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Politik

Die neue Verantwortung der Gesundheitsämter

Kay-Alexander Scholz
14. Mai 2020

Deutschland kam bislang relativ gut durch die Pandemie. Auch weil die Last auf viele Schultern verteilt wurde. Dieser Vorteil des föderalen Systems soll nun auch in der neuen Phase helfen. Doch reicht das Personal?

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Deutschland | Coronavirus - Berlin | Gesundheitsamt
Bild: picture-alliance/dpa/Zentralbild/B. Pedersen

Lockerungen für das Alltagsleben markieren in Deutschland derzeit den Beginn einer neue Phase der COVID-19-Pandemie. Auch in der Politik hat sich etwas gelockert: Die Ministerpräsidenten der Bundesländer beraten nicht mehr alle 14 Tage mit der Kanzlerin. Und die nationale Gesundheitsbehörde, das Robert-Koch-Institut (RKI), verzichtet auf regelmäßige Pressekonferenzen, die es zuletzt zwei Mal wöchentlich abgehalten hat. Doch das Virus wütet noch immer.

Im weiteren Kampf gegen die Pandemie rücken nun die in die erste Reihe, die bislang im Hintergrund sowieso schon vieles geleistet haben: die Gesundheitsämter.

Deutschland Berlin | Coronavirus | Lothar Wieler, Robert Koch-Institut
Das RKI rückt in die zweite Reihe - zumindest was die Häufigkeit der Pressekonferenzen angehtBild: Reuters/C. Mang

Jeder Landkreis und jede größere Stadt hat ein Gesundheitsamt mit einem Amtsarzt oder einer Ärztin an der Spitze; je nach Bundesland heißt es manchmal nur etwas anders. Die Ämter gehören zum sogenannten öffentlichen Gesundheitssystem. Es gibt insgesamt 375 Ämter mit 17.000 Mitarbeitern.

Hier findet schon in normalen Zeiten viel statt: psycho-soziale Betreuung zum Beispiel. Es gibt Kinderzahnärzte, Hygiene-Inspektoren und Berater für HIV oder Tuberkulose. Zuletzt gab es immer wieder Meldungen über zu wenig Personal - auch wegen vergleichsweise schlechter Bezahlung.

Dabei treffen die Beamten mitunter weitreichende Entscheidungen. So regeln die Gesundheitsämter derzeit, wie im Landkreis oder der Stadt die COVID-19-Tests gemanagt werden. Wobei es von übergeordneten Landes- und Bundesbehörden im Gesundheitsbereich, wie dem RKI, Richtlinien gibt. Doch entschieden wird vor Ort. So funktioniert dieser Teil des föderalen Systems in Deutschland.

Stärkere Regionalisierung

In der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ist die Verantwortung der Gesundheitsämter nun noch einmal gewachsen. Steigen die Infektions-Zahlen erneut, so haben es Bund und Länder beschlossen, sollen von den Gesundheitsämtern ausgehend regionale Eindämmungsmaßnahmen auf den Weg gebracht werden. Wenn innerhalb einer Woche mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner auftreten, soll vor Ort eine Art "Notbremse" gezogen werden. Im Ergebnis könnten Lockerungen wieder zurück genommen oder gar nicht erst umgesetzt werden.

Regionale Pandemie-Pläne seien besser, als immer gleich das ganze Bundesland oder ganz Deutschland herunter zu fahren, hieß es zur Begründung von Merkel und den Länderchefs.

Deshalb erfahren die Gesundheitsämter derzeit eine für sie ungewohnte Öffentlichkeit. Kanzlerin Angela Merkel lobte die "zentrale Rolle" dieser "wichtigen Stelle" und deren "engagierte Mitarbeiter". Das seien schließlich die Stellen, an denen die Infektionsketten nachvollzogen werden könnten.

Ziel: Infektionsketten früh zerschlagen

Für die Mitarbeiter heißt das jede Menge Arbeit und neue Verantwortung. Sie sollen nun möglichst verhindern, dass die Fallzahlen wieder nach oben schnellen, indem neue Infektionen schnell erkannt und weitere Ansteckungen verhindert werden. Hierfür muss recherchiert werden, mit welchen Personen ein Neu-Infizierter Kontakt hatte. Wer das Virus in sich tragen könnte, muss dann in eine verordnete und vom Gesundheitsamt überwachte Quarantäne. Gegebenenfalls gilt es Massen-Testungen zu organisieren.

Der Landkreis Oberspreewald-Lausitz hat rund 100.000 Einwohner. Er liegt unweit von Berlin und hatte bislang Glück - es gab nur ein paar Dutzend COVID-19-Fälle. Doch schon damit hatte das Gesundheitsamt anscheinend ziemlich viel zu tun.

Blutprobe für Covid-19 Coronavirus Test im Labor
Entscheidend im Kampf gegen COVID-19: ausreichend TestsBild: picture-alliance/Zoonar/R. Kneschke

Das gesamte Team des Gesundheitsamtes habe zwischenzeitlich Aufgaben rund um das Virus übernommen, heißt es aus der Pressestelle. Insgesamt stünden knapp 40 Personen zur Verfügung. Auch aus anderen Fachbereichen hätten Kollegen ausgeholfen. An den Wochenenden arbeite ein Team aus bis zu fünf Personen. Diese müssen unter anderem Neuinfizierte weiter melden, damit das RKI die täglichen Zahlen veröffentlichen kann.

Umfrage warnt vor Überlastung

Auch die Quarantänen mit täglichen Kontroll-Anrufen machen viel Arbeit. Ihre Anzahl kann schnell in die Höhe gehen. Im Nachbarlandkreis Bautzen sind zum Beispiel neben 100 Infizierten mehr als 400 Quarantäne-Fälle zu betreuen. In anderen Regionen Deutschland liegen die Zahlen weitaus höher.

Vor diesem Hintergrund verwundert das Ergebnis einer Recherche der öffentlich-rechtlichen Medienanstalt ARD wenig. In einer Umfrage, an der sich die Hälfte der Gesundheitsämter beteiligte, meldeten 63 Ämter zurück, sie seien überlastet oder kurz davor. Zwei von drei Ämtern gaben an, nicht genügend Personal zu haben.

Entlastung im Anmarsch

Im Landkreis Oberspreewald-Lausitz freut man sich gerade über personelle Unterstützung durch zwei sogenannte Containment-Scouts zur Eindämmung (englisch: containment) der Pandemie. Deutschlandweit werden derzeit rund 500 Scouts vom RKI je nach Infektionsgeschehen verteilt. Ihr Job: Kontaktpersonen der Infizierten ermitteln. Sie haben sich nach einem öffentlichen Aufruf des RKI freiwillig gemeldet. Das Geld dafür kommt vom Bundesgesundheitsministerium.

Corona-Hotspot Schlachthof

Die Bundesländer dürfen zudem bei der Bundeswehr sogenannte Amtshilfe erbitten. Speziell geschulte Soldaten des "Einsatzkontingents Corona" sollen die Gesundheitsämter als Kontaktpersonen-Ermittler entlasten. Im Bundesland Brandenburg sind zum Beispiel aktuell 100 Soldaten im Einsatz.

Bald schon könnte es eine gänzlich andere Form der Hilfe geben - eine digitale. Die schon länger angekündigte deutsche App zur Nachverfolgung von Infektionsketten nimmt Formen an. Europas größter Softwarekonzern SAP und die Deutsche Telekom erhielten von der Bundesregierung den Auftrag dazu. Nun veröffentlichten beide Firmen ein erstes Konzept. Mitte Juni soll die App fertig sein.