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PolitikArmenien

Berg-Karabach besiegt, Armenien in Aufruhr

Arshaluys Mgdesyan
21. September 2023

Die armenische Opposition wirft Premier Nikol Paschinjan vor, Berg-Karabach gegenüber Aserbaidschan preisgegeben zu haben und fordert seinen Rücktritt. Wie fest sitzt Armeniens Premierminister noch im Sattel?

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Protest in Eriwan: Gegner von Premier Nikol Paschinjan fordern seinen Rücktritt
Proteste in Eriwan: Gegner von Premier Nikol Paschinjan fordern seinen RücktrittBild: SNA/IMAGO

Das Ende der Kämpfe in Berg-Karabach hat in Armenien eine politische Krise ausgelöst. Am Mittwoch gaben die Behörden der nicht anerkannten Republik Berg-Karabach bekannt, dass sie eine Einigung über einen vollständigen Waffenstillstand in der Region ab 13 Uhr Ortszeit erzielt hätten. Die "Anti-Terror-Operation" des aserbaidschanischen Militärs dauerte somit nur einen Tag.

Die Hauptstadt Bergkarabachs Stepanakert nach dem Beschuss durch das aserbaidschanische Militär
Die Hauptstadt Bergkarabachs Stepanakert nach dem Beschuss durch das aserbaidschanische MilitärBild: TAR-TASS/IMAGO

Durch Vermittlung der dort stationierten russischen Truppen wurde vereinbart, dass das armenische Militär aus dem Einsatzgebiet des russischen Friedenskontingents abgezogen und die Formationen der "Verteidigungsarmee von Berg-Karabach" aufgelöst und vollständig entwaffnet werden. Auch schwere militärische Ausrüstung und Waffen sollen aus dem Gebiet abgezogen werden, um das seit 30 Jahren ein Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan herrscht.

"Wir werden auch noch Gebiete Armeniens verlieren"

Die Nachricht, dass die Behörden Berg-Karabachs den Widerstand aufgegeben und den Bedingungen zugestimmt haben, wobei die Auflösung der Armee Berg-Karabachs die Hauptforderung Aserbaidschans war, löste in Armenien unterschiedliche Reaktionen aus. Die Opposition rief zu Protesten vor dem Regierungsgebäude auf und forderte den sofortigen Rücktritt von Premierminister Nikol Paschinjan, dem sie "Verrat" vorwirft.

Berg-Karabach: Sorge um armenische Bevölkerung wächst

Am Mittwochabend versammelten sich Einwohner von Eriwan und den umliegenden Orten vor dem Regierungsgebäude. Sie sind wütend darüber, dass Premier Paschinjan sich entschieden hat, sich nicht in die Kämpfe in Berg-Karabach einzumischen und machen ausschließlich ihn dafür verantwortlich, dass Berg-Karabach gezwungen war, die Waffen niederzulegen.

"Während der fünf Jahre unter Nikol Paschinjan haben wir Arzach (armenischer Name für Berg-Karabach - Anm. d. Red.) verloren und die Sicherheit Armeniens selbst in Frage gestellt", echauffiert sich einer der Protestteilnehmer namens Suren gegenüber der DW. "Es ist inakzeptabel, dass er das Land weiterhin führt. Wenn das so weitergeht, werden wir bald auch noch Gebiete Armeniens verlieren."

Opposition sieht in Paschinjan Bedrohung für Armenien

Auch der Vorsitzende des Oppositionsblocks "Mutter Armenien", der ehemalige Parlamentsabgeordnete Andranik Tewanjan, fordert Paschinjans Rücktritt, nachdem dieser "Arzach aufgegeben" habe. "Wir fordern von Paschinjan, die Anerkennung der territorialen Integrität Aserbaidschans, einschließlich des Territoriums Berg-Karabach, zu widerrufen, die er nach einem Treffen in Prag im Oktober 2022 ausgesprochen hatte, was zu diesen traurigen Konsequenzen geführt hat", sagt Tewanjan im Gespräch mit der DW.

Nikol Paschinjan ist seit 2018 armenischer Regierungschef
Nikol Paschinjan ist seit 2018 armenischer RegierungschefBild: Karen Minasyan/AFP/Getty Images

Tewanjan, der seit dem 19. September auf Kundgebungen der Opposition im Zentrum von Eriwan spricht, betrachtet Paschinjan als "größte Bedrohung für Armenien". "Wir müssen die Politik von Nikol Paschinjan völlig revidieren", sagt der Führer des Oppositionsblocks "Mutter Armenien".

Regierungsanhänger warnen vor Putschversuchen

Tewanjans Vorwürfe weisen Regierungsanhänger zurück. Sie bezeichnen die Aktionen gegen Paschinjan als "von ausländischen Zentren inspiriert", und drohen, gegen sie vorzugehen. Diese Meinung teilte insbesondere der stellvertretende Bürgermeister von Eriwan, Tigran Awinjan, ein enger Vertrauter des Regierungschefs, auf seiner Facebook-Seite.

"Die Unabhängigkeit und Souveränität der Republik Armenien sind für uns nicht verhandelbar, und Versuche eines gewaltsamen Putsches, die parallel zu den Spannungen an der militärischen Front unternommen werden, werden entschieden unterdrückt", erklärte Awinjan am Abend des 19. September.

Baku gemeinsam mit Moskau gegen Paschinjan?

Der Vorsitzende der Partei "Für die Republik", Arman Babadschanjan, hält es für  wahrscheinlich, dass sich die innenpolitische Lage in Armenien destabilisiert. Babadschanjan, dessen Partei bei den letzten Wahlen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und deshalb nicht im armenischen Parlament vertreten ist, teilt die Forderung der Opposition nach Paschinjans Rücktritt nicht. Er rechnet eher mit folgender Entwicklung: "Wenn es den Menschen, die den Rücktritt von Nikol Paschinjan fordern, nicht gelingt, ihr Ziel durch Proteste zu erreichen, ist es durchaus möglich, dass Aserbaidschan mit Billigung Russlands militärische Operationen gegen Armenien beginnt. In diesem Fall halte ich einen Machtwechsel in Armenien für wahrscheinlicher."

Polizisten und Demonstranten bei den Protesten in der armenischen Hauptstadt Eriwan, 19. September 2023
Proteste in der armenischen Hauptstadt Eriwan am 19. SeptemberBild: Karen MINASYAN/AFP

Der armenische Politikexperte Armen Bagdasarjan aus Eriwan glaubt hingegen, dass Nikol Paschinjan gute Chancen hat, an der Macht zu bleiben, solange die armenische Bevölkerung Berg-Karabach nicht verlassen muss.

"Nur im Falle der Evakuierung von 120.000 Menschen aus Arzach nach Armenien könnte eine Protestwelle im Land entstehen, die so stark ist, dass sie zu einem Regierungswechsel führen könnte. Solange die Entwicklung nicht eine solche Tragik annimmt, halte ich ein solches Szenario für kaum wahrscheinlich", so Bagdasarjan im Gespräch mit der DW. Seiner Meinung nach verschärft die Opposition mit ihrer Forderung nach Paschinjans Rücktritt nur die Rhetorik, ohne jedoch einen alternativen Aktionsplan anzubieten. "Mit dieser Agenda ist es fast unmöglich, einen Machtwechsel zu erreichen", sagt er.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk