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Politik

"Vernichtungsfeldzug gegen Muslime"

25. November 2019

Journalisten haben Einzelheiten über die Unterdrückung der Uiguren in China aufgedeckt. Der Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker, Delius, sieht darin im DW-Interview einen Beleg für einen Gesamtplan Pekings.

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China | Muslime | Umerziehungslager
Eines der chinesischen Internierungslager in der Region XinjiangBild: picture-alliance/dpa/AP Photo/File

Seit Jahren prangern Menschenrechtsorganisationen die Unterdrückung der Uiguren in Nordwestchina an. Immer wieder gab es Berichte über Umerziehungslager. Neue Dokumente haben jetzt Details über die Verfolgung der muslimischen Minderheit und Anleitungen zur massenhaften Internierung enthüllt. Mit den "China Cables" genannten Papieren wirft das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) ein Schlaglicht auf die Verfolgung der Uiguren. 

DW: Herr Delius, die "China Cables" belegen, dass die von Peking als "Weiterbildungseinrichtungen" in der Region Xinjiang bezeichneten Lager in Wirklichkeit abgeschottete, streng bewachte Umerziehungslager sind. Wie sehr sind Sie von diesen Informationen überrascht worden?

Ulrich Delius: Überrascht bin ich nicht, weil wir die Entwicklung seit Jahren verfolgen. Seit 2017 haben wir die Einrichtung von Umerziehungslagern sehr intensiv begleitet. Auf internationalen Konferenzen haben wir immer wieder davor gewarnt und sind mit der Bundesregierung dazu in ständigem Kontakt. Wir versuchen es auf internationaler Ebene zu einem Thema zu machen. In den Vereinten Nationen sind wir dabei natürlich auf starken Widerstand gerade von Seiten Chinas gestoßen.

Aber jetzt, denke ich, gibt es einen Durchbruch. Die "China Cables" tragen mit dazu bei, das Gesamtsystem zu verstehen. Sie ziehen Bezüge zwischen den verschiedenen, erschreckenden Ereignissen und machen deutlich, dass es kein Handeln einzelner Personen ist, die ihre Kompetenzen überschreiten, sondern dass es einen Gesamtplan gibt, um diese Region unter absolute Kontrolle der chinesischen Regierung zu stellen.

Die Entwicklung war also absehbar. Inwiefern hat die internationale Gemeinschaft zu wenig Druck gemacht? Vielleicht auch weggeschaut?

Ulrich Delius Direktor GfbV
Der Asienexperte Ulrich DeliusBild: GfbV/M. Boettcher

Schauen Sie sich an, wie die Reaktionen in den Vereinten Nationen sind. Die muslimischen Staaten sagen im Prinzip fast alle nichts dazu - obwohl es muslimische Nationalitäten sind, die davon betroffen sind. Es geht um viel Geld, es geht um Wirtschaftskontakte mit China. Man möchte sich nicht den Mund verbrennen. Man will keinen Ärger haben. Die westlichen Staaten schauen auch zu einer großen Zahl weg. Wir haben 23 Staaten von über 190, die bereit sind, sich öffentlich vor die Vereinten Nationen zu stellen und zu sagen: ‘Das sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, man muss handeln, man darf nicht einfach wegschauen.‘ Es ist bestürzend zu sehen, dass sich nur so wenige Staaten trauen, heute eine der schwersten Menschenrechtsverletzungen der Welt anzusprechen. Geschweige denn, klare Forderungen zu erheben, wie diese gestoppt werden müssen.

Gehört Deutschland zu den Staaten, die bereit sind, für die Menschenrecht der Uiguren in die Konfrontation mit China zu gehen? Wie sehen Sie die Rolle Deutschlands?

Die Haltung der deutschen Bundesregierung ist in dieser Frage eher ermutigend. Wir stellen fest, dass Deutschland uns Nichtregierungsorganisationen (NGOs) immer den Rücken gestärkt hat. Von deutscher Seite aus war man in den letzten zwei Jahren intensiv bemüht, dieses Thema auch auf der internationalen Ebene so anzusprechen, dass sich die Staaten kümmern sollten. Das sehen wir positiv. Nur stellen wir fest, dass selbst in der Europäischen Union die Luft für einen Konsens sehr dünn geworden ist. Die EU ist weit entfernt davon entfernt, dass man gemeinsam handelt und ein Ende dieser Menschenrechtsverletzungen fordert. Wenn das schon allein in der EU umstritten ist, einem Staatenbündnis, dass sich der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet sieht, dann macht das deutlich, wie groß der Einfluss der Volksrepublik China auf internationaler Ebene geworden ist.

Uigurische Sozialkampagne
Protest in Social Media: Uiguren beklagen MenschenrechtsverstößeBild: Halmurat Harri

Welche Möglichkeiten gäbe es denn, China zum Einlenken in seinem Vorgehen gegen die Uiguren zu bewegen? Glauben Sie, dass die EU - wenn sie denn mit einer Stimme sprechen würde - überhaupt eine Chance hätte - oder fühlt sich China mittlerweile wirtschaftlich so stark und unabhängig, dass es sich von niemand reinreden lassen will?

Der größte Feind von Menschenrechtsverletzungen ist immer die Öffentlichkeit. Man muss darüber reden. Wenn man nicht darüber redet, sondern gleich davon ausgeht, nichts erreichen zu können, weil der Staat, dessen Handeln man stoppen möchte, so übermächtig ist, dann ist das schon der falsche Ansatz. Hier ist allein wichtig, überhaupt erst mal Öffentlichkeit zu schaffen. Das Unerträgliche, das wir sehen, anzusprechen. Nämlich, dass dort die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen begangen werden, ohne dass es auf internationaler Ebene momentan irgendeine Folge für die Volksrepublik China hat. Obwohl die Verbindung zur chinesischen Regierung gezogen wurde, dass es ein Regierungsprogramm ist. Natürlich ist es illusorisch zu denken, dass ein einzelner Staat erreichen würde, dass die Volksrepublik China dieses umstrittene Programm einstellt.

Aber wenn wir mal die Entwicklung betrachten, dann waren es Einzelpersonen, NGOs, die China letztlich dazu gezwungen haben, sich zu diesem Programm zu bekennen und deutlich zu sagen, dass es nicht nur um ein Berufsbildungsprogramm geht, sondern dass massiv Menschen inhaftiert und gegen ihren Willen festgehalten werden. Das ist letztlich der Verdienst derjenigen, die sich dagegen ausgesprochen haben und sich nicht diesem Diktat unterworfen haben. Wir könnten China so oder so nicht in die Knie zwingen. Wenn wir nichts unternehmen, dann werden wir auch keinerlei Fortschritte bei den Menschenrechten in Nordwestchina erreichen.

Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor. Gibt es dafür Belege?

Was wir jetzt erleben, betrifft nicht nur Uiguren, sondern genauso Kirgisen und Kasachen, alle muslimische Nationalitäten in Xinjiang. Es ist kein Privatkrieg, den China gegen die Uiguren führt. Es ist im Prinzip ein Vernichtungsfeldzug gegen muslimische Nationalitäten. Gegen Kasachen und Kirgisen wurde niemals auch nur ansatzweise der Vorwurf des Terrorismus erhoben. Deshalb ist der Bezug zu Terrorismus-Vorwürfen gar nicht gegeben. Im übrigem denke ich, wenn Peking erreichen will, dass sich Muslime im Nordwesten Chinas gewaltsam erheben, dann müssen sie nur so weitermachen. Wir erleben eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Es wäre an der Zeit, dass China darüber reflektiert, was sein Handeln für Folgen hat.

Wenn man von sich aus Staatsgewalt so eskalieren lässt, dann darf man sich nicht wundern, wenn von der anderen Seite irgendwann Gewalt kommt. Wir wollen das nicht entschuldigen, aber es ist ein hausgemachtes Problem und es hat mit internationalem Terrorismus absolut nichts zu tun. Wobei die Uiguren gar nicht mehr die Möglichkeit haben, Gewalt anzuwenden, weil sie so vollkommen überwacht werden. 

Ulrich Delius ist Asienexperte und Direktor der international tätigen Nichtregierungsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen.

Das Gespräch führte Ralf Bosen.

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur