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PolitikAsien

Decoding China: Spannung mit Taiwan vorprogrammiert

Yuchen Li aus Taipeh
16. Februar 2024

Friede in der Taiwan-Straße im neuen Jahr des Drachen? Experten rechnen eher mit mehr Säbelrasseln. Die USA wünschen sich im Wahljahr aber nichts weniger als einen neuen Konflikt auf der Weltkarte.

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Taiwan Verteidigungsministerium Überwachung
(Archiv) Taiwans Marine beobachtet eine chinesische Fregatte in der Taiwan-Straße (Quelle. Verteidigungsministerium der Republik China)Bild: ROC/ZUMA Wire/IMAGO

Von wegen Friede, Freude Eierkuchen anlässlich des chinesischen neuen Jahres, das am 10. Februar begann: Die chinesische Volksbefreiungsarmee macht offenbar keine Betriebsferien und setzte ihre Militärübungen rund um die Insel Taiwan fort, die Peking als eine abtrünnige Provinz betrachtet. Das Verteidigungsministerium in Taipeh zählte in den ersten sechs Tagen im neuen Jahr des Drachen 43 Kampfjets und 29 Kriegsschiffe vom Festland- China, die um die  Republik China, wie Taiwan offiziell heißt, aktiv sind.

An der Insel, die sich seit  1949 selbst verwaltet, führte China in den letzten Jahren vermehrt und immer regelmäßiger so genannte "Kampfbereitschaftspatrouillen" durch. Kampfjets überfliegen dabei die Mittellinie der Taiwanstraße, eine inoffizielle "Grenzmarkierung" in der Meeresenge.

Diese Militäroperationen wurden nach dem Besuch der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im Sommer 2022 intensiver. Peking duldet keinen Besuch von repräsentativen politischen Mandatsträgern auf Taiwan. Solche Visiten kämen einer Anerkennung der Regierung in Taipeh gleich, glauben die Kommunisten. Kurz nach dem Pelosi-Besuch führte Festland-China ein dreitägiges Militärmanöver um Taiwan durch und schoss dabei mit scharfer Munition.

Die Militärexperten auf Taiwan und in den USA sind sich einig: Solche Patrouillen würden in Zukunft noch zunehmen. Die Streitkräfte der Volksrepublik China könnten die Insel mit militärischen Mitteln isolieren, ohne sie direkt anzugreifen, so die Befürchtung.

In Pekings Fadenkreuz: Taiwans bedrohte Inseln

Chinakritiker Lai wird neuer Präsident auf Taiwan

Im Januar gewann der amtierende Vizepräsident William Lai Ching-te die Präsidentschaftswahlen auf Taiwan. Die Inauguration findet am 20. Mai statt. Lai gilt den Kommunisten in Peking als ein Politiker, der mit einer Unabhängigkeit liebäugelt. Auf der anderen Seite der Taiwan-Straße will Präsident Xi Jinping die Wiedervereinigung um jeden Preis, auch mit Waffengewalt. Ein eigens für diesen Zweck verfasstes Antispaltungsgesetz wurde 2005 vom Volkskongress, der stets der Linie des Regierung folgt, gebilligt.

China wolle eine starke Regionalmacht werden und alle wichtigsten strategischen Gebiete kontrollieren, sagt Su Tzu-yun vom taiwanesischen Institut für nationale Verteidigungs- und Sicherheitsforschung (INDSR). Deswegen sei das Interesse extrem groß, die Herrschaft auf Taiwan auszudehen. "Sobald China sein Ziel erreicht hat, könnte Taiwan potenziell zu Chinas Hawaii werden", sagt Su gegenüber DW und betonte, die Insel sei ein Tor Chinas zum Pazifik. Deswegen würden solche Militärpatrouillen jetzt zur Routine und würden demnächst auch noch häufiger durchgeführt.

Die Taiwanesen hätten nicht wirklich ein Problem mit der verbalen Kriegsdrohung, sagt Amanda Hsiao, Senior Analystin der Brüsseler Denkfabrik International Crisis Group gegenüber DW. "Die täglichen Übergriffe und Belastungen machen ihnen viel mehr zu schaffen." So trainiert auch Taiwan seine Streitkräfte, um sich gegen mögliche Invasionen durch das Festland zu wehren.

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Isolation statt Angriffskrieg?

Um sein Ziel zu erreichen, setze China nicht mehr auf einen Angriffskrieg, sondern auch eine Militärblockade, analysiert das Center for Strategic and International Studies (CSIS) in seiner jüngsten Studie im Januar. Die Autoren hatten zwischen November und Dezember 2023 mehr als 80 Militärexperten auf Taiwan und in den Vereinigten Staaten befragt.

Zu den Befragten gehört auch Lee Hsi-ming, ein taiwanesischer Admiral im Ruhestand. Vor der Veröffentlichung der Studie sagte er im DW-Interview, dass die Blockade "eine ganz besondere Bedrohung für Taiwan" sei. Die Schifffahrtsrouten um Taiwan, sei es für Handel oder Militäroperationen, könnten so komplett abgeschnitten und die Insel isoliert werden. "Wir müssen eingestehen, dass weder die konventionelle noch die asymmetrische Kriegsführung bei der Verteidigung gegen die Isolation wirksam ist." Nur eine "starke regionale Zusammenarbeit" mit den US-Streitkräften im Indopazifik könne helfen.

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Eine asymmetrische Kriegsführung bezeichnet den Zustand, dass China und Taiwan waffentechnisch und strategisch komplett unterschiedlich ausgerichtet sind. "Der Oberbefehlshaber Xi Jinping kalkuliert auch das Risiko, dass China im Krieg gegen Taiwan scheitert", sagt Su vom Institut für nationale Verteidigungs- und Sicherheitsforschung (INDSR). "China weiß, dass die Chancen gering sind, dass ein groß angelegter Angriff auf Taiwan reibungslos verläuft. Daher wäre eine Blockade die bessere Option."

Hoffnung auf Annäherung zwischen USA und China

Unterstützung der USA?

Eine militärische Eskalation auf beiden Seiten der Taiwan-Straße könnte zu Konflikten auch auf beiden Seiten des Pazifiks führen. Darin sind sich die Experten einig. Neben dem Handel ist die Problematik um Taiwan in den Beziehungen zwischen China und den USA der Dreh- und Angelpunkt. Washington verpflichtet sich mit dem Taiwan Relations Act, "die Fähigkeit der USA aufrechtzuerhalten, Widerstand zu leisten gegen jedem Rückgriff auf Gewalt oder andere Arten von Nötigung, die die Sicherheit oder das soziale oder wirtschaftliche System der Einwohner von Taiwan gefährden würden."

Laut dem CSIS-Bericht machen sich allerdings deutlich weniger Experten aus Taiwan als aus den USA noch Hoffnungen, dass sich Washington im Falle eines bewaffneten Konflikts einmischen würden. Im Jahr 2024 wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. In diesem Wahljahr wünscht sich Washington nichts weniger als einen weiterer Brennpunkt auf der weltpolitischen Karte, der den Wahlausgang beeinflussen könnte.

Harnisch: "Deeskalationsgipfel" zwischen China und USA

US-Präsident Joe Biden von der Demokratischen Partei hat mehr als einmal öffentlich erklärt, dass Washington Taiwan gegen eine mögliche chinesische Invasion verteidigen werde. Jedes Mal musste das Weiße Haus nach seinen Stellungnahmen die Aussage relativieren, dass sich die US-Politik gegenüber Taiwan nicht geändert habe.

"Jede künftige republikanische Regierung würde China an die Spitze der Prioritätenliste setzen", sagt Elbridge Colby, Ex-US-Vizeverteidigungsminister unter der Präsidentschaft von Donald Trump. Inwiefern sich die USA direkt militärisch engagieren würden, hänge von der Entschlossenheit Taiwans ab, sagt der Sicherheitsexperte. "Am Ende des Tages werden die USA denen helfen, die sich selbst helfen."

Die Aufrüstung auf Taiwan sei trotz einiger Fortschritte deutlich hinter dem Ausmaß der Bedrohung vom Festland zurückgeblieben, räumt Colby ein. "Taiwan tut nicht annähernd das, was es tun müsste, um sich besser verteidigen zu können". Das sei selbstmörderisch.

Auch in Taipeh wird darüber spekuliert, was passiert, sollte der Ex-Präsident Donald Trump 2025 wieder ins Weiße Haus einziehen. Trump würde Taiwan mehr Schutz bieten, sagt Hsiao von der Crisis Group. Der Ball liege aber dann auch in Taipeh. "Taiwan unter der neuen Präsidentschaft von William Lai Ching-te muss seine Interessen klar formulieren und das, was es zu erreichen hofft."

Mitarbeit: Richard Walker, DW Chief International Editor

Decoding China" ist eine DW-Serie, die chinesische Positionen und Argumentationen zu aktuellen internationalen Themen aus der deutschen und europäischen Perspektive kritisch einordnet.

Aus dem Englisch adaptiert von Dang Yuan