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Politik

Corona im Griff zu Vietnams Nationalkongress?

25. Januar 2021

Vietnam steht in punkto Wirtschaft und Infektionszahlen nach dem Corona-Jahr gut da. Aber darauf wird sich die neue Parteiführung nicht ausruhen können.

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Treffen des Zentralkomitees in Hanoi zur Vorbereitung des Nationalkongresses
Vorbereitungstreffen des Nationalkongresses in HanoiBild: Phuong Hoa/VNA/REUTERS

Wenige Länder waren weltweit so erfolgreich bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie wie Vietnam. Mit rigiden Maßnahmen konnten die Infektionszahlen das ganze Jahr über unter Kontrolle gehalten werden. Bis heute wurden 1544 Infektionen bestätigt, 35 Personen sind an oder mit COVID-19 gestorben (Stand 21. Januar, laut Johns Hopkins-Universität). Die Wirtschaft musste sich infolgedessen nur wenig einschränken und erzielte nach offiziellen Angaben ein Wachstum von 2,9 Prozent. 2020 konnte Vietnams optimistischem Konsumklima nichts anhaben. Trotz COVID-19 erzielte das Land laut dem Londoner Marktforschungsunternehmen Nielsen beim Vertrauen der Verbraucher im Mai die vierthöchste Platzierung weltweit. 

Die exportorientierte Nation wird für die globalisierte Wirtschaft und internationale Lieferketten immer wichtiger, auch für die Europäische Union und Deutschland: In der ersten Jahreshälfte trat ein Freihandelsabkommen mit der EU (EVFTA) in Kraft. Hanoi organisierte auch die virtuelle Vertragsunterzeichnung für die größte Freihandelszone der Welt, die "Regional Comprehensive Economic Partnership" (RCEP). 

"Freude über dem Land" 

Im Kontrast zu diesen wirtschaftlichen und diplomatischen Erfolgen war 2020 für Vietnams Presse- und Meinungsfreiheit ein düsteres Jahr. Kurz vor dem Nationalkongress der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) vom 25. Januar bis 2. Februar kam es zu noch mehr Verhaftungen als sonst üblich vor dem Großereignis, das alle fünf Jahre stattfindet. Zuletzt (08.01.2021) wurden drei Journalisten, Pham Chi Dung, Nguyen Tuong Thuy und Le Huu Minh Tuan, in einem eintägigen Scheinprozess wegen angeblicher "staatsfeindlicher Propaganda" zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Ein Hanoier Gericht verhängt hohe Haftstrafen gegen Nguyen Tuong Thuy (l), Le Huu Minh Tuan (m) und Pham Chi Dung (r)
Urteil im jüngsten Scheinprozess gegen die drei Journalisten Nguyen Tuong Thuy (l), Le Huu Minh Tuan (m) und Pham Chi Dung (r)Bild: VNA/REUTERS

Aus Sicht der Partei steht also alles zum Besten: Der Großteil der Bevölkerung ist mit dem Kurs des Landes zufrieden, Kritik und abweichende Meinungen werden erfolgreich unterdrückt. Parteichef und Präsident Nguyen Phu Trong fasste die gute Stimmung am 7. Dezember 2020 auf einem Treffen mit dem Militär so zusammen: "Genossen, Freude und erwartungsvolle Spannung liegen über unserem Land." Nur wenige Staats- oder Regierungschefs hätten so etwas im Corona-Jahr wohl sagen können.

Bei dem bedeutendsten Ereignis im politischen Kalender Vietnams werden die Mitglieder des Zentralkomitees gewählt, die dann das zukünftige Politbüro bestimmen. Der Kongress legt auch die politischen Leitlinien für die nächsten fünf Jahre fest. Zur Frage, welchen Herausforderungen sich die neue Führung in den nächsten fünf Jahren stellen muss, hat die Deutsche Welle drei ausgewiesene Vietnam-Kenner befragt. 

China als bleibender Störfaktor 

Für den emeritierten Politologen Carl Thayer von der australischen Universität New South Wales ist die Energiesicherheit Vietnams das drängendste Problem der nächsten fünf Jahre. Die boomende Wirtschaft benötigt mehr und mehr Energie. Die dafür erforderlichen Ressourcen, Öl und Gas, liegen direkt vor der Küste innerhalb der exklusiven Wirtschaftszone Vietnams. Doch die Volksrepublik China, die völkerrechtswidrig einenGroßteil des Südchinesischen Meeres für sich beansprucht, hindert Hanoi in den sich überlappenden Anspruchsgebieten an der Ausbeutung. In den letzten Jahren blockierten chinesische Küstenwachschiffe immer wieder Explorationsschiffe, die im Auftrag Vietnams unterwegs waren. Eine Lösung ist nicht in Sicht, so Thayer, denn: "China wird die Ölexploration weiterhin behindern." 

Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer
Chinas und Vietnams Ansprüche überschneiden sich im Südchinesischen Meer

Auf den folgenden zwei Plätzen stehen für Thayer wirtschaftliche Herausforderungen. Zum Ersten die Lösung der "zahlreichen und langjährigen Zoll- und Handelsstreitigkeiten mit den Vereinigten Staaten, Vietnams größtem Exportmarkt." So hatten die USA Vietnam im vergangenen Dezember beschuldigt, seine Währung zu Ungunsten der Vereinigten Staaten zu manipulieren. Zum Zweiten sei das exportorientierte Vietnam von der weltwirtschaftlichen Erholung nach der Pandemie abhängig. Insgesamt ist Thayer optimistisch, mit den USA werde Hanoi sich in vielen Punkten einigen. "Es ist wahrscheinlich, dass Vietnam innerhalb der nächsten fünf Jahre wieder ein zweistelliges Wirtschaftswachstum erreichen wird", vor allem, wenn es die vielen zuletzt geschlossenen Freihandelsabkommen geschickt nutze.

Kommen reformorientierte Köpfe?

Für die stellvertretende Direktorin der Beratungsfirma "Control Risks", Nguyen Phuong Linh, stehen Reformen ganz oben auf der Liste der wichtigsten Maßnahmen. Sie fragt sich, wie der Spagat zwischen wirtschaftlicher Dynamik bei gleichzeitiger Unterdrückung von offenen Debatten und Verhinderung des Aufbaus unabhängiger Institutionen, die Korruption und Verschwendung vorbeugen könnten, funktionieren soll. Ebenfalls reformiert werden müssten die oft unprofitablen staatseigenen Unternehmen und die heimischen Kapitalmärkte, die internationalen Standards nicht genügten.

Datenvisualisierung der DW zu den Gewinnern des Handelsstreits zwischen China und den USA
Vietnam hat vom Handelsstreit zwischen China und den USA besonders profitiert

"Die gute Nachricht ist, dass sich einige der vietnamesischen Führungskräfte der wichtigsten Herausforderungen, vor denen das Land steht, durchaus bewusst sind", sagt Ngyuen Phuong Linh zur DW. "Aber die schlechte Nachricht ist, dass sie entweder nicht die wichtigsten Entscheidungsträger sind oder der Entscheidungsprozess zu lange dauert, so dass das Land seine Wettbewerbsvorteile verlieren könnte, nämlich politische Stabilität, eine günstige Bevölkerungsstruktur und relativ billige und fleißige Arbeitskräfte." Wie die Chancen des Landes zur Bewältigung der Herausforderung stehen, werde also erst klar sein, nachdem auf dem Nationalkongress die Posten verteilt wurden.

Infrastruktur und Klimawandel

Der Journalist Mike Tatarski, der in Ho Chi Minh-Stadt lebt, verweist auf die dringend nötige Modernisierung der Infrastruktur. In den letzten Jahren sei zwar viel erreicht worden, aber wichtige Großprojekte, die über den Ausbau des Straßennetzes hinausgehen, stockten. Da seien die Metrolinien in Hanoi und Ho Chi Minh Stadt zu nennen, aber auch der schleppende Ausbau von Tiefsee- und Flughäfen. "Vietnam ist derzeit der Liebling der globalen Produktion, besonders wenn es um die Zulieferung von Elektronikprodukten geht, aber die Infrastrukturmängel werden immer augenfälliger, je mehr Unternehmen hierher kommen." Diese Probleme könnten nur bewältigt werden, wenn gleichzeitig Korruption und Inkompetenz bei Großprojekten bekämpft würden. Dazu aber bedürfe es institutioneller Reformen.

Das drängendste Problem für Vietnam ist laut Tatarski aber der Klimawandel. "Die größte Herausforderung für die nächsten fünf Jahre und für die unbestimmte Zukunft ist der Klimawandel." Starkregen, Überschwemmungen und Stürme der letzten Jahre seien nur ein Vorgeschmack auf das, was da noch kommt. 

Lebensader Mekong

Ein besonders dramatisches Beispiel ist das Mekong-Delta, das den Reis-, Gemüse- und Obstanbau für Millionen Vietnamesen ermöglicht. Durch den steigenden Meeresspiegel versalzt der Strom und durch Staudämme am Oberlauf in Laos und China verliert er nährreiche Sedimente. "In den letzten zehn Jahren haben geschätzt eine Million Menschen das Delta verlassen und damit den Druck auf Großstädte wie Ho Chi Minh-Stadt erhöht, die selbst mit Probleme des Klimawandels zu kämpfen haben." 

Ein Sicherheitsmann bewacht das Gelände des 13. Nationalkongresses in Vietnam
Die Sicherheitsvorkehrungen sind hoch, dabei sind alle Kritiker längst weggesperrtBild: Kham/REUTERS

Es werde schwer diese Dynamik umzukehren, zumal die Regierung nur bedingt Einfluss darauf hat, was außerhalb des vietnamesischen Territoriums geschieht. Aber es gibt Optionen, so Tatarski. "Eine nachhaltigere Agrarpolitik und ein Stopp oder die Einschränkung des Sandabbaus würden einen großen Unterschied machen." 

Nicht nur für den Mekong, sondern für den Klimawandel insgesamt gilt nach Tatarski: Die Regierung hat das Problem erkannt, aber es sei noch nicht klar, welche Strategie sie verfolgt.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia