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Politik

"Potenzial zur Versöhnung nicht umgesetzt"

22. Mai 2020

Das Gedenken an die 1945 bei Bleiburg von jugoslawischen Partisanen getöteten kroatischen Soldaten wurde nicht für eine bessere Erinnerungskultur genutzt, meint Klaus Buchenau, Spezialist für Religionen in Südoseuropa.

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Österreich Bleiburg Gedenkfeier zum 70. Jahrestags des Massakers von Bleiburg
Der Gedenkstein für die Opfer der "Tragödie von Bleiburg" nahe der gleichnamigen österreichischen Stadt Bild: picture-alliance/EXPA/APA/O. Hoher

DW: Wegen Corona musste das jährliche Gedenktreffen für die Opfer der sogenannten Tragödie von Bleiburg vor 75 Jahren abgesagt werden. Stattdessen las der katholische Kardinal Vinko Puljić am Samstag in der Kathedrale der bosnischen Hauptstadt Sarajevo eine Messe für die Toten. Was ist in der österreichischen Gemeinde an der heutigen slowenischen Grenze am 16.5.1945 passiert?

Klaus Buchenau: Anfang Mai 1945 wollten sich vor den jugoslawischen Partisanen flüchtende, bis dahin mit dem besiegten Nazideutschland verbündete Soldaten und Zivilisten bei Bleiburg britischen Truppen ergeben. Die aber wiesen sie zurück und schickten sie zurück über die damalige jugoslawische Grenze in die Hände der Tito- Partisanen.

Dann begannen Massaker und Todesmärsche, die sich über Wochen und Monate hinzogen. Der Demograph Vladimir Žerjavić hat in einer weithin anerkannten Studie errechnet, dass unter den Opfer ca. 45.000 Kroaten, 4.000 Muslime, 8.000 bis 10.000 Slowenen und 2.000 montenegrinische und serbische Četniks [nationalistische Milizionäre; d. Red.] waren; insgesamt geht die Forschung von 70.000 bis 80.000 Opfern aus.

Klaus Buchenau, Universität Regensburg | Geschichte Südost- und Osteuropas
Prof. Dr. Klaus Buchenau, Historiker und Spezialist für Religionen und Konfessionen in Ost- und Südosteuropa Bild: privat

Weil die meisten dieser Opfer kroatische Soldaten waren, ist Bleiburg seit langer Zeit vor allem ein kroatischer Gedenkort, der lange von in den Westen geflüchteten antikommunistischen Emigranten und ehemaligen Ustaša [Anhänger des von Nazideutschland in Kroatien eingesetzten faschistischen Regimes 1941-45; d. Red.] monopolisiert wurde. Aber es gab in der kroatischen Emigration immer auch ein kirchliches Gedenken, was in Jugoslawien bis zum Ende der kommunistischen Herrschaft verboten blieb.

Christian Schwarz-Schilling, der ehemalige Bundespostminister und spätere Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien, nennt Bleiburg in einem DW-Kommentar' eines der größten Faschistentreffen Europas'. Kann man das so sagen?

Das ist zu einfach. Die Opfer von Bleiburg hatten gemeinsam, dass sie nicht auf Seiten der kommunistischen Partisanen waren - was nicht alle automatisch zu Faschisten macht.

Während des Kalten Krieges hatte das Gedenken einen klar post-faschistischen Charakter. Aber in den 1990er Jahren kamen kroatische Nationalisten neueren Typs hinzu, von denen viele selbst eine kommunistische Vergangenheit hatten. Und in den letzten Jahren viele Vertreter der kroatischen politischen Establishments, und zwar bei weitem nicht aus der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft HDZ [derzeitige Regierungspartei, Mitglied der konservativen Europäischen Volkspartei EVP; d. Red.] sondern auch Sozialdemokraten. Zudem gibt es einen starken kirchlichen Teil. Und Nationalisten, unter denen auch Ustaša-Anhänger finden.

Wo steht Kardinal Puljić, der am Samstag die Messe für Bleiburg in Sarajevo gelesen hat?

Puljić hat das Erzbistum Sarajevo 1991 übernommen, unmittelbar vor dem Krieg [um Bosnien-Herzegowina 1992-95; d.Red.]. Er hatte die drastische Schrumpfung seiner 'Herde' durch Flucht und Vertreibung zu beklagen. Trotzdem hat er nicht den Ruf, besonders nationalistisch zu sein. Er arbeitet seit langem im Interreligiösen Rat Bosniens mit.

Ich weiß nicht, warum die kroatische Bischofskonferenz entschieden hat, die diesjährigen Bleiburg-Feierlichkeiten gerade in Puljićs Hände zu legen. Er war als Hauptredner der Feier in Österreich vorgesehen, die ja wegen Corona nicht stattfinden konnte. Möglich ist, dass man mit ihm als zentraler kirchlicher Figur der Feier ein Signal in Richtung Ökumenisierung des Gedenkens setzen wollte.

Ökumenisierung?

Puljić verfügt über durchaus solide Kontakte zu den anderen Glaubensgemeinschaften nicht nur in Bosnien. In seiner Predigt hat er den anderen religiösen Oberhäuptern signalisiert, dass das Bleiburg-Gedenken nicht gegen sie gerichtet ist. Bekanntermaßen nationalistischen Klerikern würde das niemand abnehmen.

Der serbisch-orthodoxe Metropolit Hrizostom Jević hat erklärt, mit der Messe für Bleiburg habe sich Puljić die Türen der Kirchen dieser Konfession verschlossen...

Die serbisch-orthodoxe Kirche ist gut beraten, sich an die eigene Nase zu fassen. Die halten auch Gedenkveranstaltungen für ihre Helden und Opfer ab. Metropolit Hrizostom könnte einen anderen Weg gehen – und sagen, okay, wenn ihr mitmacht, dann beginnen wir auch, politische Konnotationen aus unserem Totengedenken herauszunehmen. Das wäre ein Schritt in Richtung echte Ökumene.

Es macht nämlich einen großen Unterschied, ob man sagt: Dort sind Menschen ohne jegliches Gerichtsverfahren getötet worden. Daher haben wir sie aufgrund unserer menschenrechtlichen Überzeugungen erst mal für unschuldig zu halten und dürfen ihrer gedenken, auch wenn sie als Soldaten sicher nicht mit Opfern in Konzentrationslagern zu vergleichen sind. Oder ob man sagt: Das waren die Helden des Ustaša-Staats, der war ein großartiges Projekt und die Kriege der 1990er Jahre waren eine Verlängerung dieses Heroismus. Und dessen wollen wir gedenken.

Sie haben sich 15 Jahre lang mit den Religionen in Ex-Jugoslawien beschäftigt. Welche Rolle spielen die bei der Versöhnung auf dem Balkan?

Ich glaube nach wie vor, dass es ein spezifisch religiöses Versöhnungspotenzial gibt. Weil religiöse Menschen die Idee verbindet, dass auch schwerste Sünden vergeben werden können. Und dass es mit Gott eine oberste Instanz gibt, die auch wirklich vergibt, wenn jemand aufrichtig bereut. Deshalb darf man auch für jeden beten, selbst für die größten Sünder - ohne sie damit politisch zu rechtfertigen. Der irdische Streit hat eine Art Blitzableiter. Säkulare Menschen haben diese Möglichkeit des Delegierens nicht.

Aber das Potenzial der Religionen zur Versöhnung ist in Ex-Jugoslawien bisher nicht wirklich umgesetzt. Einerseits, weil religiöse Ideen dort nur eine begrenzte Reichweite haben und sich bis weit hinein in den Klerus mit nationalen politischen Vorstellungen vermischen. Und wenn man im höheren Klerus eine gewissen Zahl von Nationalisten hat, dass wirkt sich das aus bis an die Basis, bis zu den Laien. Zum Beispiel dahingehend, dass sich Leute nicht an bestimmte Dinge und Themen herantrauen.

Dennoch gibt es zwischen der serbisch-orthodoxen und der katholischen Kirche in Bosnien und Kroatien über die Jahre gewachsene Kontakte. Aber sie verbinden weniger ganze Institutionen als konkrete Personen, etwa von Bischof zu Bischof. Sie sind unterschiedlich stabil, halten nicht jeder Erschütterung stand, wie man jetzt an der Reaktion von Bischof Hrizostom auf die Messe für Bleiburg sehen kann.

Klaus Buchenau ist Professor für Geschichte Südost- und Osteuropas an der Universität Regensburg. 2003 wurde er mit dem Thema „Orthodoxie und Katholizismus in Jugoslawien 1945-1991. Ein serbisch-kroatischer Vergleich" promoviert, 2011 habilitierte er sich mit „Auf russischen Spuren. Orthodoxe Antiwestler in Serbien 1850-1945". Er gehört der Evangelisch-Lutherischen Kirche an.