Cannabis am Steuer: Bundestag beschließt neuen THC-Grenzwert
21. Februar 2024Im April 2024 wurde in Deutschland Cannabis freigegeben. Analog zur Promillegrenze für Alkohol sollte es auch eine neue THC-Grenze für den Straßenverkehr geben. Selbst wenn regelmäßige Cannabis-Konsumenten wie auch Alkohol-Konsumenten individuell keine Verhaltensauffälligkeiten zeigen, braucht es einen verbindlichen Grenzwert, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten, unabhängig davon, ob eine Person subjektiv glaubt, dass sie noch fahrtüchtig ist.
Aber die Festlegung eines Grenzwertes ist kompliziert. Eine erste Expertenkommission konnte sich nicht auf einen Grenzwert einigen.
Jetzt hat der Bundestag neue Regeln zu Cannabis im Straßenverkehr beschlossen. Wer mit 3,5 Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC) oder mehr unterwegs ist, riskiert in der Regel 500 Euro Bußgeld und einen Monat Fahrverbot. Außerdem gilt nach dem Cannabis-Konsum ein komplettes Alkoholverbot im Straßenverkehr. Bei Verstößen droht ein höheres Bußgeld von in der Regel 1.000 Euro.
Und für unter 21-Jährige und für Fahranfänger gilt in der zweijährigen Führerschein-Probezeit ein Cannabis-Verbot – für sie gilt der jetzt beschlossene Grenzwert von 3,5 Nanogramm (ng) THC pro Milliliter Blut also nicht.
Bei der Neuregelung folgte der Bundestag den Empfehlungen einer neuen Expertenkommission des Verkehrsministeriums. Der neue Grenzwert sei demnach vergleichbar mit 0,2 Promille Alkohol und läge damit klar unter der Schwelle von 7 Nanogramm, ab der eine Risikoerhöhung beginne.
Warum ist ein Cannabis-Grenzwert schwer festzumachen?
Dass der Konsum von Cannabis das Fahrverhalten beeinflussen kann, ist unbestritten: Cannabis enthält psychoaktive Substanzen wie Tetrahydrocannabinol (THC), die auf das zentrale Nervensystem wirken und für die Rauschwirkung verantwortlich sind.
Aber im Gegensatz zu Alkohol, dessen Auswirkungen relativ schnell spürbar sind und mit der Blutalkoholkonzentration korrelieren, kann die Wirkung von Cannabis verzögert auftreten und auch nach dem Konsum noch einige Zeit anhalten.
Anders als beim Alkohol, bei dem eine bestimmte Blutalkoholkonzentration (BAC) relativ zuverlässig mit einem bestimmten Grad der Beeinträchtigung und einem erhöhten Unfallrisiko korreliert, ist die Beziehung zwischen der im Blut gemessenen THC-Konzentration und der Fahrfähigkeit weniger klar. Es gibt keine eindeutige Schwelle, ab der jemand sicher fahren kann oder nicht.
“Eine halbwegs passable Korrelation zwischen der THC-Konzentration und dem Grad der Fahrtüchtigkeit, wie man sie für Alkohol noch auf halbwegs sicherer Datenbasis begründen kann, existiert nicht“, stellt Prof. Dr. Volker Auwärter, Laborleiter Forensische Toxikologie am Universitätsklinikum Freiburg klar. Eine mögliche Beeinträchtigung hänge stark von Konsumverhalten und dem zeitlichen Verlauf der THC-Konzentration ab, die beim THC eben wesentlich komplexer sei als zum Beispiel bei Alkohol.
Trotzdem sei der Grenzwert von 3,5 ng/ml nach Ansicht von Auwärter und anderen Experten “auch im internationalen Vergleich ein guter Kompromiss“. Denn sowohl bei 0,2 Promille Alkoholgehalt als auch 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter seien Beeinträchtigungen “absolute Ausnahmefälle“, so Dr. Bernd Werse, Professor für Soziale Arbeit und Leiter des Instituts für Suchtforschung in Frankfurt.
Warum schwankt der THC-Gehalt?
Beim Kiffen steigt die THC-Konzentration im Blut zunächst stark an, fällt dann aber erst mal ebenso schnell wieder ab. Denn das THC verteilt sich im gut durchbluteten Gewebe wie der Lunge, dem Herz, der Leber oder dem Gehirn und lagert sich zunächst im Fettgewebe ab. Von dort gelangt es dann in den darauffolgenden Tagen und Wochen wieder zurück in die Blutbahn. Deshalb lässt sich Cannabis-Konsum auch noch Wochen später nachweisen.
Die Art, wie Cannabis konsumiert wird, beeinflusst die Geschwindigkeit und die Konzentration von THC im Blut. Das Rauchen von Cannabis führt zu einer schnelleren Aufnahme von THC und zu einer höheren Konzentrationen im Blut.
Nach dem Verzehr von Cannabisprodukten wie Keksen oder Tees muss THC zuerst durch den Verdauungstrakt gehen und dann von der Leber metabolisiert werden, bevor es in den Blutkreislauf gelangt. Die Wirkung kann erst nach 30 Minuten bis zu mehreren Stunden eintreten. Obwohl die Wirkung langsamer eintritt, kann sie auch länger anhalten, da THC durch den Verdauungstrakt langsamer abgebaut wird.
Aber die Auswirkungen von Cannabis auf die kognitive Funktion, auf Koordination, Reaktionszeit und Wahrnehmung können je nach individueller Empfindlichkeit und Konsumgewohnheiten stark von Person zu Person variieren. Und damit auch die Fähigkeit zum sicheren Führen eines Fahrzeugs.
Wie vermindert Cannabis die Fahrtüchtigkeit?
Häufig fallen bekiffte Fahrer auf, weil sie besonders langsam fahren. Denn Cannabis kann die Reaktionszeiten verlangsamen. Fahrer reagieren also möglicherweise langsamer auf verändernde Verkehrssituationen, zum Beispiel beim Bremsen oder dem Ausweichen von Hindernissen. Außerdem kann der Konsum von Cannabis die Aufmerksamkeit, die Konzentration und das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Fahrer können wichtige Verkehrsschilder, Fußgänger oder andere Fahrzeuge übersehen oder riskantere Entscheidungen treffen.
“Die Menschen, die regelmäßig konsumieren, profitieren kaum von der Grenzwertanhebung, weil sie auch die 3,5 ng/ml nicht selten überschreiten werden. Sie werden also nach wie vor von der Ordnungswidrigkeit bedroht sein“, so Prof. Dr. Matthias Graw, Vorstand des Instituts für Rechtsmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München. “Diejenigen, die gelegentlich konsumieren, sind diejenigen, die im Straßenverkehr problematisch sind und beispielsweise Unfälle bauen, weil sie Cannabis weniger gewohnt sind“, so der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM).
Wie wird der THC-Gehalt gemessen?
Kontrolliert wird der Grenzwert von 3,5 ng/ml durch Speicheltests, um den aktuellen Konsum zu messen. Falls Autofahrer “Anzeichen von Ausfallerscheinungen“ zeigen, solle jedoch auch bei negativem Speicheltest eine Blutprobe erfolgen.
Auch hinsichtlich des Speicheltests gehen die Expertenmeinungen weit auseinander. “Durch Speicheltests hat man im Ausland gute Erfahrungen damit gemacht, die akute Beeinträchtigung festzustellen“, meint Suchtforscher Werse. “Allerdings erkennen auch Speicheltests nicht jeden akuten Konsum und schlagen auch in manchen Fällen falsch an, beispielsweise wenn der Konsum schon acht Stunden oder länger zurück liegt und Nüchternheit vorliegt“, gibt Dr. Jakob Manthey vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg zu Bedenken.
Im Sinne der Verkehrssicherheit wäre es nach Ansicht von Toxikologe Auwärter generell besser, statt der Tests “auf typische Auffälligkeiten zu achten, die eine akute Wirkung anzeigen können. Hierzu bedürfte es allerdings einer intensiven Schulung der Polizeibeamten“, so Auwärter.
Der Artikel wurde zuletzt am 11.03.24 aktualisiert