1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Ukraine-Krieg: Das Schwarze Meer und seine Bedeutung

17. Januar 2024

Russland, die Ukraine, die Türkei, die NATO und Europa - viele Akteure haben in der Region handfeste Interessen. Seit Kriegsbeginn prallen sie stärker aufeinander.

https://p.dw.com/p/4V1C0
Schwarzes Meer | Getreidefrachtschiff
Nicht nur Russland und die Ukraine haben strategische Interessen im Schwarzen MeerBild: Yulii Zozulia/Ukrinform/abaca/picture alliance

Fast zwei Jahre sind seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine mittlerweile vergangen. Die Fronten an Land scheinen mittlerweile verhärtet, es geht kaum vor oder zurück.

Gekämpft wird aber auch zur See. Immer wieder gibt es Angriffe auf Kriegs- oder Handelsschiffe, auf Häfen und andere straterzes meergische Ziele im Schwarzen Meer. Auch der Einsatz von Minen stellt eine große Gefahr für die Schifffahrt in der Region dar.

Das Schwarze Meer ist für Russland und die Ukraine gewissermaßen das Tor zur Welt, seine strategische und wirtschaftliche Bedeutung immens. Aber auch die anderen Anrainer, allen voran die NATO-Staaten Türkei, Bulgarien und Rumänien haben handfeste Interessen in diesem Binnenmeer zwischen Europa und Asien.

Russland: Ureigenstes Interessengebiet

Russland betrachtet das Schwarze Meer seit jeher als ureigenstes Einflussgebiet. Schon während des Zarenreiches und später zu Sowjetzeiten bildete das Meer die Südflanke der Großmacht.

Bis heute gilt es als Sprungbrett, von dem aus Russland seinen Einfluss im Mittelmeer, Nahen Osten, Nordafrika und Südeuropa geltend machen kann. Über das Schwarze Meer erhält Russland auch Zugang zu weiter entfernten Staaten, in denen es militärisch aktiv ist, etwa nach Syrien oder Libyen. Im syrischen Tartus unterhält Russland bereits eine eigene Marinebasis.

Krim | Russische Schwarzmeerflotte vort Sewastopol
Sewastopol beherbergt seit über 230 Jahren das Hauptquartier der russischen SchwarzmeerflotteBild: Ulf Mauder/dpa/picture alliance

Militärisches Herzstück Russlands in der Region ist die Schwarzmeerflotte, die schon seit 1793 durchgehend ihr Hauptquartier in Sewastopol hat. Die Hafenstadt auf der seit 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim hat für Moskau eine besondere Bedeutung. Denn sie besitzt einen auch im Winter eisfreien militärisch nutzbaren Tiefwasserhafen.

Wie sehr Moskau darauf bedacht ist, seine Hegemonie über den Schwarzmeerraum zu behalten, zeigen zahlreiche regionale Konflikte, die in den vergangenen Jahren gezielt geschürt wurden.

Russland besitzt völkerrechtlich zwar nur einen kleinen Anteil von rund zehn Prozent der gesamten Schwarzmeerküste. Tatsächlich kontrolliert es jedoch heute rund ein Drittel der Küstenlinie, da es die unter seinem Einfluss liegenden Gebiete immer mehr erweitert hat.

2008 intervenierte Moskau in Georgien und etablierte zwei international nicht anerkannte, russlandtreue Republiken, darunter Abchasien an der Ostküste des Schwarzen Meeres. 2014 annektierte Russland die Halbinsel Krim, und seit Ausbruch des Ukraine-Krieges 2022 eroberte und besetzte es weite Teile der am Schwarzen Meer liegenden Südukraine.

Auch handelspolitisch ist das Schwarze Meer von großer Bedeutung für Russland. Einen Großteil der Exporte von Getreide, Düngemitteln und anderen Gütern wickelt Moskau über die hier liegenden Häfen ab. Auch gewinnt die Handelsroute durch das Schwarze Meer an Bedeutung, weil es darüber Güter an Staaten liefern kann, die sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen haben.

Ukraine: Lebenswichtige Handelsroute

Ist das Schwarze Meer schon für Russland als Handelsroute von großer Bedeutung, gilt das für die Ukraine umso mehr. Über 50 Prozent ihrer gesamten Exporte wickelte die Ukraine zu Friedenszeiten über ihren größten Schwarzmeerhafen in Odessa ab.

Vor allem Getreide für den Weltmarkt wurde hier bis zum Auslaufen des Getreideabkommens mit Russland Mitte Juli verschifft. Denn der Schwarzmeerraum gilt auch als eine der weltgrößten Kornkammern.

Russland und die Ukraine zusammen besaßen vor Kriegsausbruch einen Anteil von 60 Prozent der globalen Exportmenge an Sonnenblumenöl, knapp 24 Prozent an Weizen und rund 19 Prozent an Gerste

Beide Staaten würden durch ein Erlahmen des Güterverkehrs über das Schwarze Meer wirtschaftlich hart getroffen.

Frachter mit ukrainischem Getreide auf seiner Durchfahrt durch Bosporus
Die Ukraine bleibt auch weiterhin auf Exporte ihres Getreides durch Frachter angewiesenBild: Yasin Akgul/AFP/Getty Images

Mittlerweile hat die Ukraine unter dem Eindruck des Krieges auch andere Exportwege ausgebaut. Nach EU-Angaben werden nur noch 40 Prozent des ukrainischen Getreides über das Schwarze Meer exportiert, der Rest über den Landweg durch die EU. Dennoch wird Kiew auch auf längere Zeit von einem funktionierenden Güterexport über den Seeweg abhängig bleiben.

Europa: Korridor zwischen politischen Gegnern

Während Russland und die Ukraine also um die Handelsrouten in Nord-Süd-Richtung kämpfen, wird für Brüssel die Ost-West-Verbindung immer wichtiger. Mit Rumänien und Bulgarien hat die EU zwei Mitgliedstaaten an der Schwarzmeerküste, zudem wurden mit Georgien und der Ukraine bereits Assoziierungsabkommen geschlossen.

In Brüssel wird das Schwarze Meer zunehmend als wichtiger Korridor für Waren- und Energietransporte zwischen Asien und Europa gesehen. Da sich Europa immer unabhängiger von russischem Öl und Gas machen will, rücken die Förderstaaten im Kaukasus, allen voran Aserbaidschan, zunehmend in den Fokus.

Baku exportiert über Georgien und die Türkei Öl und Gas nach Europa. Die Strecke über das Schwarze Meer umgeht dabei sowohl Russland im Norden als auch den Iran im Süden und ist dadurch für die Europäer, die diese beiden Staaten mit schweren Wirtschaftssanktionen belegt haben, von besonderer strategischer Bedeutung.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Aserbaidschans Staatschef Aliyev
Gute Geschäfte mit Baku: EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Aserbaidschans Staatschef Aliyev wollen die Exportmenge aserbaidschanischen Gases in die EU bis 2027 verdoppelnBild: Aserbaidschanische Präsidialverwaltung/Xinhua News Agency/picture alliance

Auch die NATO hat daher starke sicherheitspolitische Interessen im Schwarzen Meer. Von 1997 bis zum Kriegsausbruch in der Ukraine hat die NATO hier jährlich große Manöver abgehalten

Ständig präsent sind jedoch nur die drei NATO-Marinen Bulgariens, Rumäniens und der Türkei. Dies geht auf das bereits 1936 geschlossene Abkommen von Montreux zurück, das der Türkei die vollkommene Souveränität über den Bosporus und die Dardanellen garantiert - den einzigen Ausgang des Schwarzen Meeres in Richtung Mittelmeer.

Direkt nach Kriegsausbruch im Februar 2022 sperrte die Türkei die Passage für sämtliche Kriegsschiffe, nicht nur für die russischen, so dass das Kräfteverhältnis der Seestreitkräfte im Schwarzen Meer seitdem konserviert wurde.

Türkei: Gleichgewicht als wichtigstes Ziel

Der Türkei kommt somit eine geostrategische Schlüsselposition zu, da sie den Zugang zum Schwarzen Meer - wenn auch abgesichert durch internationale Verträge - kontrolliert. Ankara ist der wichtigste NATO-Partner in der Schwarzmeer-Region und sieht sich selbst als Drehscheibe für den Handel zwischen Zentralasien, dem Kaukasus und dem Nahen Osten.

Der türkische Staatschef Erdogan und Russlands Präsident Putin
Haben beide großes Interesse am machtpolitischen Status quo im Schwarzmeerraum: Der türkische Staatschef Erdogan und Russlands Präsident PutinBild: Sputnik/Xinhua/IMAGO

Die Türkei ist sehr darauf bedacht, ihre Führungsrolle in der Region gegenüber der NATO zu sichern. Dabei ist für Ankara vor allem das Verhältnis zu Russland entscheidend.

Das Schwarze Meer wird in Ankara wie in Moskau als absolut vorrangige Interessenzone gesehen. Die Türkei wacht aufmerksam darüber, dass die über Jahrzehnte gewachsene Machtbalance im Schwarzmeerraum weitestgehend beibehalten wird. 

Der Vertrag von Montreux gibt Ankara dabei die Möglichkeit, weitere Akteure - auch die NATO - im Schwarzmeerraum außen vor zu lassen. Und das wiederum spielt auch Moskau durchaus in die Karten. 

Dieser Artikel stammt vom 11.8.2023 und wurde letztmals am 17.1.2024 aktualisiert. 

Thomas Latschan Bonn 9558
Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik