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Politik

Die vergessenen Flüchtlinge aus Westsahara

Hugo Flotat-Talon
21. März 2019

Der Streit um die Westsahara schwelt seit über 40 Jahren. Von diesem Donnerstag an wollen die Konfliktparteien wieder verhandeln. Zehntausende Flüchtlinge aus der Region leben in Algerien. Die DW hat sie besucht.

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Zwei Mädchen in einem Flüchtlingslager für Flüchtlinge aus der Westsahara
Bild: DW/Hugo Flotat-Talon

Omar sitzt auf einem Teppich im Zelt seines Vaters. Er sei hier geboren, erzählt der 21-jährige - hier im Flüchtlingslager Awserd im algerischen Teil der Sahara. Ringsum nur Wüste, kaum Wasser, Landwirtschaft ist nicht möglich. "Es ist nicht einfach, hier zu leben", sagt Omar. "Hier gibt es keine Zukunft."

Awserd ist eines von fünf Lagern in Algerien, in denen Flüchtlinge aus der Westsahara und ihre Nachkommen leben. Die algerische Provinzhauptstadt Tinduf ist 40 Kilometer entfernt. Auch das Hauptquartier der Befreiungsfront Frente Polisario liegt in der Nähe, die seit Jahrzehnten für die Unabhängigkeit der Westsahara kämpft. 1975 hatte Marokko die ehemalige spanische Kolonie annektiert. Danach lieferten sich beide Seiten einen blutigen Bürgerkrieg. Seit 1991 herrscht Waffenstillstand. Aber gelöst ist der Konflikt noch immer nicht.

"Es gibt keine Hoffnung"

In Awserd allein leben 50.000 Menschen in Zelten, Lehmbaraken und Backsteinhäusern. Irgendwo zwischen den Lagerbezirken zwei und drei wohnt Omar mit seinen Eltern und den fünf Geschwistern. Bis er 18 war, ging Omar zur Schule, danach begann er ein Studium an einer algerischen Universität. Doch das hielt er nicht lange durch: "Ich hatte Schwierigkeiten, weil ich der Älteste in der Familie bin, und die Familie brauchte mich, um Geld zu verdienen und vieles mehr. Also musste ich mein Studium abbrechen. Es gibt keine Hoffnung, es gibt keine Hoffnung."

Eine Frau, im Hintergrund einfache Häuser, Tiere und ein Autowrack
Das Leben in dem Camps ist für viele Menschen hartBild: DW/Hugo Flotat-Talon

Die Menschen in den Lagern versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Sie haben sich selbst in Stadtviertel, Gemeinden und Regionen organisiert. Schulbildung, die Gesundheitsversorgung und die Verteilung der Hilfsgüter müssen organisiert werden. Die Lager stehen schon seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges. Doch nach mehr als vier Jahrzehnten Konflikt macht sich Hoffnungslosigkeit breit - so berichtet es auch Mariem Salek Hamda, die Gouverneurin des Lagers von Awserd. Die Nahrungsmittelhilfe ist zurückgegangen, die Säuglingssterblichkeit doppelt so hoch wie in Europa, pro Tag haben die Menschen nur 10 Liter Wasser zur Verfügung.

Zurück zum bewaffneten Widerstand?

"Die Jugend ist verzweifelt, weil sie in dieser Situation, in der wir seit mehr als 43 Jahren sind, nicht das Ende des Tunnels sieht", sagt Hamda im DW-Gespräch. Sie verweist auf den Waffenstillstand von 1991. Seitdem bewacht eine UN-Mission die Grenze zu der von Marokko besetzten Zone. Sie soll eigentlich ein Referendum über die Selbstbestimmung der Westsahara ermöglichen.

"Aber seit 1991 sehen die hier geborenen Jugendlichen keine Lösung am Horizont. Zu dieser Standby-Situation seit 27 Jahren, ohne Frieden oder Krieg, mit Verzweiflung und Misstrauen gegenüber den Vereinten Nationen, kommt die Situation in den besetzten Gebieten. Täglich hören sie, wie dort ihre Mütter, Schwestern und Brüder entführt und missbraucht werden. All dies erzeugt eine Unzufriedenheit, die alles Mögliche nach sich ziehen kann", sagt Hamda.

Eine Karte der Westsahara und der Flüchtlingslager

Manche Menschen in den Flüchtlingslagern machen keinen Hehl daraus, wohin diese Unzufriedenheit führen könnte. Zu ihnen gehört Addou al-Hadj, der im nahe gelegenen Lager Smara durch das "Museum des Widerstands" führt: "Wir sind es leid, zu warten", sagt er. "Wir haben den Status Quo satt. Seit 43 Jahren bewegt sich niemand mehr. Seit mehr als 27 Jahren warten wir auf eine Lösung durch die Vereinten Nationen. Wir sind friedliebende Menschen, aber wenn es keine Lösung gibt, sind wir bereit, wieder zu den Waffen zu greifen."

Diese Anspannung werden die Vertreter der Frente Polisario mit in die Verhandlungen nehmen, die am Donnerstag in Genf wieder aufgenommen werden. Verhandlungsführer ist der deutsche Ex-Bundespräsident Horst Köhler, seit 2017 UN-Sondergesandter für die Region. Ein Angebot von marokkanischer Seite gibt es schon: Das Königreich will der Westsahara Autonomie gewähren. Ein Interview dazu kam trotz mehrmaliger DW-Anfragen an die marokkanische Botschaft in Berlin allerdings nicht zustande. Viele Menschen in der Westsahara wollen dagegen die Unabhängigkeit ihrer Heimat - oder zumindest das lange versprochene Referendum.

Horst Köhler bei einem Besuch in einem der Flüchtlingslager
Seit 2017 ist Horst Köhler UN-Sonderbeauftragter für die WestsaharaBild: Getty Images/AFP/R. Kramdi

In der Zwickmühle

Das weiß auch Mohamed Salem Salek, Außenminister der Exilregierung. Sein Büro liegt eine halbe Autostunde entfernt in Rabuni, dem Regierungssitz der Demokratischen Arabischen Republik Sahara. Die Westsahara ist Mitglied der Afrikanischen Union, weltweit erkennen aber nur wenige Staaten ihre Unabhängigkeit an. "Wie kann man die sahrauische Bevölkerung davon überzeugen, sich noch länger zurückzuhalten und zu akzeptieren, dass die Vereinten Nationen auf ein Referendum hinarbeiten, damit sie ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben können?" fragt er im DW-Interview. "Die Leute sagen: 'Aber nein, sie führen uns an der Nase herum.'"

In Awserd ist es Nacht geworden. Um 22 Uhr kehrt Omar aus dem kleinen Lebensmittelgeschäft seines Viertels zurück, wo er Wasser, etwas Fleisch und Tee an diejenigen verkauft, die es sich leisten können. Er lässt den Blick schweifen, betrachtet den sternenklaren Himmel, den "schönsten Himmel der Welt", wie er sagt.

Und dennoch träumt er manchmal davon, weit weg zu gehen, nach Europa. Viele Jahre habe er unter schwierigen Umständen gelebt, sagt er. Seine Kinder sollten einmal ein normales Leben führen können.