1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Biogas: Unklare Zukunft

Oliver Ristau18. Juli 2016

Biogas kann beim Ausbau der erneuerbaren Energien in Europa eine wichtige Rolle spielen - und auch der Klimabilanz der Landwirtschaft nutzen. Ohne ausreichende Förderung rechnet sich nachhaltiges Biogas jedoch kaum.

https://p.dw.com/p/1JQcG
Gärreste vor einer Biogasanlage in Belgien (Foto: DW/O. Ristau).
Bild: DW/O. Ristau

Etienne Genin ist zufrieden. "Wir sind unter allen Konzernstandorten derjenige, der seinen Energiebedarf am stärksten mit regenerativen Energien deckt", sagt der Direktor der L'Oreal-Fabrik im belgischen Libramont. Hier lässt der Kosmetikkonzern Haartönungen für ganz Europa herstellen. Täglich laufen eine halbe Million Packungen vom Band. Der Stromverbrauch von 10 Millionen Kilowattstunden im Jahr entspricht in etwa dem einer Stadt mit 10.000 Einwohnern.

Das Unternehmen produziert ihn auf dem Gelände mithilfe von drei Gasmotoren. Deren Rohstoff gedeiht wenige hundert Meter entfernt in einem halben Dutzend von Fermentern, in denen organisches Material verrottet. Seit einigen Jahren schon lässt sich die L'Oreal-Fabrik mit dem Biogas beliefern. Wichtig für die Firma: "Wir wollen, dass nur solche Produkte dabei eingesetzt werden, die nicht auch als Lebensmittel Verwendung finden", sagt Genin. Denn das könnte, so seine Befürchtung, für das Image des Pariser Kosmetikproduzenten zum Bumerang werden.

Schokoladenreste zu Strom und Wärme

Tatsächlich zersetzen die Bakterien in den großen Behältern mit den Kuppeldächern vor allem Abfallstoffe aus der Agrar- und Lebensmittelindustrie, zum Beispiel Rückstände aus einer belgischen Schokoladenfabrik, Reste aus der Stärkeproduktion oder Getreidehülsen, die bei der Fütterung von Tieren übrig geblieben sind. Mit dem Biogas deckt das Werk 60 Prozent seines Heiz- und Dampfbedarfs.

Biogasaproduktion in Belgien bei L’Oreal (Foto: DW/O. Ristau).
Die Biogasproduktion in Belgien lohnt sich für das Unternehmen L'OrealBild: DW/O. Ristau

Der erzeugte Strom übertrifft die Nachfrage der Kosmetikfabrik um das Zweieinhalbfache. Und weil das Biogas zum Großteil aus Reststoffen hergestellt und die Energie effizient verwendet wird, lohnt sich die Einspeisung des überschüssigen Stroms in das öffentliche Netz. So zahlt Belgien neben dem normalen Preis noch einen an diese Kriterien gekoppelten grünen Bonus, sodass der überschüssige Biogasstrom für insgesamt 17 bis 18 Cent pro Kilowattstunde verkauft werden kann.

Beispiele wie diese finden nur in wenigen EU-Ländern Nachahmer. Zwar ist die Anzahl der Biogasanlagen in Europa nach Auskunft des Fachverbandes EBA (European Biogas Association) im letzten Jahr um 18 Prozent auf über 17.000 angestiegen. Doch der Zuwachs beschränkte sich vor allem auf Staaten wie Großbritannien, Frankreich oder Belgien.

Stillstand in Luxemburg

Im Nachbarland Luxemburg etwa gingen seit 2008 keine neuen Biogasanlagen mehr an den Start. Der Grund: Mit einer Förderung von 14 Cent je Kilowattstunde Strom sind die Anlagen kaum wettbewerbsfähig, selbst wenn sie wie die Biogas-Kooperative Atert aus Redange ihre Wärme zusätzlich ans örtliche Schwimmbad, die Schule und ein Einkaufszentrum vermarkten.

Von den 29 Landwirten, die 2003 die Gemeinschaft im Westen des Landes gründeten, wäre mancher heute wohl nicht mehr dabei, lässt Farmer und Atert-Gründungsmitglied Emile Kieffer durchblicken. Ökologisch macht die Anlage Sinn. "Wir setzen zu etwa 80 Prozent Mist und Gülle ein", sagt er. Das hat den Vorteil, dass schädliche Verbindungen wie Ammoniak und Nitrate, die bei direktem Gülleeinsatz auf dem Feld zu Pflanzenschädigungen und Bodenüberdüngung führen, in den Fermentern durch die Bakterien abgebaut werden.

Landwirt Götten zeigt vergärte Reststoffe aus dem Fermenter (Foto: DW/O. Ristau).
Geruchsprobe: Landwirt Götten zeigt vergärte Reststoffe aus dem FermenterBild: DW/O. Ristau

So wie unweit der Ostgrenze des kleinen Landes im rheinlandpfälzischen Zemmer, wo ein überwiegend auf Gülle setzende Biogasanlage die Wärme für eine große Sozialeinrichtung zur Verfügung stellt, die damit 300.000 Liter Heizöl im Jahr spart. "Nach der Vergärung sind die Reststoffe wesentlich verträglicher für Pflanzen und Umwelt", sagt deren Geschäftsführer und Landwirt Hans-Josef Götten. Und sie stinken nicht und eignen sich als Dünger. "Die Nachbarn reißen ihn mir aus der Hand, um ihre Tomaten zu düngen", erzählt er.

"Luxemburg wird Klimaziel nicht erreichen"

Auch Luxemburgs Agrarminister Fernand Etgen würde gerne den Einsatz der Gülle zur Biogasproduktion von derzeit zehn auf 50 Prozent des jährlich anfallenden Volumens anheben. Doch ein konkreter Plan fehlt. Etgen räumt ein: "Wir werden die Klimaziele wahrscheinlich nicht erreichen". Luxemburg hatte sich verpflichtet, den Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 am Endenergieverbrauch auf elf Prozent zu steigern. 2015 waren es kaum vier Prozent.

Auch in Deutschland steht der Einsatz des Biogases vor einer ungewissen Zukunft. Anfang Juli hat der Bundestag die Reform der Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) beschlossen, die zwar auch ab 2017 Strom aus Biogas fördert. Mit einer Vergütung von 14 bis 16 Cent je Kilowattstunde fielen die Zuschüsse aber so niedrig aus, dass sich nach Ansicht von Kritikern gerade der Einsatz ökologisch sinnvoller Reststoffe nur schwer rechnet.

Ökologische Alternativen, ungenutzte Potenziale

"Das neue EEG ist kontraproduktiv, weil es die Betriebe unter einen solchen Wettbewerbsdruck setzt, dass außer Mais für keinen anderen Einsatzstoff Konkurrenzfähigkeit besteht", sagt die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken. Die Krux am Mais: kein anderer Biorohstoff erzeugt eine solch hohe Menge an Biogas. Zugleich ist das Lebens- und Futtermittel auch wegen des Bedarfs an Ackerfläche zum Anbau als Rohstoff umstritten.

Maiskolben auf Feld (Foto: Patrick Pleul).
Mais eignet sich wie kein anderer Biorohstoff für die Herstellung von Biogas - doch der Einsatz ist umstrittenBild: picture-alliance/ZB

Im neuen EEG sind nur noch maximal 50 Prozent Mais in Biogasanlagen erlaubt. Doch weil die übrigen Einsatzstoffe bisher noch in kleinen Volumina und damit zu höheren Preisen produziert werden müssen, droht ihnen laut Höfken ein Nischendasein. Dabei geht es um Energiepflanzen wie Miscanthus, Ackergras und insbesondere das Kleegras, das für Höfken wegen seiner positiven Bodeneigenschaften zu den "ökologischsten Formen der Biogaserzeugung" zählt und "nicht mehr unterstützt wird".

Daneben bieten auch Wirtschaftsdünger wie Gülle und Mist noch reichlich Potenzial. Bisher, so die Grünenpolitikerin, würden in Deutschland davon erst 20 Prozent genutzt. Bei den Bioabfällen liege die Quote bei 33 Prozent. Das Land versuche in einem Projekt, einen Teil davon nutzbar zu machen und damit zugleich die Umwelt zu entlasten.

Option für stabile Energiewende

Zwar hat die EU bisher keine Ziele zum Ausbau des Biostroms ab 2020 abgegeben. Doch für die weitere Stärkung der regenerativen Energien in Europa kann die aus den Pflanzen gewonnene Elektrizität eine wichtige Aufgabe übernehmen. Denn anders als Windkraft und Photovoltaik - die abhängig von der Wetterlage sind - kann Biogas als gespeicherte Energie immer dann zu Strom umgewandelt werden, wenn er gebraucht wird.

Zum Gelingen einer umfassenden Energiewende wird die EU kaum auf Öko-Quellen mit dieser Puffer-Eigenschaft verzichten können. Daneben bietet Biogas der EU-Klimapolitik noch eine weitere Option. Es kann zu Biomethan aufbereitet und damit zu einer Alternative für Erdgas und den Mobilitätssektor werden.