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Berlin: Zelte und Hallen für Flüchtlinge aus der Ukraine

28. November 2022

In Deutschland haben eine Million Menschen aus der Ukraine Schutz gesucht. In Berlin müssen viele nun in Massenunterkünften leben. Die Hilfsbereitschaft aber bleibt.

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Ukraine-Ankunftszentrum im Flughafen Berlin-Tegel
Ankunftszentrum für Flüchtlinge aus der Ukraine am ehemaligen Flughafen TegelBild: Sabine Kinkartz/DW

Es sind die Kinder, die zuerst in den Blick fallen. Laut kreischend und lachend rennen sie im Terminal C des ehemaligen Flughafens Berlin-Tegel umher. Bei einem Mädchen leuchten bei jedem Schritt bunte Lämpchen in der Schuhsohle auf. Ein Junge dreht Runden auf einem schmalen Roller, ein anderer versucht, auf einen Hubwagen aufzuspringen, mit dem zwei Männer in Arbeitskleidung Kartons transportieren. 

So lebhaft die Kinder sind, so still wirken daneben die Erwachsenen, die sich in dem ehemaligen Flughafengebäude aufhalten. Einige sitzen in der Nähe von Steckdosen und blicken auf die Displays ihrer angeschlossenen Mobiltelefone.

 Zu sehen ist ein weißer Tisch, auf dem ein Dutzend Mobiltelefone in Mehrfachsteckdosen an den Strom angeschlossen sind. Die Kabel ziehen sich kreuz und quer über den Tisch, von links ragt eine Hand ins Bild, die auf einer Power Bank liegt.
Das Mobiltelefon - die einzige Verbindung in die HeimatBild: Sabine Kinkartz/DW

Andere haben einen Platz an einem der langen Holztische gefunden und essen. Am stillsten wirken die, die offenbar gerade erst angekommen sind und mit ihren Koffern in der Hand auf ihre Registrierung warten.

Doppelstockbetten zwischen Stellwänden

In dem ehemaligen Flughafen ist ein Erstaufnahmezentrum für Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine entstanden. "Wir haben 600 Plätze für Asylbewerber und hier im Terminal C zusätzlich 1600 Plätze für Ukrainer - aber die sind jetzt weitgehend belegt", sagt Detlef Cwojdzinski vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), welches das Erstaufnahmezentrum zusammen mit anderen Hilfsorganisationen betreibt. "Die Situation ist schwierig, denn wir müssen die Menschen inzwischen auch in großen Zelten unterbringen."

Auf dem Foto ist der Eingang zu einem weißen Zelt zu sehen, das auf der Rollbahn steht. Zwei Frauen gehen auf den Eingang zu. Zwei Generatoren sind über dicke, schwarz-gelbe Schläuche mit dem Zelt verbunden und pumpen warme Luft ins Innere. Vor dem Eingang stehen eine Rampe und ein Spender für Desinfektionslösung.
Es ist kalt geworden in Berlin. Die riesigen Zelte mit je 400 Betten müssen gut geheizt werdenBild: Sabine Kinkartz/DW

Zwei der provisorischen Unterkünfte für jeweils 400 Menschen stehen draußen auf der Rollbahn. Generatoren dröhnen und pusten warme Luft durch dicke Schläuche ins Innere der weißen Zelte. Drinnen ist es noch enger als im Wohnbereich im Terminal, aber der Aufbau ist gleich: weiße und graue Stellwände grenzen Nischen ab, in denen Doppelstockbetten nebeneinander stehen. "Bitte nicht fotografieren", sagt eine DRK-Mitarbeiterin. Die Menschen hätten ohnehin kaum Privatsphäre.

"Haustiere versorgen wir auch noch mit"

Die Hilfsorganisationen tun viel dafür, um den Flüchtlingen den Aufenthalt in der Massenunterkunft zu erleichtern. Es gibt viele Ansprechpartner, Dolmetscher, ärztliche und psychologische Versorgung, drei Mahlzeiten am Tag, eine Kleiderkammer und eine Kinderbetreuung. "Jeden Tag kommen hier rund 40 Hunde, Katzen und andere Haustiere mit an", sagt DRK-Mitarbeiter Detlef Cwojdzinski. "Die versorgen wir auch noch mit."

Blick in einen Aufenthaltsraum, der sich im ehemaligen Wartebereich vor den Gates befindet. Über dem Durchgang hängt noch das gelbe Schild mit dem Hinweis auf die Gates 60-89 mit dem Hinweis auf die Bordkarten und Sicherheitskontrolle im Terminal C2. Im Vordergrund ist ein Sicherheitsmitarbeiter in gelber Weste zu sehen.
Bordkarten will hier niemand mehr sehen, aber für die Sicherheit steht viel Personal bereitBild: Sabine Kinkartz/DW

Eigentlich soll der Aufenthalt in der Erstaufnahme auf ein bis drei Tage begrenzt sein. Doch inzwischen sind es acht Tage und mehr. Aktuell warten in den beiden Berliner Ankunftszentren mehr als 3000 Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber darauf, in reguläre Unterkünfte verlegt zu werden. Tendenz steigend.

Wohnungen in Berlin - Fehlanzeige

Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) sei derzeit "nicht in der Lage, den außerordentlich starken Anstieg" an Asylbewerbern und den steigenden Bedarf für Ukraine-Flüchtlinge "in der notwendigen Geschwindigkeit abzudecken", heißt es in einem Schreiben, mit dem die Berliner Integrationssenatorin Katja Kipping kürzlich Alarm schlug.

Es stünden "nicht genügend Plätze für die Unterbringung zur Verfügung" - trotz zusätzlicher "Akquise, Verlängerung von Laufzeiten, Verdichtung, Hotel-Anmietung". Als Notlösung sollen daher bis Ende des Jahres 10.000 zusätzliche Plätze in Leichtbauhallen und weiteren Zelten geschaffen werden - wie auch auf der Rollbahn in Tegel.

Das Foto zeigt einen Blick auf die Rollbahn, wo im Hintergrund ein Zelt für 400 Flüchtlinge zu sehen ist. Daneben stehen Container, in denen die Sanitärräume sind. Im Vordergrund stehen zwei Sicherheitsleute und zwei Wäscheständer, auf denen Flüchtlinge Wäsche zum Trocknen aufgehängt haben.
Auch in Tegel sollen bis Ende des Jahres weitere Zelte und Duschcontainer aufgebaut werdenBild: Sabine Kinkartz/DW

Hilfsorganisationen, und Flüchtlingsinitiativen, darunter auch der Berliner Flüchtlingsrat, sehen darin den falschen Weg und warnen vor einem Absenken der Unterbringungsstandards in Berlin. Das Leben in Sammelunterkünften stelle "schon unter normalen Bedingungen eine große Belastung dar". Mit weiter sinkenden Standards werde die Situation "schier unerträglich", heißt es in einer Mitteilung vom 25. November. Die Organisationen fordern vom Berliner Senat, notfalls auch mehr Hotels anzumieten. 

Berlin gehört zu den Städten in Deutschland, in denen besonders viele Kriegsflüchtlinge Schutz suchen. 85.000 sind aktuell registriert. Allerdings sind die meisten Ukrainer privat untergekommen, nur 3000 haben Bedarf beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten angemeldet. Das LAF ist darüber mehr als froh, auch wenn sich zunehmend Flüchtlinge in den Aufnahmezentren melden, die ihren privaten Gastgebern nicht länger zur Last fallen wollen.

Aus zwei Wochen wurden acht Monate

Auch Anna Bobrakova und ihre beiden Söhne waren lange privat untergekommen. Die drei stammen aus dem Donbas und flohen 2014, als dort der Krieg ausbrach, nach Kiew. Acht Jahre später holte sie der Krieg erneut ein und sie machten sich zum zweiten Mal auf den Weg. Am Berliner Hauptbahnhof bekamen sie das Angebot von deutschen Helfern, erst einmal bei ihnen zu Hause zu wohnen.

Helfer verteilen Lebensmittel an Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, am Hauptbahnhof in Berlin. Die Helfer tragen gelbe und orangefarbene Westen. Auf Tischen stehen Lebensmittel bereit. Die Flüchtlinge stehen dicht gedrängt vor den Tischen.
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine kamen am Berliner Hauptbahnhof jeden Tag viele hundert Flüchtlinge anBild: Jörg Carstensen/picture alliance

Acht Monate wohnten sie im Wohnzimmer der Familie. "Wir sind sehr dankbar, aber es war höchste Zeit zu gehen", sagt Anna. "Auch wenn wir alle sehr traurig waren und beim Auszug geweint haben." Jetzt wohnt die Ukrainerin mit ihren Söhnen in einem vom Land Berlin angemieteten Hotelzimmer. Doch dort ist sie auf sich gestellt und das ist nicht so einfach. Sie braucht weiterhin Hilfe mit der Sprache, im täglichen Leben und bei Behördengängen.

Engagierte Kirchen

Diese Hilfe findet Anna in der evangelischen Markus-Gemeinde in Berlin. Die Kirchengemeinde engagiert sich seit Ausbruch des Krieges in der Flüchtlingshilfe und bot zeitweise bis zu einhundert Menschen Obdach. Im Gemeindesaal sind Feldbetten aufgestellt, es gibt eine Kleiderkammer, in mehreren Lagerräumen stapeln sich Sach- und Lebensmittelspenden und in drei Küchen kann gekocht werden.

Im holzgetäfelten, großen Gemeindesaal stehen Feldbetten, Kinderbetten und die Habseligkeiten der Bewohner herum. Im Vordergrund ist ein langer Tisch mit Stühlen zu sehen. Eine bewegliche Wand teilt den Saal in zwei Bereiche. Alle Flächen sind belegt
Der große Saal der Markus-Gemeinde ist seit Kriegsbeginn zum Schlafsaal umfunktioniertBild: Sabine Kinkartz/DW

Sechs Monate hat die Ukrainerin Viktoria Chumak in der Markus-Gemeinde gelebt. Eine Zeit, in der auch sie immer wieder hoffte, bald in ihren Heimatort im Süden von Odessa zurückkehren zu können. Die Flucht traten sie zu viert an, doch an der Grenze sagte ihre 20-jährige Tochter, sie wolle ihr Heimatland nicht verlassen. "Ich musste mich zwischen meinem 14-jährigen Sohn und meiner schwer gehbehinderten Mutter und meiner Tochter entscheiden", erzählt Victoria und ihr Gesicht drückt die Qual aus, die sie seitdem begleitet.

Angst ist ständiger Begleiter

Jeden Tag hat sie Angst um ihre Tochter. "Es gibt bessere und schlechtere Tage. Heute ist ein schlechter Tag, weil es in der Ukraine wieder viele Raketenangriffe gab", erzählt die 41-Jährige, Tränen treten in ihre Augen. Immer noch hofft Viktoria darauf, dass ihre Tochter auch nach Berlin kommt. Gleichzeitig hat sich ihr Sohn in Deutschland so gut eingelebt, dass er sich vorstellen kann, für immer hier zu bleiben und auch ihre 72-jährige Mutter will nicht mehr zurück in ihr kriegszerstörtes Land.

Alexander Weber, Anna Babrakova und Viktoria Chumak
Alexander Weber mit den Ukrainerinnen Anna Bobrakova und Viktoria Chumak (v.r.)Bild: Sabine Kinkartz/DW

Das liegt auch daran, dass die drei inzwischen eine eigene Wohnung gefunden haben. Eine absolute Ausnahme sei das, sagt Alexander Weber, der sich bei der Markus-Gemeinde um die Geflüchteten kümmert. "Das ist die einzige Sozialwohnung, die wir seit Ausbruch des Kriegs vermitteln konnten."

Beweise gegen die Erzählungen des Kreml 

Weber ist von Anfang an als Helfer dabei. Der 37-jährige Wissenschaftsredakteur ist in der Sowjetunion geboren und lebt seit 1990 in Deutschland. "Als gebürtiger Russe fühle ich mich besonders betroffen und will beweisen, dass das, was der Kreml erzählt, nicht stimmt", begründet er sein Engagement. Auch Webers Frau Victoria Abakumovski denkt so. "Zu Hause habe ich das Gefühl, die Wände hochgehen zu wollen", sagt sie. "Da bin ich doch lieber hier, gebe Deutschunterricht, höre unseren Gästen zu, halte ihre Hände und weine mit ihnen."

Alexander Weber und Victoria Abakumovski stehen vor Regalen mit Sach- und Lebensmittelspenden. Er hat den Arm um seine Frau gelegt. Beide lächeln in die Kamera
Für Alexander Weber und Victoria Abakumovski ist es ein Bedürfnis, für die Kriegsflüchtlinge da zu seinBild: Sabine Kinkartz/DW

Wer aus der Ukraine flieht, bringt seine Erlebnisse und Traumata mit. In der Markus-Gemeinde versuchen sie, mit Gesprächen dabei zu helfen, die vielen schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten. Für die Helfer ist das auch nicht einfach. "Wir reden hier viel untereinander", sagt Alexander Weber.

Kleidung auch für die Toten

Manchmal aber ist das Grauen einfach zu groß. "Einmal kam eine Frau hier rein, der ging es sichtlich schlecht. Die war ganz blass und wollte zuerst nicht reden", erzählt Weber. "Wir erfuhren, dass sie auf dem Weg in die Ukraine sei und aus unserer Kleiderkammer Sachen für vier Personen mitnehmen wollte."

Blick in die Kleiderkammer, wo zwei Frauen gespendete Wäsche zusammenlegen und Schuhe sortieren.
Die Kleiderkammer in der Markus-Gemeinde steht allen Bedürftigen offenBild: Sabine Kinkartz/DW

Auf die Frage, ob für Männer oder Frauen und in welcher Größe, habe die Ukrainerin mehrfach nur monoton geantwortet, das sei egal. Schließlich, so Weber, habe sich herausgestellt, dass die vierköpfige Familie der Frau von Russen erschossen und nackt in einem Massengrab gefunden worden war. "Die Frau war auf dem Weg in die Ukraine, um die Leichen zu bekleiden und zu beerdigen."

Der Artikel wurde am 18. November 2022 erstmals veröffentlicht und am 28. November aktualisiert.