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Mit Schleier und Maschinengewehr

Martin Koch15. März 2014

Im Syrien-Krieg wiederholt sich ein Trend, den es in anderen Krisengebieten schon gab: Muslimische Frauen greifen zur Waffe und kämpfen mit im "Heiligen Krieg". Und immer mehr kommen aus Deutschland.

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Verschleierte Frauen mit Waffe (Foto: picture alliance)
Bild: picture-alliance/landov

Verschleierte Frauen mit großen Waffen in der Hand - Bilder wie diese sorgen für Aufmerksamkeit, Internet-Klicks und hohe Auflagen bei Zeitungen. "Es gibt immer wieder eine große Faszination um solchen Dschihadistinnen", sagt der Islamexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) aus Berlin.

Dieses Phänomen sei in der Vergangenheit immer wieder zu beobachten gewesen, unter anderem bei einer Welle von Selbstmordanschlägen durch Frauen in Palästina, im Irak und bei den sogenannten "Schwarzen Witwen" in Tschetschenien.

Rita Breuer vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ergänzt, dass dieser Effekt auch für die Islamisten erstrebenswert sei, weil er ihnen mehr mediale Aufmerksamkeit für ihre Sache beschere.

Keine genauen Zahlen

Nach Angaben des deutschen Verfassungsschutzes kämpfen unter den geschätzt 80.000 Aufständischen in Syrien derzeit rund 300 Deutsche gegen das Regime von Machthaber Baschar al-Assad. Möglicherweise sind darunter bis zu 40 Frauen, genaue Zahlen gibt es jedoch nicht. Denn nicht alle, die nach Syrien einreisen, schließen sich auch den Rebellen an. Außerdem kommen viele auch schnell wieder nach Deutschland zurück oder greifen vor Ort dann doch nicht zur Waffe.

Was allerdings auffällig ist: Viele der Sympathisantinnen sind sehr jung. Zuletzt machte der Fall der Gymnasiastin Sarah aus Konstanz am Bodensee Schlagzeilen. Die damals 15-Jährige reiste nach Erkenntnissen des baden-württembergischen Landeskriminalamtes im Oktober 2013 über die Türkei nach Syrien. Per Internet schickte sie dann Fotos von sich mit Waffen und warb dafür, dass Frauen in den Kampf ziehen sollten.

Für den Terrorismusexperten der ARD, Holger Schmidt, ist damit eine neue Dimension erreicht: "Dieser Fall ist besonders bewegend, weil sie nach meinem Kenntnisstand die jüngste Frau aus Deutschland ist, die in ein solches Krisengebiet gegangen ist und die eigenen Aussagen zufolge offenkundig auch bereit ist, hier aktiv einzugreifen."

Verschleierte Frauen mit Waffe (Foto: picture alliance)
Viele der Dschihadistinnen sind noch sehr jungBild: picture-alliance/dpa

Keine Belege

SWP-Experte Steinberg mahnt in der Frage nach weiblichen Kämpferinnen im Syrien-Krieg allerdings zu großer Vorsicht, selbst wenn Fotos in sozialen Netzwerken sie in eindeutigen Kampfszenarien zeigen: "Das ist zunächst nur ein Hinweis, dass sie sich gern mit einer Waffe sehen. Ob es ein ernsthaftes Training ist, weiß man nicht." Es gebe keine belastbaren Belege dafür, dass deutsche Frauen in Syrien als Kämpferinnen aktiv sind, so Steinberg.

Auch für Einsätze als Selbstmordattentäterinnen gibt es seiner Ansicht nach derzeit keine Hinweise. "Das ist ein Phänomen, das sich auf den Irak und Palästina beschränkt. In Syrien, wo wir es mit einer größeren primär militärischen Auseinandersetzung zu tun haben, ist das noch nicht passiert."

Guido Steinberg (Foto: DW)
Guido Steinberg, IslamwissenschaftlerBild: DW

Es könne zwar dazu kommen, doch die religiösen und gesellschaftlichen Schranken für den Einsatz von Frauen sind sehr hoch, weil viele islamistische Kämpfer die Rolle der Frauen als eine rein unterstützende ansehen und eine Beteiligung am Kampf ablehnen, betont der Islamexperte. Zwar werde in Propaganda-Videos im Internet offensiv dafür geworben, dass Frauen und Kinder in die Kampfgebiete kommen sollten, doch dabei gehe es in erster Linie darum, dass sie den Männern moralische und praktische Unterstützung geben sollen. Strategische Überlegungen wie der Überraschungseffekt, weil Frauen zunächst einmal weniger verdächtig sind, oder die größere öffentliche Aufmerksamkeit nach einem Attentat spielen (noch) eine untergeordnete Rolle.

Persönliche Motive

Nach Ansicht anderer Experten ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis es auch aus Syrien Berichte darüber gibt, dass Frauen sich im Kampf oder als Selbstmordattentäterinnen aktiv am sogenannten "Heiligen Krieg" beteiligen. Die Gründe, sich militanten Gruppen anzuschließen, sind vielfältig, liegen aber fast immer im persönlichen Bereich. Das habe sich in anderen Regionen wie dem Irak, Palästina oder Waziristan im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan gezeigt, sagt Rita Breuer vom BfV.

Eines der stärksten Motive ist demnach die Rache für den Verlust des Ehemannes oder eines nahen Verwandten. Geradezu beispielhaft war das an den "Schwarzen Witwen" in Tschetschenien zu sehen, die den Tod ihrer Männer im Kampf mit russischen Truppen mit zahlreichen Selbstmordanschlägen vergelten wollten.

Auch der Versuch, persönliche Schuld wieder gut zu machen, kann als Motivation dienen, für die Sache des Islam im Kampf gegen die Ungläubigen zu sterben. Oft geht es dabei um sexuelles Verhalten, das nach dem Koran als sündig angesehen wird. Zudem sind nach Beobachtung von Experten Frauen, die sich radikalisieren lassen, oft seelisch labil und leicht zu manipulieren. Auf der Suche nach Anerkennung oder aus dem Wunsch heraus, ihrem Mann unterworfen zu sein, lassen sie sich dann für Terroraktionen einspannen.

Deutsches Problem

Für den Verfassungsschutz können Frauen und Männer, die aus Kampfgebieten des Dschihad zurückkehren, ein Problem werden: Sie sind stark ideologisiert, möglicherweise schwer traumatisiert und planen eventuell sogar Anschläge in Deutschland.

Holger Schmidt (Foto: SWP)
Holger Schmidt, ARD-TerrorismusexperteBild: SWR

Dass jetzt der Einsatz deutscher Frauen in islamistischen Kampfgruppen verstärkt in der Öffentlichkeit thematisiert wird, kommt für den Terrorismusexperten Schmidt deshalb nicht von ungefähr: "Von denen kann eine nicht unerhebliche Gefahr ausgehen. Und ich denke, der Verfassungsschutz weist aus einem bestimmten Grund darauf hin. Wenn nämlich einer der Rückkehrer hier etwas unternimmt, dann kann man darauf verweisen, vor dieser Gefahr ja gewarnt zu haben."

Diese Rückkehrer aufzufangen und sie am Begehen von Straftaten zu hindern, werde für Deutschland in den kommenden Jahren eine große Aufgabe sein, so Schmidt. Doch ebenso wichtig sei es, Menschen von vornherein vor der Radikalisierung zu bewahren. Der Fall der 15-jährigen Sarah, die sich innerhalb kürzester Zeit so sehr radikalisiert hatte, dass sie sich vollverschleiert in Syrien dem Kampf anschließen wollte, müsse da ein mahnendes Beispiel sein: "Es ist schwer vorstellbar, dass das im Umfeld nicht auffällt. Hier kommt es darauf an, dass Erziehungsberechtigte, Freunde und auch die Schule reagieren und gegebenenfalls Hilfe von Sozialarbeitern oder Sicherheitsbehörden in Anspruch nehmen."