Corona schiebt Afrikas Onlinehandel an
7. Juni 2020Ende April, als die Corona-Beschränkungen das Leben in Uganda erfassten, wurden Shamim Sserunjogi und ihr Bruder Moses notgedrungen zu Digitalunternehmern. "Er hatte ein Motorrad, ich hatte einen Plan. So haben wir angefangen", sagt die 32-Jährige der DW. Sserunjogi filetierte und verkaufte schon vorher Tilapia und Nilbarsch aus dem nahegelegenen Viktoriasee, aber wegen der Ausgangsbeschränkungen blieben die Kunden weg. Also legte sie Profile bei Facebook, WhatsApp und anderen Onlinediensten an, über die sie ihre Ware nun verkauft. Ihr Bruder schafft auf dem Motorrad durch den Stadtverkehr von Kampala am Tag etwa acht Lieferungen, sagt Sserunjogi - sie erhalte so viele Anfragen, dass sie manche Kunden auf den Folgetag vertrösten müsse.
Das Bild ist in vielen afrikanischen Ländern das gleiche: Während die Pandemie den Bewegungsradius der Menschen stark einschränkt, nimmt der Onlinehandel an Fahrt auf. Das gilt für kleine Unternehmerinnen wie Shamim Sserunjogi genauso wie für mittlere und große: Das ivorische Online-Modelabel Afrikrea schreibt auf DW-Anfrage, die Bestellungen hätten sich seit Februar verdoppelt und für 53 Prozent höheren Umsatz gesorgt; jede dritte Bestellung enthalte handgenähte Schutzmasken.
Und auch der nigerianische Onlinehändler Jumia, der seit seinem US-Börsengang vor einem Jahr mit starken Kursverlusten zu kämpfen hatte, vermeldete sein bestes Ergebnis seit langem. In der zweiten Märzhälfte, als vielerorts in Afrika Corona zum Thema wurde, vervierfachten sich die Bestellungen bei Gebrauchsgütern. Der Trend setze sich annähernd fort, sagt Jumia-Sprecher Abdesslam Benzitouni. Im ersten Quartal 2020 gingen bei Jumia 6,4 Millionen Bestellungen ein.
Boom durch Corona
Für die Entwicklung macht Alastair Tempest vom Branchenverband Ecommerce Forum Africa zwei Gründe aus: "Erstens konnten viele wegen der Lockdowns nicht wie gewohnt ihre Erledigungen in den Geschäften machen. Und zweitens wurde viel darüber geredet, ob das Virus nicht auch über Gegenstände wie Bargeld übertragen wird - da ist die bargeldlose Zahlung im elektronischen Handel eine einfache Gegenmaßnahme." Länder wie Ruanda und Kenia hätten sogar aktiv dafür geworben.
Corona habe bereits laufende Entwicklungen massiv beschleunigt, glaubt der Wirtschaftsprofessor Honest Prosper Ngowi von der tansanischen Mzumbe-Universität: "Meiner Ansicht nach befindet sich Afrika, besonders die urbanen Zentren, mitten in der digitalen Revolution. COVID-19 hat das weiter beschleunigt", sagt Ngowi im Gespräch mit der DW.
Geschäfte zwischen Händlern und Endverbrauchern, der sogenannte "Business-to-Customer"-Bereich (B2C), seien dabei hauptsächlich noch einer urbanen Mittel- und Oberschicht vorbehalten, schätzt Ngowi. Allerdings gebe es gerade auch große Bewegung im B2B-Bereich, also zwischen Unternehmern, sagt Branchenvertreter Alastair Tempest - etwa digitale Dienstleister, die kleine Landwirte direkt mit Marktverkäufern zusammenbringen und so teure Mittelsleute umgehen.
Kein einfacher Markt
Was dem Onlinehandel auch hilft: Die Netzabdeckung mit mobilem Internet werde immer besser. "Der digitale Graben zwischen Stadt und Land wird, in Tansania und anderswo in Afrika, gerade in Windeseile zugeschüttet", sagt Ökonom Honest Prosper Ngowi. Aber außerhalb der Metropolen liegen den Online-Logistikern buchstäblich Steine im Weg: Die Straßen, über die bestellte Waren angeliefert werden müssten, sind häufig kaum ausgebaut. "Wir brauchen erst gute Straßen, und Händler wie Jumia brauchen eine gewisse Zahl an Kunden, damit es sich lohnt, aufs Land zu fahren", sagt Ngowi.
"An einen abgelegenen Ort in angemessener Zeit zu liefern, ist eine der größten Herausforderungen", sagt Jumia-Konzernsprecher Abdesslam Benzitouni. Sein Unternehmen setze in ländlichen Regionen keine eigenen Lieferanten ein, sondern kooperiere mit Partnern, etwa Postunternehmen oder Tankstellenketten. "Wir arbeiten mit Dritten, die die jeweilige Gegend gut kennen. Und wir haben Abholstationen im ganzen Land."
Eine besondere Herausforderung für Anbieter ist, das Vertrauen ihrer Kunden zu gewinnen. Der nigerianische Analyst Adamu Babibkoi sagt: "Wenn sie mit Bank- oder Kreditkarte Waren zahlen sollen, sind einige Menschen recht zurückhaltend. Viele kennen sich damit nicht gut aus." Es passiere immer wieder, dass Kunden Betrügern aufsäßen und ihr Geld verlieren, sagt Babibkoi der DW.
Strohfeuer oder nachhaltiges Wachstum?
Offen ist, ob der Onlinehandel in Afrika von dem Coronavirus nachhaltig profitieren kann. "Ich denke, wenn die Pandemie vorbei ist, wird sich die Wachstumskurve abflachen", sagt Alastair Tempest vom Branchenverband Ecommerce Forum Africa. "Aber das bedeutet nicht unbedingt einen Rückgang, sondern nur langsameres Wachstum." Im Lockdown hätten viele Menschen gezwungenermaßen Online-Bestellungen ausprobiert - und dafür ihre anfänglichen Berührungsängste überwunden. "Vertrauensprobleme verschwinden gerade, weil die Leute feststellen, dass der Onlinehandel nicht voller Betrüger, Diebe und Ganoven ist. Es funktioniert, und bringt ihnen Sachen, die sie haben wollen - und die sie zurückschicken können, wenn sie nicht passen oder kaputt sind."
Auch Jumia-Sprecher Benzitouni glaubt: "Wenn man sich erst einmal mit etwas auseinandersetzt, sieht man auch die Vorteile." Für sein Unternehmen gehe es trotzdem erst einmal darum, sich zu stabilisieren und profitabel zu werden. Zwischenzeitlich war Jumia in 14 Ländern aktiv, mittlerweile sind es nur noch elf, in denen will der Konzern nun Fuß fassen.
In Uganda hat Jumia gerade mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNDP ein Pilotprogramm gestartet , um vor allem kleine Lebensmittelhändler online anzubinden. Das UNDP hat einigen Marktverkäufern in Kampala Smartphones gegeben, damit sie auf der Plattform ihre Waren anbieten können. Im Grunde machen sie das, was die Fischhändlerin Shamim Sserunjogi in derselben Stadt alleine geschafft hat.
Mitarbeit: Frank Yiga