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Politik

Prager Frühling veränderte auch Deutschland

Aureliusz M. Pedziwol
20. August 2018

Der Prager Frühling war kurz, aber seine Spuren in den deutsch-tschechischen Beziehungen sind bis heute sichtbar, meint der Jürgen Danyel, Soziologe am Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZFF) in Potsdam.

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Soziologe Jürgen Danyel
Soziologe Jürgen DanyelBild: DW/M. Pedziwol

Deutsche Welle: Der Prager Frühling ist schon ein halbes Jahrhundert her. Wie wurde das in der  Bundesrepublik damals wahrgenommen?

Jürgen Danyel: Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei waren in der Zeit nach der Gründung der Bundesrepublik 1949 historisch stark belastet. Da spielte sowohl das Münchner Abkommen eine Rolle, aber natürlich auch die antikommunistische Stimmung in der bundesdeutschen Gesellschaft. In der Ära des tschechoslowakischen Präsidenten Antonín Novotný (1957-68) gab es faktisch keine Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei.

DW: Hat sich das während des Prager Frühlings verändert?

JD: Ja, relativ schnell. Der erste Schritt war die Aufnahme von Wirtschaftsbeziehungen. In Prag wurde die deutsche Handelsmission errichtet.

Gleichzeitig war aber die Regierung von Kurt Georg Kiesinger (CDU, Bundeskanzler 1966-69) und Willy Brandt (SPD, Vizekanzler und Bundesaußenminister im Kabinett Kiesingers; Bundeskanzler 1969-72) interessiert, mit einzelnen ostmitteleuropäischen Ländern Beziehungen aufzubauen. Wie in Rumänien und Jugoslawien waren sie nun sehr daran interessiert, das Verhältnis zur Tschechoslowakei zu verbessern und diplomatische Beziehungen aufzunehmen.

DW: Wie ist das vor sich gegangen?

JD: Die Monate des Prager Frühlings, insbesondere der April und der Mai 1968, waren eine Gelegenheit für regen Austausch und Aufbau von Kontakten. Aber das waren alles informelle Beziehungen, weil beide Seiten Rücksicht auf die Sowjetunion nehmen mussten. Diese wollte man nicht provozieren. Die DDR-Führung unter Walter Ulbricht hat das mit großen Bedenken verfolgt. Die westlichen Mächte haben zwar den Kurs und die Ostpolitik von Brandt und Kiesinger gebilligt, aber eine Sonderrolle von Deutschland wollten sie eigentlich auch nicht sehen.

DW: Trotzdem wurden die NATO und insbesondere Deutschland von den Sowjets beschuldigt, zu versuchen, die Tschechoslowakei aus dem Ostblock herauszureißen. Das war letztlich die Begründung der Invasion, nicht wahr?

JD: Genau. Die Bundesregierung hat sehr vorsichtig agiert. Sie hat sich immer bemüht, nach Außen Neutralität und Nichteinmischung zu proklamieren. Gleichzeitig gab es aber eine Reihe von Kontakten, die nicht mehr geheim zu halten waren.

Für beide Seiten war nicht immer klar, wer da eigentlich am Tisch saß. Waren es offizielle Vertreter der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPČ) oder der Bundesregierung? Oder waren es Privatpersonen? Dabei ging es nicht nur um Politiker wie zum Beispiel Egon Bahr, sondern auch um Intellektuelle, wie Günter Grass, die der SPD nahe standen. Auch Willy Brandt hatte empfohlen, die Entwicklung im Osten und in der Tschechoslowakei mit zu berücksichtigen. Das ist natürlich in Moskau und Ostberlin sehr aufmerksam beobachtet worden.

DW: Wie kann man sich das vorstellen? Wer traf wen?

JD: Inzwischen wissen wir, dass es einige Treffen gab. Die SPD unter Brandt wollte zum einen mit der Reformführung um Dubček (1968-69 Generalsekretär der tschechoslowakischen Kommunisten) sprechen, zum anderen musste sie sich zu der tschechoslowakischen Sozialdemokratie verhalten, die sich in der Zivilgesellschaft wieder erneuert hatte. Dieses Dilemma hatten die Sozialdemokraten später auch im Umgang mit den Oppositionen in Ostmitteleuropa: Redet man mit der Regierung oder mit den Reformern in der kommunistischen Partei oder hilft man eben diesen zivilgesellschaftlichen Bemühungen? Das zeigte sich auch schon während des Prager Frühlings.

DW: Wie sind die deutschen Sozialdemokraten damit umgegangen?

JD: Es war schwierig. Der Handlungsspielraum war für beide Seiten oft begrenzt. Die Deutschen, insbesondere diejenigen, die die Gespräche und Verhandlungen geführt hatten, verhielten sich mitunter sogar vorsichtiger als die tschechische Seite. Sie haben gebremst, als die Wirtschaftsfachleute von der tschechischen Seite das Interesse an Krediten aus der Bundesrepublik geäußert haben. Aus Bonn hieß es, dass es nur eine europäische Lösung und keinen deutschen Sonderweg geben kann. Das Dilemma der Sozialdemokratie, dieses Geflecht aus Rücksichten und politischen Verhältnissen, sieht aus der Nähe betrachtet nicht sehr glorreich aus.

DW: 1988 hat der französische Präsident François Mitterand bei seinem Besuch in Prag Dissidenten zum Frühstück in die französische Botschaft eingeladen. Es ging also auch anders?

JD: Nach 1989 gab es die Kritik, dass nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch die anderen politischen Parteien, wie die CDU, zu lange darauf gesetzt hatten, mit der politischen Führung zu reden. Denn nach dem Einmarsch in die Tschechoslowakei wurde deutlich, dass jegliche bilaterale Vereinbarung mit einem mitteleuropäischen Satellitenstaat nur noch über Moskau zu machen war. Für Bahr und Brandt war nun unverkennbar, dass sie zuerst mit Moskau wieder irgendwie ins Geschäft kommen müssen.

DW: Wie hat das das deutsch-tschechoslowakisches Verhältnis beeinflusst?

JD: Der Prager Frühling war ein kurzes Fenster für positive Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei. Der Einmarsch hat viel zunichte gemacht und ich glaube schon, dass es langfristige Auswirkungen - auch auf die deutsch-tschechischen Beziehungen bis heute - gehabt hat. Die Nachfolger der Tschechoslowakei - die Tschechische Republik und die Slowakei - sind bis heute weniger wichtige Partner als Russland oder Polen. Ich glaube, das hat auch ein bisschen mit diesem Bruch in den Beziehungen zu tun, die der Einmarsch mit sich gebracht hat.

DW: Und wie reagierte Deutschland auf den Einmarsch?

JD: Die bundesdeutsche Gesellschaft hat die Ereignisse des Prager Frühlings sehr interessiert. Das sich nochmals deutlich nach dem Einmarsch gezeigt. In allen großen deutschen Städten gab es Kundgebungen. Selbst in Kleinstädten haben hunderte und tausende Menschen aus allen Bevölkerungsschichten, Schüler, Studenten, Beamte demonstriert. Es war eine Zäsur im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei. Dieses verbesserte Image konnte dann das Husak-Regime in der Zeit der Normalisierung nicht mehr unterdrücken. Ansonsten hätten wir die Entwicklung nach 1989 auch nicht erlebt.

Der Soziologe Jürgen Danyel ist stellvertretender Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam und leitet dort die Abteilung für Geschichte der Medien- und Informationsgesellschaft. Eines seiner Forschungs- und Interessengebiete ist Geschichte des Prager Frühlings.

Das Interview führte Aureliusz M. Pędziwol