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Deutschland verpasst seine Klimaziele

1. November 2019

Deutschland ist nicht auf Klimakurs. Die versprochene 40 Prozent CO2-Minderung bis 2020 wird nicht erreicht, nach Prognosen könnte das bis 2025 dauern. Experten und Bürger fordern von der Regierung deutliche Korrekturen.

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Deutschland Klimakabinett im Kanzleramt | Proteste
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Seit 2005 ist Angela Merkel Bundeskanzlerin und versprach stets den Klimaschutz. Bis 2020 sollte in Deutschland der Ausstoß von CO2 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent gesenkt werden. "Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten. Das versichere ich Ihnen", sagte Merkel noch vor der letzten Bundestagswahl 2017.

Nach der Wahl wurde dieses Versprechen abgeschwächt. Man wolle das Reduktionsziel 2020 "so weit wie möglich" erreichen, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD.

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag von Greenpeace kommt der Klimaschutz nicht wie versprochen voran. Die Berechnungen zeigen: Das Ziel ab 2020 pro Jahr weniger als 750 Millionen Tonnen CO2 in die Luft zu pusten würde "frühestens 2025" erreicht. Die Bundesregierung sei mit ihrer Klimapolitik um mindestens 5 Jahre in Verzug, so die Studie," da selbst die bisher verfehlten Klimaschutzziele nicht ausreichend wären, um die globale Erhitzung ausreichend einzuschränken."

Die DIW-Experten rechneten dabei die angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung für mehr Klimaschutz in Gebäuden und Verkehr ein, ebenso den bis 2038 geplanten Kohleausstieg. 

"Mit ihrem so genannten Klimaschutzpaket drückt sich die Bundesregierung weitere Jahre davor, den deutschen CO2-Ausstoß endlich deutlich zu senken", sagt Greenpeace-Klimaexperte Karsten Smid. "Die katastrophale Klimapolitik der Kanzlerin verheizt die Zukunft künftiger Generationen."

Infografik deutsche Klimaziele DE

Wie viel CO2 darf Deutschland noch ausstoßen?

Seit der Industrialisierung steigt die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre und verursacht den globalen Treibhauseffekt. In den letzten 150 Jahren stieg die globale Durchschnittstemperatur deshalb schon um rund einen Grad Celsius. Die menschengemachte Erwärmung hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant beschleunigt, mit immer gravierenderen Auswirkungen. 

Darum vereinbarte die Weltgemeinschaft im Pariser Klimaabkommen von 2015, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, möglichst auf 1,5 Grad. Damit soll die Anzahl und Wucht von Klimakatastrophen beschränkt und gefährliche Kippelemente vermieden werden, wie etwa auftauende Permafrostböden, die durch die Freisetzung von Methan die Erderwärmung weiter beschleunigen.

Laut Berechnungen des Weltklimarats IPCC darf in den kommenden Jahrzehnten nur noch relativ wenig CO2 zusätzlich in die Atmosphäre gelangen. Weltweit sollten höchstens 720 Milliarden Tonnen CO2 zusätzlich ausgestoßen werden, wenn die Erderwärmung unter 1,75 Grad begrenzt werden soll.

Was das für Deutschland bedeutet, hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung ausgerechnet. Das Ergebnis: Für die Einhaltung eines 1,75 Grad Ziels sollte Deutschland in den kommenden Jahrzehnten nur noch maximal 6.600 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen. 

"Bei fortdauernden Emissionen auf heutigem Niveau wäre dieses Budget in weniger als 9 Jahren (2028) verbraucht, bei einer linearen Reduktion nach etwas mehr als 17 Jahren (2037). Ein längerer Zeitverlauf zur Treibhausgasneutralität (z.B. bis 2050) erfordert überproportionale Reduktionserfolge in den nächsten Jahren", heißt es im offenen Brief an die Bundesregierung vom 16. September. Zugleich geben die Experten Empfehlungen wie das Klimaziel doch noch eingehalten werden kann.

Infografik Mehr CO2 gleich steigende Temperatur
Infografik Mehr CO2 gleich steigende Temperatur

Historische Wende für mutige Politik?

Rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland folgten dem globalen Aufruf von Fridays for Future und gingen am 20. September auf die Straßen um für das 1,5 Grad Ziel und konsequente Klimapolitik zu demonstrieren. 

Am gleichen Tag präsentierte die Bundesregierung Maßnahmen für mehr Klimaschutz. Doch die geplanten Maßnahmen und die damit verbundenen Emissionsminderungen sind nach Einschätzungen von Experten deutlich zu schwach zur Erreichung des Pariser Klimaziels.

"Politik ist das was möglich ist", verteidigt Bundeskanzlerin Merkel in der Pressekonferenz das Klimapaket. Bundesumweltministerin Svenja Schulze spricht von einem Neuanfang in der deutschen Klimapolitik und zeigt sich optimistisch. "Wir lernen aus den Fehlern der Vergangenheit. Dass Deutschland sein Klimaziel verfehlt, darf sich nicht wiederholen. Zahlreiche neue Klimaschutz-Maßnahmen sollen das sicherstellen." 

Doch die Kritiker sprechen von Vertagen, Verzagen und Versagen beim deutschen Klimaschutz.  "Das Klimapaket ist ein Dokument der politischen Mutlosigkeit. Mit dieser Entscheidung wird die Bundesregierung die selbstgesteckten Klima-Ziele für 2030 nicht erreichen", sagt Ottmar Edenhofer, Direktor des Mercator Research Institute on Global und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.

"Die Große Koalition hat im zentralen Punkt nicht geliefert." Der gesetzte CO2-Preis von 10 Euro ab 2021 sei viel zu niedrig und habe nur eine Alibi-Funktion. "Die Bundesregierung bleibt uns und den kommenden Generationen die entscheidende Antwort auf die Frage nach einem ambitionierten Klimaschutz schuldig", so Edenhofer.

Mit den beschlossenen Maßnahmen sei Deutschland noch "Lichtjahre vom deutschen Beitrag zum 1,5-Grad-Limit von Paris entfernt", heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme von Umweltverbänden.

"Die Ergebnisse des Klimakabinetts sind ein klares Regierungsversagen", erklärt darin Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings. "Besonders die unionsgeführten Ministerien sind nicht in der Lage, die völkerrechtlich verbindlichen Zusagen der Bundesregierung für 2030 einzuhalten und die Klimakrise zu stoppen", so Niebert. 

Und Michael Müller, Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschland kritisiert: "Dieses Klimakabinett ist der Beweis für den eklatanten Widerspruch zwischen Wissen und Handeln im Klimaschutz." Müller ist enttäuscht, denn "das 1,5-Grad-Limit ist jetzt seit 30 Jahren bekannt, doch die Politik setzt es einfach nicht um. Frau Merkel, machen Sie endlich Klimapolitik, statt sie zu verhindern".

Bis Anfang Dezember will die Bundesregierung nun einen Großteil der geplanten Klimavorhaben in Gesetzen festlegen. Umweltverbände, Oppositionsparteien im Bundestag und Klimabewegung fordern deutliche Korrekturen. "Zur Verhinderung der drohenden Klimakatastrophe muss eine zeitnahe Rückkehr auf den Zielpfad eingeleitet werden", schreiben dazu die Autoren der DIW-Studie. Sie empfehlen "dringende Nachbesserungen in allen Sektoren und insbesondere im Stromsektor", um die Klimaschutzziele einzuhalten und "die Bedrohung einer Klimakatastrophe abzubremsen/abzuwenden." 

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Gero Rueter Redakteur in der Umweltredaktion