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Musik

"Black Music Matters"

Gaby Reucher
5. Juni 2021

Afroamerikanische Komponisten klassischer Musik sind in westlichen Konzertsälen selten vertreten. Ein ambitioniertes transatlantisches Projekt will das ändern.

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Roderick Cox, im Vordergrund verschwommen die Musiker.
Roderick Cox dirigiert mit Konzentration und HingabeBild: Altria Masterworks

Die Lieder handeln vom Stolz, schwarz zu sein, von Träumen und Hoffnung, von harter Arbeit, Liebe und dem Glauben an das Gute. Der Bariton Thomas Hampson liebt dieses amerikanische Liedgut. "Song of America" heißt sein Langzeitprojekt, mit dem er immer wieder durch Europa tourt, um die Geschichte der amerikanischen Kultur durch die Stimmen der Poeten und Komponisten zu erzählen. In seinem jüngsten Projekt widmet sich Hampson besonders der klassischen Musik afroamerikanischer Komponisten und Dichter.

Portraitfoto Thomas Hampson
Bariton Thomas Hampson Bild: Dario Acosta

"Die Europäer suchen immer nach Stimmen in Amerika, die ihnen sagen, wie die Leute wirklich leben und zurechtkommen, wie die Demokratie wirklich aussieht und funktioniert", so Hampson im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Dieses Programm zeigt den Klang der Diversität und ich bin sicher, dass auf beiden Seiten des Atlantiks ein Großteil des Repertoires komplett unbekannt ist. Und es gibt viel zu entdecken."

Die Musik afroamerikanischer Komponisten

Thomas Hampson hat das Projekt zusammen mit der Sopranistin Louise Toppin entwickelt. Gemeinsam holten sie den amerikanischen Dirigenten Roderick Cox, weitere Sänger und Sängerinnen sowie die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen mit ins Boot. "A celebration of Black Music" wurde in der Hamburger Elbphilharmonie zum Abschluss des Internationalen Musikfestes bereits live vor Publikum aufgeführt. Ab dem 6. Juni (20 Uhr MEZ) steht das Konzert unter diesem Link für alle kostenlos zur Verfügung.

Gruppenbild der Deutschen Kammerphilharmonie auf einer Treppe.
Immer für innovative Projekte zu haben: die renommierte Deutsche Kammerphilharmonie BremenBild: Julia Baier

Zu hören ist zum Beispiel Musik der zeitgenössischen Komponistin Valerie Coleman. Ihre Hymne "Umoja", was auf Suaheli "Einheit" bedeutet, schrieb sie 2019. "Das Stück hat diesen wundervollen Suaheli-Folk-Klang, den man aus Frauen- oder Gemeinschaftschören kennt", beschreibt Roderick Cox das Werk. Wenn die Rede von Hass und Ungerechtigkeit ist, werden die Klänge dissonant. Doch zum Ende hin lösen sich diese wieder auf. "Die Töne werden sehr zart gesungen. Alles bildet am Ende eine Einheit in den Folk-Klängen," so der Dirigent im Gespräch mit der DW.

Portraitfoto von William Grant Still
William Grant Stills dirigierte 1936 mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra als erster Afroamerikaner ein bedeutendes amerikanisches OrchesterBild: Gemeinfrei

Der Komponist William Grant Still lebte von 1895 bis 1978. Er hatte afroamerikanische und indianische Vorfahren. Seine "Afro-American Symphony" war bis in die 1950er-Jahre die meistgespielte Sinfonie eines amerikanischen Komponisten überhaupt. Bariton Thomas Hampson hat für sein Projekt Ausschnitte aus Stills Opern "Costaso" ("Große Tage") und "Highway One, USA" von 1962 ausgewählt.

Vergessene Pulitzer-Preisträger und Symphoniker

George Walker gehört zu den bekanntesten afroamerikanischen Komponisten und Musikpädagogen. 1996 erhielt er als erster Afroamerikaner den Pulitzer-Preis für Musik, für sein Stück "Lilacs" für Stimme und Orchester. "Er scheint jetzt in vielen Orchestern wieder gespielt zu werden, war aber lange Zeit nicht so präsent", bemerkt Cox. "'Lyric for strings' von 1946, das wir aufführen, ist sein bekanntestes Werk für Streichorchester. Ein Lamento für seine Großmutter, die Sklavin war."

Der Komponist Hale Smith kommt aus dem Jazz und hat 1980 "Four Negro Spirituals" komponiert mit großem Gesangsfinale. Dem Spiritual hat sich auch die Afroamerikanerin Margaret Bonds gewidmet und schrieb 1963 ein Arrangement des bekannten Liedes "He's got the whole world in his hands" für hohe Stimme und Klavier.

Innenraum der Elbphilharmonie mit wenig Publikum anlässlich des ersten Konzerts nach Corona-Pause.
Konzert nach sieben Monaten Corona-Pause: Deutsche Kammerphilharmonie Bremen in der Hamburger ElbphilharmonieBild: Markus Scholz/dpa/picture alliance

Margaret Bonds war Schülerin von William Levi Dawson, dessen monumentale "Negro Folk Symphony" in der Carnegie Hall Premiere feierte und damals ein großer Hit war. Später geriet sie in Vergessenheit. Im wirtschaftlich geschwächten Amerika hatte das Stück damals keinen Verleger gefunden und ist auch heute nur als unzulänglicher Druck zu haben. "Wir haben einige Zeit gebraucht, um das Ganze durchzuarbeiten und selbst in der Probe gab es noch falsche Stellen oder es fehlten Teile," sagt Cox. Er würde gerne Geld sammeln für einen neuen Druck und einen Verlag finden, der das Werk in seinem Programm aufnimmt.

Dass Dawsons Sinfonie nicht verlegt wurde, könne aber auch daran liegen, dass die Kultur der Schwarzen in Amerika nicht genug wahrgenommen wurde, vermutet Bariton Thomas Hampson: "Gerade in Bezug auf die klassische Musik scheint die schwarze Kultur im 20. Jahrhundert wie in einem parallelen Universum zur weißen klassischen Kultur existiert zu haben."

Schwarze Musiker unterstützten

Roderick Cox dirigiert vor weißem Hintergrund
Roderick Cox kam durch mutmachende Worte eines Dozenten zu seinem BerufBild: Dennis Weber

Hampson will der klassischen Musik afroamerikanischer Komponisten wieder Gehör verschaffen. "Wir sollten die großen Poeten und Komponisten fern aller politischen Diskurse einfach hören, die die Geschichte der amerikanischen Kultur mit ihren Worten und ihrer Musik erzählen", so Hampson. "Die Musik soll nicht durch einen 'weißen' Filter oder einen industriellen Filter gehen. Das ist meine große Leidenschaft für dieses Projekt."

Hampsons Ziel ist es, den interkulturellen Dialog und das Verständnis durch Musik zu fördern. Dazu gründete er 2003 seine "Hampsong Foundation" und 2009 die Schwesterinitiative "Song of America", zu der auch "A Celebration of Black Music" gehört.

Auch Dirigent Roderick Cox hat eine Initiative gegründet, um gerade afroamerikanische Kinder musikalisch zu unterstützten. Als er damals selbst Waldhorn lernen wollte, hatte seine Familie nicht das Geld, um ihm ein Instrument zu kaufen. Eine Stiftung in seiner Heimat half aus. "Ich hatte keine Eltern, die mich zu Tristan und Isolde mitgenommen hätten oder zur Oper, wo ich nach der tollen Vorstellung beschlossen hätte 'oh ja, ich will später Dirigent werden'."

Als Roderick Cox zur North West University ging, wollte er eigentlich Lehrer werden. Im Dirigierkurs fiel er seinem Dozenten positiv auf: "Du solltest ein Orchester dirigieren", sagte er Cox und legte damit den Grundstein für dessen Karriere.

"Das ist es, was man braucht: Unterstützung, Mittel und Samen, die man in die Köpfe der Kinder pflanzt, damit sie Vertrauen in ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten bekommen."

Thomas Hampsons Stiftung arbeitet interkulturell mit Poesie und Musik. Sein nächstes Projekt hat er schon vor Augen. Es soll um die Kreativität von Frauen gehen. "Wir haben immer noch keine Gleichberechtigungsgesetz in Amerika. Wie lächerlich ist das im Jahr 2021?", fragt Hampson. "Wenn wir wirklich sagen, dass wir eine Demokratie sind, dann muss Diversität gefeiert werden, sonst ist es meiner Meinung nach keine Demokratie."