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PolitikEuropa

Russischer Anschlag, bulgarische Helfer?

Christopher Nehring
8. August 2022

Wieder einmal brennt ein Depot des bulgarischen Waffenhändlers Emilian Gebrew. Wieder einmal wird Russland dahinter vermutet. Sicher ist: Die Hintergründe sind komplex und reichen tief in die bulgarische Politik.

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Der bulgarische Rüstungsfabrikant und Waffenhändler Emilian Gebrev in orangefarbenem Poloshirt
Der bulgarische Rüstungsfabrikant und Waffenhändler Emilian GrebewBild: Dimitar Ganev/DW

In den frühen Morgenstunden des 31. Juli 2022 hat eine Explosion ein Munitionslager in Bulgarien in Brand gesetzt. Mal wieder. Das Opfer: die Firma Emko des berühmt-berüchtigten Rüstungsfabrikanten und Waffenhändlers Emilian Gebrew. Mal wieder - wie schon vier Mal zuvor. Gebrew vermutet russische Geheimdienste als Drahtzieher des Anschlags. Mal wieder, wie im Jahr 2015, als er selbst Opfer eines Anschlags mit dem Nervengift Nowitschok wurde.

Doch die Hintergründe liegen im Dunkeln, und weder Gebrew noch bulgarische Experten haben große Hoffnung, dass die Behörden den Fall aufklären werden. Mal wieder. Der über Jahre pressescheue und schmallippige Gebrew spricht deswegen ungewohnt öffentlich über den Fall. Auch der DW stand er Rede und Antwort. Das ist neu.

"Alles spricht für gezielte Sabotage"

"Gegen vier Uhr am Morgen drang jemand in den Außenbereich des Geländes um die Lagerhalle ein, löste den Alarm aus, und die Wachkräfte machten sich auf, das Gelände zu überprüfen. Kurz darauf explodierte die Lagerhalle", erklärte Gebrew am Abend der Explosion dem bulgarischen Sender bTV. Der betroffene Geländekomplex, eine ehemalige Militäreinrichtung, die Gebrews Firma vor Jahren erworben hatte, liegt außerhalb der südostbulgarischen Kleinstadt Karnobat. Er umfasst ein Gelände von rund 220 Hektar, auf dem vier Lagerhallen stehen. Sie sind durch eine innere und eine äußere Sicherheitszone, Bewegungsmelder, Videokameras und Wachpersonal gesichert. Gebrew schließt daher technisches Versagen als Ursache der Explosion aus.

Tihomir Bezlov
Tihomir Bezlov, Sicherheitsexperte des Center for the Study of Democracy, SofiaBild: Tihomir Bezlov

"Die Art, wie die verschiedenen Alarmsysteme ausgelöst wurden, von außen her kommend hin zu der Lagerhalle, die Tatsache, dass es keine menschlichen Opfer gab und wie gezielt die Aktion ablief, das alles spricht für gezielte Sabotage", sagt auch Tihomir Bezlov, Sicherheitsexperte des in der bulgarischen Hauptstadt Sofia ansässigen Think Tanks Center for the Study of Democracy, der DW. 

Die englische Tageszeitung The Guardian zitierte Gebrew mit der Aussage, dieser sei 100 Prozent sicher, dass Russland hinter dem Anschlag stünde. Im Gespräch mit der DW ist Gebrew vorsichtiger: "Ich habe nie behauptet, dass Russland mit 100-prozentiger Sicherheit hinter der Sabotage steht. Ich habe nur die begründete Annahme ausgesprochen, zu der man kommt, wenn man die bisherigen Aktionen der russischen Dienste in Bulgarien, Tschechien und Großbritannien zugrunde legt."

Auch bulgarische Experten haben wenig Zweifel an einem russischen Anschlag. "Es gibt in der Öffentlichkeit - noch - keine direkten Beweise für eine Täterschaft Russlands, es sind eher logische Beweise. Das ist die fünfte Explosion in Lagern und Fabriken von Emko, hinzu kommt der Anschlag auf Gebrew selbst - das sind keine Zufälle", so Tihomir Bezlov.

Ruslan Trad
Ruslan Trad, Sicherheitsexperte des Atlantic Council Bild: Ruslan Trad

Und auch Ruslan Trad, Sicherheitsexperte des Atlantic Council, meint: "Angesichts der vergangenen Anschläge gibt es wenig Zweifel. Gebrew und Emko haben eigentlich keine ernsthafte Konkurrenz im Land. Und ähnliche Sabotageakte in Europa deuten darauf hin, dass Russland gerade dabei ist, europäische Nachschublinien für Lieferungen in die Ukraine und andere Konfliktregionen ins Visier zu nehmen."

Bulgarische Helfer

Ebenso einheitlich glauben Gebrew und bulgarische Experten daran, dass die russischen Geheimdienste Helfer vor Ort haben. "Obwohl ich keine Namen nennen kann, bin ich mir sicher", sagte Gebrew der DW. Tihomir Bezlov ergänzt: "Anschläge wie diese sind nicht mit drei aus dem Ausland angereisten Agenten zu machen. Für alle Anschläge gegen die Lager und Fabriken Emkos waren sehr genaue Informationen und Analysen über die Orte, die einzelnen Gebäude und die Sicherheitssysteme notwendig."

Hilfe für die Attentäter, zumindest jedoch deren stillschweigende Unterstützung, sieht Gebrew auch andernorts am Werk. "Wenn man unter politischen Helfern diejenigen versteht, die solche terroristischen Akte zulassen, die alles Mögliche tun, um die Wahrheit zu unterdrücken und die Ermittlungen in eine falsche Richtung zu lenken, dann ja, dann hat Russland solche Helfer in Bulgarien", so Gebrew gegenüber der DW. "Das ist in erster Linie die Führung der bulgarischen Staatsanwaltschaft, der auch die Sicherheitsdienste unterstellt sind." Aus seiner Feindschaft zu Generalstaatsanwalt Iwan Geschew macht der Waffenhändler keinen Hehl. Er wirft ihm vor, weder die Anschläge gegen die Lager und Fabriken Emkos, noch den mutmaßlichen Nowitschokanschlag gegen ihn selbst ernsthaft verfolgt zu haben. 

Präsident Rumen Radev und EMCO Chef Emilian Gebrev bei der Besichtigung von Waffen
Präsident Radew (vorne rechts) und Emko-Chef Gebrew (Mitte links) bei einer Militärtechnikmesse in PlowdiwBild: Nikolay Doychinov/AFP/Getty Images

Diese Einschätzung teilt auch Tihomir Bezlov: "Über ernsthafte Ermittlungen, Ergebnisse oder gar Konsequenzen ist bislang nichts bekannt", so der Experte. Bei dem ersten Anschlag gegen Emko 2011 sei zum Beispiel ein nicht-detonierter Sprengsatz gefunden worden. Die Staatsanwaltschaft habe ihn jedoch nicht als Beweismittel anerkannt, da er ja nicht detoniert war, und habe die Ermittlung eingestellt. "Es ist unklar, ob es Faulheit war oder Absicht, ob es einfach keine Anhaltspunkte gab oder ob die Behörden keinen Konflikt mit Russland eingehen wollten. Gebrew legt ihnen das als Unterstützung aus."

Rätselraten über das Motiv

Warum wurde die Emko-Lagerhalle zum Ziel für einen mutmaßlich russischen Sabotageakt? Ein Zusammenhang mit bulgarischen Waffenlieferungen in die Ukraine liegt zwar nahe, läuft jedoch ins Leere. "Ich kann mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass die Waren in Karnobat in keiner Weise für die Ukraine bestimmt waren", so Gebrew zur DW. "Die dortigen Waren hätte die Ukraine niemals gebraucht. In dem zerstörten Lager wurde alte Munition aufbewahrt, die zur Verwendung als Komponenten und Elemente im Herstellungsprozess in den Fabriken von Emko vorgesehen waren. Es gab auch Waren, die dort gelagert wurden, weil sie nach einem nicht zustande gekommenen Geschäft außerhalb Europas übriggeblieben waren." Er sehe keinen konkreten, erklärbaren Grund, warum die Waren in diesem Lager durch Sabotage zerstört werden sollten. 

Drei Sechsecke mit Firmensymbolen in einem Park
Bulgarien ist einer der größten Waffenschmieden Osteuropas - hier das Rüstungsunternehmen VMZ SopotBild: BGNES

Zum gleichen Ergebnis kommen auch mit der Materie vertraute Experten, die ergänzen, dass es sich offenbar um kleinkalibrige Panzermunition handelte, die eigentlich nach Afrika hätte verkauft werden sollen.

Während Gebrew selbst kein erklärbares Motiv für den Anschlag sieht, gehen die Meinungen der Experten hier auseinander. "Gebrew und Emko sind eine Zielscheibe, weil sie einer der größten Händler von Waffen und Munition nicht nur in Bulgarien, sondern in ganz Osteuropa sind. Sie können Waren nicht nur herstellen, sondern auch weltweit damit handeln", erklärt Tihomir Bezlov.

Der Konflikt zwischen Gebrew und Russland komme auch nicht nur davon, dass Emko in Konfliktgebiete liefere, wo Moskau involviert sei. "Emko ist auch ein großer Konkurrent für Russland im globalen Handel mit Waffen und Munition, zum Beispiel beim Export von Panzermunition nach Indien, das vielleicht der größte Markt für solche Waren ist. Vor Jahren gab es russische Versuche, Emkos Produktionsstätten dafür aufzukaufen, aber Gebrew winkte ab." Auch Ruslan Trad ist sich deshalb sicher: "Jede Lieferung, die gestört werden kann, nutzt Russland. Das ist ein sehr ernsthaftes Signal."

Vorwand für außenpolitische Kehrtwende?

Eine besondere Signalwirkung hat der mutmaßliche Sabotageakt auch im innenpolitischen Kontext in Bulgarien. Denn der Tag der Explosion war der letzte Amtstag der Regierung Kiril Petkows, die im Ukraine-Krieg eine klar pro-westliche/ukrainische Position bezog und zuletzt 70 mutmaßlich als Diplomaten getarnte russische Geheimdienstmitarbeiter des Landes verwies. Der seither amtierenden Übergangsregierung setzte Staatspräsident Rumen Radew hingegen die prioritäre Aufgabe, zu verhindern, dass Bulgarien in den Krieg in der Ukraine hineingezogen wird. Anschläge wie der auf Gebrews Lager könnten daher jenen als Argument und Vorwand dienen, die Bulgariens Hilfe für die Ukraine minimieren wollten und eine außenpolitische Neutralität anstrebten.

Ruslan Trad sieht deutliche Anzeichen für diese Interpretation: "Eine Analyse von Social Media-Debatten zeigt, dass der Anschlag in Gruppen, die eine bulgarische Neutralität fordern, bereits als Argument benutzt wird. Hier wird Panik verbreitet, indem behauptet wird, Bulgarien würde direkt in den Krieg hineingezogen werden. In Anbetracht der Genauigkeit, mit der der Anschlag durchgeführt wurde, ist wohl auch der Zeitpunkt nicht zufällig gewählt worden." Rüstungsproduzent Gebrew hingegen ist skeptisch: "Ich glaube nicht daran, dass jemand durch solche Sabotageakte auf Bulgariens Geopolitik einwirken will."