturszene dies- und jenseits des Atlantiks kennt. Deutsche Bücher setzen oft voraus, dass man sich mit der Geschichte des Landes auskennt. Und dieses Wissen fehlt vielen Mexikanern. Zweiter Weltkrieg, DDR – das sind Themen, die ganz weit weg sind, aber zum Verständnis deutscher Bücher notwendig sind. Vor sechs Jahren hat er Monika Marons “Animal Triste” ins Spanische übersetzen und verlegen lassen. Eine Liebesgeschichte, die nach dem Mauerfall spielt und auch erzählt, was es heißt, eine Gesellschaft wie die DDR zusammenbrechen zu sehen. Das Buch, in zahlreiche Sprachen übersetzt, hat in Mexiko gerade einmal 500 Käufer gefunden. Schulz fand das enttäuschend und erhofft sich durch die Buchmesse und durch die Anwesenheit von Monika Maron neues Interesse.
Die Autorin selbst ist da weniger optimistisch. Monika Maron, Jahrgang 1941, hat die weite Reise aus Berlin angetreten, um sich den mexikanischen Lesern vorzustellen. Sie liebt das Land und die Leute von früheren Reisen. Aber was Übersetzungen angeht, da haben es deutsche Autoren überall schwer, nicht nur in Mexiko, sagt sie.
Eine Ausnahme ist da Herta Müller. Schon bevor sie 2009 den Literaturnobelpreis erhielt, wurde die gebürtige Rumänin, die vor allem über die Jahre der Verfolgung unter dem Ceaucescu-Regime schreibt, ins Spanische übersetzt und genießt eine erstaunliche Popularität in Lateinamerika. Müller ist als deutsche Schriftstellerin Ehrengast der Buchmesse und wird zur unfreiwilligen Repräsentantin für ihr Land und für die gesamte deutsche Literaturszene. Das ist eine Rolle, in der sie sich merklich unwohl fühlt.
Stargast: Herta Müller
Am ersten Wochenende der Buchmesse in Guadalajara ist die öffentlichkeitsscheue Schriftstellerin der Star der Buchmesse. Gemeinsam mit Mario Vargas LLosa, der ein Jahr nach ihr den Literaturnobelpreis erhielt, spricht sie über die Veränderungen nach dem Literaturnobelpreis – und über ihr grundsätzliches Verständnis von Literatur. Müller und Vargas LLosa – das sind zwei Welten, die nicht zu einander passen. Während Vargas LLosa Romane grundsätzlich als Möglichkeit begreift, der realen Welt mittels Fantasie und Lüge zu entfliehen, besteht Müller auf Literatur als Medium, in dem die Wahrheit gesprochen werden muss, auch wenn es weh tut. 1500 Zuschauer lauschten dem Disput der beiden Literaturnobelpreisträger. Damit strafen sie all diejenigen Lügen, die behaupten, Guadalajara, immerhin die zweitgrößteStadt Mexikos, sei eine Stadt ohne Kultur. Die Besucher zahlen immerhin umgerechnet 10 Euro Eintritt, um auf die Messe zu gelangen – in Mexiko ist das ein kleines Vermögen. Vielleicht entdeckt der eine oder andere bei einer der zahllosen Veranstaltungen auch die deutsche Literatur. Da gibt es für beide Seiten noch viel zu entdecken.
Autorin: Sabine Kieselbach
Redaktion: Gudrun Stegen