Das freie Internet ist in Gefahr
26. November 2019Der Iran hat das Internet zeitweise komplett. Russland will aus den Internet eine Art nationales Intranet machen. In China finden inzwischen Konferenzen statt, auf denen beraten wird, auf welchem Weg digitale Abschottung funktionieren kann. Deshalb - als ein Gegengewicht - sei das Internet Governance Forum (IGF) wichtig, sagt der Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen" Christian Mihr, dessen NGO auf dem fünftägigen Forum mit einem eigenen Informationsstand vertreten ist, der Deutschen Welle. In der Vergangenheit sei der Ruf des IGF nicht immer der beste gewesen, das wisse er. Aber das Thema Freiheit im Internet, das Motto des Treffens, sei sehr wichtig. Dass bei der Eröffnung des IGF auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach, begrüßt Mihr ausdrücklich. Denn sicherlich werde es international als Signal interpretiert.
"One World. One Net. One Vision"
Das IGF findet das erste Mal in Deutschland statt. Im Vorfeld wurde über das Thema des Treffens "One World. One Net. One Vision" auch im Bundestag debattiert. Teilhabe an der Digitalisierung sei eine Voraussetzung für sozialen Zusammenhalt und wirtschaftliche Stabilität, heißt es in einem Beschluss der Regierungskoalition. Abgeordnete nehmen an einigen der zahlreichen Expertentalks des IGF statt.
Merkel sprach vor rund 2500 Teilnehmern, der riesige Saal in einem Berliner Großhotel war bis auf den letzten Platz belegt. Sie machte zwei Ausrufezeichen. Erstens warnte sie vor einer Abschottungspolitik. Dadurch würde das Internet "zersplittern". Die Infrastruktur des Netzes drohe instabil und damit anfällig für Attacken zu werden. Überwachung und Zensur würden erleichtert. Das alles würde die grundlegende Idee des Internets für einen freien Informationsaustausch "ad absurdum" führen.
Zweitens sprach sich Merkel dafür aus, die Internet-Governance, also den Ordnungsrahmen, zu überarbeiten. Das klassische multilaterale Vorgehen als Zusammenarbeit zwischen Regierungen müsse erweitert werden. Da das Internet "alle etwas angeht", müssten auch Wissenschaft, Wirtschaft, Bürger und Zivilgesellschaft mitreden.
Die Vereinten Nationen sind Schirmherrin der Veranstaltung. Das multilaterale Selbstverständnis sei beiden gemein, beschrieb Merkel. Dennoch müsse auch über neue Strukturen nachgedacht werden. Näher führte die Bundeskanzlerin das nicht aus, verwies aber auf andere Foren wie die G20-Treffen oder die EU. Es brauche einen breiten Dialog darüber "was wir nicht wollen" und über Fragen der digitalen Souveränität.
Die Politik hinkt hinterher
Als zweites politisches Schwergewicht sprach UN-Generalsekretär Antonio Guterres in Berlin. Er attestierte ein "großes Governance-Gap". Die Politik habe die Aufgabe, die Vorteile des Internets zu stärken und Missbrauch einzudämmen. Aktuell aber hinke sie der technologischen Entwicklung hinterher und schaue nur vom Spielfeld-Rand zu. Berlin habe vor 30 Jahren die Mauer eingerissen - und nun würden im Internet neue virtuelle Mauern errichtet. Das sei eine Gefahr für das Internet, da es eine politische Kluft schaffe. Guterres kritisierte Gesichtserkennung, Geolokalisierung oder Überwachung durch Künstliche Intelligenz. Menschenrechte müssten nicht nur offline, sondern auch online gelten.
Außerdem kündigte der UN-Generalsekretär an, verstärkt gegen die digitale und soziale Kluft vorgehen zu wollen. Der Zugang zum Internet müsse auch in Lateinamerika und Afrika gegeben sein. Die UN werde deshalb einen "technologischen Gesandten" ernennen.
Ein Thema kam in beiden Reden nicht explizit zur Sprache: Die deutsche liberale Partei FDP hatte im Vorfeld des Treffens appelliert, Deutschland solle seine Vorreiterrolle bei Verschlüsselungstechnik nutzen und sich auf internationaler Ebene für ein Recht auf Verschlüsselung einsetzen. Davon war bei der Eröffnung nicht die Rede.