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PolitikEuropa

Cyber-Krieg in Serbien?

19. Mai 2022

Anonyme Droh-Mails haben in Belgrad viele Menschen in Angst und Schrecken versetzt. Die Drohungen richten sich gegen Schulen und andere Einrichtungen. Gibt es einen Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg?

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Ein Polizist sperrt mit einem Polizeiauto die Straße und spricht mit Passanten - Screenshot eines Fernsehberichts über Bombendrohungen in Serbien
"Wer führt den Cyberkrieg in Serbien?", fragt der serbische Nachrichtensender N1Bild: youtube.com/N1

Der Belgrader Gymnasiast Aleksa Plemic wollte sich gerade auf den Weg zur Schule machen, als die Nachricht über den Messengerdienst Viber kam: In einer anonymen Email war der Schule mitgeteilt worden, dass sich eine Bombe im Gebäude befände. "Das war natürlich ein riesiger Schock", sagt Gordana, die Mutter des Schülers, "wir hatten keine Ahnung, wie man in einer solchen Situation reagiert".

Auf ähnliche Weise begann der Montagmorgen (16.5.2022) für mehrere Millionen weitere Familien in Serbien - denn solche Bombendrohungen waren nach Angaben der serbischen Polizei in mindestens 200 Grund- und Mittelschulen im Land angekommen, vor allem in der Hauptstadt Belgrad. Ältere Schülerinnen und Schüler, die sich bereits in den Schulen befanden, wurden umgehend nach Hause geschickt; jüngere wurden von ihren Lehrerinnen und Lehrern in Sicherheit gebracht und warteten dort, bis ihre Eltern sie abholten.

Screenshot Youtube N1 | Bombendrohungen in Serbien Belgrad
Belgrad, 16.5.2022: Schülerinnen und Schüler fliehen nach einer Bombendrohung aus ihrer SchuleBild: youtube.com/N1

"Das Ganze hat uns Eltern mehr aus der Fassung gebracht als die Kinder", sagt Gordana Plemic im Gespräch mit der DW. Sie ist Vorsitzende der Vereinigung "Eltern", die sich für die Belange von Schülern stark macht. "Die Eltern berichten, dass die Schulen schnell reagiert haben", sagt sie anerkennend. "Trotzdem wird es ihnen in diesen Tagen schwerfallen, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Denn wir wissen weder, wie sich das weiter entwickeln wird, noch was diese Drohungen bedeuten. Wir wissen nicht, wie sicher unsere Kinder sind, ob es nicht eines Tages doch zu einem echten Alarm kommt oder ob etwas passiert, ohne dass vorher gewarnt wird."

Flut von Drohmails

Serbien ist seit März 2022 regelmäßig Ziel anonymer Bombendrohungen. Anfangs richteten sie sich gegen Flüge von Belgrad nach Russland. Mittlerweile ist ihre schiere Anzahl derart angewachsen, dass selbst die Polizei nicht mehr genau weiß, wie viele Drohungen eigentlich wo eingegangen sind. In einer Erklärung des Innenministeriums heißt es, dass bei 48 Orten und Institutionen Hunderte von Drohbotschaften eingegangen seien. Neben Schulen waren Brücken, Einkaufszentren, Restaurants, Bahnhöfe, Kraftwerke, Wasserleitungen und Krankenhäuser betroffen, außerdem das Privathaus von Staatspräsident Aleksandar Vucic und die russische Botschaft.

Screenshot einer Karte Belgrads mit roten Markierungen für Orte, für die Bombendrohungen eingingen
Überall in Belgrad gab es Bombendrohungen: Screenshot des TV-Senders N1Bild: youtube.com/N1

"Die Drohnachrichten wurden von Email-Adressen bei Google, Proton, Eunet, Yandex sowie über anonyme Telefonanrufe versendet", so das serbische Innenministerium. Bisher wurde die regionale Herkunft von insgesamt 19 dieser Adressen in Serbien und im Ausland identifiziert. Acht Droh-Mails kamen aus Polen, vier aus Gambia, je zwei aus dem Iran und Nigeria und je eine aus der Ukraine, Slowenien und Russland.

Schwierige Ermittlungen

"Bei Emails von Servern, deren Betreiber auf Datenschutz als Geschäftsmodell setzen, ist es sehr schwierig, Informationen über die Absender zu bekommen", erklärt der Belgrader Cyber-Sicherheitsexperte Adel Abusara der DW. "Beim schweizerischen Anbieter Proton-Mail etwa muss das Innenministerium des betroffenen Staats über Europol gehen, die dann die schweizerische Polizei und diese wiederum die dortige Justiz kontaktieren", so Abusara weiter.

Screenshot einer Bombendrohung, veröffentlicht vom TV-Sender N1
Der Nachrichtensender N1 hat eine der Droh-Mails veröffentlicht - hier ein ScreenshotBild: youtube.com/N1

Stimmt das zuständige Gericht zu, wird die entsprechende Firma aufgefordert, die Eigentümer der Email-Adressen zu finden - was zum Beispiel der Email-Anbieter Proton in den allermeisten Fällen verweigert. "Es kommt fast immer zu einem Rechtsstreit," berichtet Adel Abusara, "und der kann dauern, denn Email-Provider, die Wert auf den Schutz der Daten ihrer Nutzer legen, haben ganze Anwaltsteams. Die wehren sich gegen jede Anfrage, die von ihnen verlangt, User-Daten preiszugeben."

Ziel: Druck auf Serbien?

Über die Gründe für die massenhaften Bombendrohungen in Serbien spekulieren öffentlich vorerst nur Vertreter der serbischen Regierung. "Wir sind das einzige Land in Europa, das keine Sanktionen gegen Russland verhängt hat", sagte etwa Premierministerin Ana Brnabic, "und der Druck auf uns ist unglaublich".

Serbiens Ministerpräsidentin Ana Brnabic vor einer Fahne und dem Schriftzug "Serbia"
Serbiens Premierministerin Ana Brnabic (Archivbild)Bild: ANDREJ ISAKOVIC/AFP/Getty Images

Innenminister Aleksandar Vulin erklärte, mit den Bombendrohungen sollte Serbien gezwungen werden, seine "unabhängige Außenpolitik" einzustellen. "Diese Angriffe wurden nicht von Einzelpersonen initiiert oder durchgeführt. Es handelt sich um massenhafte, organisierte und sehr teure Hackerangriffe, die von verschiedenen Zentren für hybride Kriegsführung ausgeführt werden", so der Minister.

Kein Cyberterrorismus

Cyber-Experten dagegen meinen, es sei derzeit schwierig, die Motive hinter den Bombendrohungen zu interpretieren - aber dass auf keinen Fall von Terroranschlägen oder gar Cyberterrorismus gesprochen werden könne. "Dass eine Droh-Email von einem russischen oder Schweizer Server kommt, bedeutet absolut nicht, dass man von der Schweiz oder Russland angegriffen wird, sondern dass jemand Server in diesen Ländern genutzt hat", erklärt Sicherheitsexperte Adel Abusara.

Zudem komme es nicht nur in Serbien immer wieder zu Bombendrohungen, sondern auch in den Nachbarländern Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Rumänien. "Vor drei Jahren hat ein Teenager Droh-Emails an tausende Schulen und Kindergärten verschickt, was zur Evakuierung dieser Institutionen führte", berichtet Abusara und fügt hinzu: "Solche Dinge passieren. Die Frage ist, wie schnell man darauf rechtlich reagieren kann."