Boris Pistorius: Verteidigungsminister im Umfragehoch
22. Februar 2023Nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt als Verteidigungsminister (am 19. Januar) ist Sozialdemokrat Boris Pistorius der beliebteste Politiker Deutschlands. Er schaffte es in einer Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL Deutschland auf Anhieb auf Platz 1 im Politikerranking. Es ging um die Frage, ob die Teilnehmer das Land bei diesem Politiker "in guten Händen" sehen.
Den Spitzenplatz auf Anhieb errang Pistorius auch in einer vom ZDF veröffentlichten Telefonumfrage unter 1.361 Wahlberechtigten zu den beliebtesten Politikern. Er hat damit neben Bundeskanzler Olaf Scholz, ebenfalls SPD, auch zwei populäre Grünen-Politiker überholt: Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Der 62-Jährige übernahm das Amt, nachdem seine Vorgängerin, Christine Lambrecht, nach einer Reihe politischer Peinlichkeiten zurückgetreten war. Nach mehr als einem Jahrzehnt als Innenminister des norddeutschen Bundeslandes Niedersachsen stand Pistorius plötzlich im Rampenlicht. Denn der Krieg in der Ukraine und damit auch die deutsche Verteidigungspolitik beherrschen die politische Debatte.
Überraschende Wahl als Verteidigungsminister
Christine Lambrecht wurde wie ihre Vorgängerinnen und Vorgänger von der konservativen CDU zu einer Zeit Ministerin, als die Landesverteidigung nicht mehr als besonders wichtig angesehen wurde, sagt Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, der DW. Es sei darum gegangen, die Bundeswehr auf niedrigem Niveau zu verwalten.
Pistorius habe sein Amt unter ganz anderen Umständen angetreten, er konnte bei konservativ gesinnten Deutschen schnell punkten, analysiert Gebauer.
Weil Pistorius vielen in Deutschlands und im Ausland kaum bekannt war, galt er als überraschende Wahl für das Amt des Verteidigungsministers. Mit der Ernennung eines Mannes brach Bundeskanzler Olaf Scholz sein Versprechen, die Geschlechterparität im Kabinett zu wahren.
Pistorius, studierter Jurist und ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück, kommt aus dem "Law and Order"-Flügel seiner Partei. Er leistete 1980/81 seinen damals verpflichtenden Wehrdienst ab, hat jedoch keine umfassende militärische Erfahrung.
Vor seiner Ernennung war er nicht mit der Bundespolitik und erst recht nicht mit der internationalen Politik vertraut. Er sei eine Besetzung aus der "B-Mannschaft" stichelte Johann Wadephul, Vize-Fraktionschef der konservativen CDU/CSU im Bundestag.
Dabei hatte Pistorius durchaus einen Ruf als Politiker, der Dinge durchsetzt. Er war verantwortlich für die Einführung umfassender Reformen bei der niedersächsischen Polizei, wo neue Mitarbeiter eingestellt und die Bürgernähe verbessert wurde. Als Innenminister setzte er Prioritäten bei der Bekämpfung des politischen Extremismus.
Enge Verbundenheit mit Bundeskanzler Scholz
Bei der Ernennung von Pistorius nannte Scholz, der ebenfalls aus Osnabrück stammt, seinen neuen Minister einen "herausragenden Politiker". "Mit seiner Erfahrung, Kompetenz und Durchsetzungskraft sowie seinem großen Herzen ist er genau der Richtige für die Bundeswehr in dieser Zeitenwende", sagte Scholz.
Wie Scholz hatte Pistorius 2019 für den SPD-Vorsitz kandidiert - und verloren. Die neuesten Umfragen zeigen jedoch, dass Pistorius jetzt weit vorne liegt.
Nach seinem ersten Auftritt als Verteidigungsminister auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende berichtete die Neue Zürcher Zeitung, Pistorius werde als die potenzielle "Führungspersönlichkeit" gepriesen, die die deutsche Armee brauche.
"Pistorius kommuniziert klar und direkt, aber nicht so, dass sich andere beleidigt fühlen könnten", sagt Politikwissenschaftler Neugebauer der DW. "Er ist anspruchsvoll, aber kein Angeber und trifft sich oft persönlich mit den Soldaten, was ihm den Ruf eingebracht hat, dass er sich kümmert."
Diese klare und direkte Kommunikation zeigte sich in München, als Pistorius verkündete, dass "die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss" - während Bundeskanzler Scholz sagt: "Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren. Russland darf den Krieg nicht gewinnen."
Pistorius bekräftigte die Zusage Deutschlands, das NATO-Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Militärausgaben zu erreichen - die deutschen Militärausgaben erreichten 2022 knapp 1,5 Prozent des BIP, so Pistorius an diesem Mittwoch im ZDF. "Bis 2025 werden wir der NATO eine ganze Armeedivision zur Verfügung stellen", fügte er hinzu.
Anfang Februar, rund zwei Wochen nach Amtsantritt, stattete der Verteidigungsminister der Ukraine einen unangekündigten Besuch ab - seine erste Auslandsreise in dieser Funktion. Pistorius traf mit Präsident Wolodymyr Selenskyj und seinem Amtskollegen Olexij Reznikow zusammen und kündigte einen Plan zur Lieferung von mehr als 100 Leopard-1A5-Panzern an, zusätzlich zu der bereits genehmigten Lieferung moderner Leopard-2-Kampfpanzer an die Ukraine.
Diese Woche stattete Pistorius den ukrainischen Truppen einen Besuch ab, die im norddeutschen Munster an deutschen Waffensystemen ausgebildet werden. "Über einen Krieg zu reden ist etwas anderes, als in die Gesichter von Menschen zu schauen, die ... direkt von der Front hierher gekommen sind und die mit den Panzern dorthin zurückkehren werden, sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben", sagte er vor Reportern.
Eine der größten Herausforderungen für den Verteidigungsminister wird die Verwaltung des Sonderfonds in Höhe von 100 Milliarden Euro sein, den Scholz den deutschen Streitkräften im Februar 2022 versprochen hat.
Pistorius sagt, diese Summe reiche nicht aus - er fordert zusätzlich zehn Milliarden Euro für den Verteidigungshaushalt (derzeit gut 50 Milliarden Euro), um das Militär nach über drei Jahrzehnten chronischer Vernachlässigung und Unterfinanzierung wieder aufzubauen.
Vor den im März anstehenden Haushaltsverhandlungen für 2024 und 2025 zeichnet sich bereits ein Streit innerhalb der Regierungspartei über die Verteilung der Gelder ab. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken deutete in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gewisse Grenzen für Pistorius' Forderungen an. Sie betonte Koalitionsprojekte wie die Bekämpfung der Kinderarmut.
Es bleibt abzuwarten, ob der Verteidigungsminister sich durchsetzen kann.
Politikwissenschaftler Neugebauer charakterisiert ihn so: "Pistorius hatte keine Schonfrist, er wusste, dass er keine bekommen würde und hat auch nicht darum gebeten: Er ist ein Macher. Wenn das Klavier in einen anderen Raum in der Wohnung gebracht werden muss, ist er nicht derjenige, der die Noten trägt."
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch und wurde ins Deutsche adaptiert.