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Baseball-Diplomatie auf Okinawa

Ronny Blaschke, Felix Lill6. Mai 2013

Rund 35.000 US-Soldaten sind in Japan stationiert – drei Viertel von ihnen allein auf der Insel Okinawa. Bei Einheimischen haben sie einen schweren Stand. Begegnungen auf Augenhöhe sind selten. Eine Ausnahme: Baseball.

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Baseballspiel zwischen den "Kadena Air Base Eagles" und den "Onions" am Militärflughafen Futenma auf Okinawa (Foto: DW/Ronny Blaschke)
Bild: DW/R. Blaschke

Gabriel Salas nimmt einen Schläger in die Hand, um sich am Ende der Welt heimisch zu fühlen. Ein gewöhnlicher Sonntagmorgen im Camp Foster, die Sonne steht hoch am Himmel, Staub weht über das Gelände. Es ist ruhig auf dem Stützpunkt der US-Luftwaffe, nur auf dem Baseballfeld ertönt lautes Gelächter. Gabriel Salas streift sich ein dunkelblaues Trikot über. Hinter ihm öffnet sich ein weites Feld: Baracken, Geländefahrzeuge, Strommasten. Im Internet hat er von den "Kadena Air Base Eagles" erfahren, einem Baseballteam, das sich aus Mitgliedern der Air Force zusammensetzt. An diesem Morgen trifft die Mannschaft auf die "Onions", auf Spieler, die auf Okinawa geboren und aufgewachsen sind. "Wir Amerikaner sollten uns auf die Kultur der Japaner einlassen", sagt Salas. Seit vierzehn Monaten ist der 23-Jährige auf Okinawa stationiert, seine Heimat Kalifornien ist 10.000 Kilometer entfernt. "Wir mögen viele Unterschiede haben, aber wir haben auch Gemeinsamkeiten: Baseball." Die Gegner klatschen einander ab, lachen zusammen – diese harmonische Einheit ist selten.

Okinawa, 500 Kilometer südwestlich der japanischen Hauptinseln gelegen, wurde als die Insel des Todes bezeichnet. Im Frühjahr 1945 leitete eine der größten Seeschlachten der Geschichte die Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg ein, 120.000 Menschen starben. Die Inselgruppe wurde von den USA besetzt und zu einem Vorposten im West-Pazifik ausgebaut. Es entstanden Landebahnen, Kasernen, Waffenlager, insgesamt 37 militärische Einrichtungen, die ein Fünftel der Insel bedecken. Während des Koreakrieges und des Vietnamkriegs war Okinawa der wichtigste US-Stützpunkt in Ostasien. 1972 gaben die Amerikaner die Verwaltung an Japan zurück, doch ihre Truppen sind bis heute geblieben. "Ich denke, dass Japan noch immer besetzt ist", sagt Maehira Nobuyoshi, Kurator des Friedensmuseums an der Südküste Okinawas, das an die Kriegsopfer erinnert. "Okinawa ist der gefährlichste Ort der Welt. Die Amerikaner sind hier, also sind wir ein potenzielles Ziel, für Nordkorea oder China."

An der Schwelle zur amerikanischen Profiliga

Der US-Amerikaner Gabriel Salas (Foto: DW/Ronny Blaschke)
US-Soldat Gabriel Salas freut sich über den Kontakt zu Einheimischen auf Okinawa - wenigstens beim BaseballBild: DW/R. Blaschke

Im Camp Foster zieht Gabriel Salas seine Baseball-Mütze tief ins Gesicht, um nicht geblendet zu werden. Seit seiner Jugend in San Diego schlägt er gegen Bälle. Bevor er sich für die Air Force entschied, spielte er für eine Jugendauswahl. Nun ist Baseball für ihn Ablenkung und Stressabbau. Die Partie gegen die "Onions" läuft ausgeglichen und fair. Salas kennt die Vorurteile, die die Bewohner Okinawas den Amerikanern entgegen bringen. Außerhalb der Basis, im Supermarkt oder im Kino, stellt sich der Sohn von Einwanderern manchmal als Mexikaner vor, um unangenehmen Blicken aus dem Weg zu gehen. "Wir werden vor unserem Dienstbeginn über die japanische Kultur informiert. Für eine gute Integration sollten wir nicht nebeneinander leben, doch das ist bei unterschiedlichen Sprachen schwer. Baseball funktioniert auch ohne Sprechen."

Baseball ist Nationalsport, in den USA und in Japan. Im Frühling wird Okinawa traditionell zum japanischen Baseballzentrum, dann bereiten sich viele Profiteams des Festlandes auf die Saison vor. Ihre Trainingseinheiten und Testspiele werden auch von hunderten Amerikanern verfolgt. Sie wollen sehen, wie sich einige ihrer Landsleute in japanischen Mannschaften behaupten. Und sie wollen sehen, wer sich in Fernost für die Major League Baseball empfiehlt, für die nordamerikanische Profiliga. Es hat schon US-Profis gegeben, die auf Okinawa geboren wurden. Gabriel Salas lächelt und schaut auf die Stahltribüne hinauf, seine Frau applaudiert. Mehr als 22.000 Mitglieder hat das amerikanische Militär auf Okinawa, mit ihnen leben 19.000 Familienangehörige.

Tägliche Demonstrationen gegen die USA

Zehn Kilometer südlich, am Militärflughafen Futenma, demonstrieren vor allem ältere Bewohner gegen die Amerikaner. Mit ihren roten Westen stehen sie am Eingangstor, neben Stacheldraht, und recken den Autofahrern Transparente entgegen. Sie klagen gegen Fluglärm und Umweltverschmutzung, gegen steigendes Krebsrisiko und die wachsende Sexindustrie im Umfeld der Basen. Sie verweisen auf die umgerechnet 20 Milliarden Euro, die der Unterhalt der Stützpunkte den japanischen Steuerzahler jährlich kostet. Und sie erinnern an Unfälle und Straftaten: 2004 stürzte ein Hubschrauber in die Universität von Ginowan, verletzt wurde nur der Pilot. Wiederholt vergewaltigten Amerikaner japanische Frauen, zuletzt im vergangenen Oktober. Monate lang durften Militärangehörige danach keinen Alkohol außerhalb der Stützpunkte trinken, vor Mitternacht mussten sie in ihren Wohnungen sein.

Demonstration am Militärflughafen Futenma auf Okinawa, Japan (Foto: DW/Ronny Blaschke)
Vor allem ältere Japaner demonstrieren am Militärflughafen Futenma auf Okinawa täglich gegen die AmerikanerBild: DW/R. Blaschke

"Das Verbrechen von wenigen hat große Auswirkungen auf alle, das ist schrecklich und erschwert unsere Mission ungemein", sagt Christopher Anderson in einem herunter gekühlten Konferenzraum der Airbase und schüttelt genervt den Kopf. Anderson leitet die Öffentlichkeitsarbeit in Kadena, dem größten Stützpunkt auf Okinawa. Es ist seine elfte Station in der Air Force, er war schon in Alaska, Spanien, Kuwait oder im Irak. Wie immer geht er auf die einheimischen Journalisten zu, lädt sie zu Gesprächen ein, will ihnen differenzierte Informationen geben. Anderson wägt jedes Wort ab. Er sagt, er habe schlechte Erfahrungen gemacht, wurde falsch zitiert. Die meisten Medien Okinawas würden die USA auf ihre Militärpräsenz reduzieren. Dabei sind vor allem Handel und Gastronomie auf Okinawa von den Amerikanern abhängig.

Militär hilft beim Marathon

"Ich werde nicht die Sensationslust ändern", sagt er. "Aber ich kann Themen ansprechen, die viele Journalisten nicht auf dem Plan habe." Zum Beispiel die Special Olympics, die seit 1999 auf der Airbase austragen werden: Mehr als 1000 junge Athleten mit Behinderung bestreiten Wettbewerbe, organisiert wird das Sportfest von Streitkräften und Einheimischen. In der kleinsten und ärmsten Präfektur Japans fühlen sich die Bewohner Okinawas oft von der 1600 Kilometer entfernten Hauptstadt Tokio im Stich gelassen. Air Force und Politiker nutzen den Sport zur Verständigung. Deutlich wird das beim Okinawa-Marathon, einem der größten Läufe Ostasiens, mit 17.000 Teilnehmern. Christopher Anderson und seine Kollegen bauen dann Versorgungsstände entlang der US-Stützpunkte auf, helfen bei der Organisation oder gehen selbst auf die Strecke.

Die Baseball-Teams "Kadena Air Base Eagles" und die "Onions" auf Okinawa (Foto: DW/Ronny Blaschke)
Gemeinsam: "Kadena Air Base Eagles" und "Onions"Bild: DW/R. Blaschke

In Camp Foster ist das Baseball-Spiel zu Ende gegangen. Die Auswahl der Air Force hat 8:3 gegen die einheimischen "Onions" gewonnen. Kapitän der Japaner ist Atsushi Yamamoto, seinen wahren Namen möchte er nicht nennen. Yamamoto arbeitet auf dem Stützpunkt für einen Sicherheitsdienst, er sagt, das Thema sei heikel und er wolle keine Probleme bekommen. Der 44-Jährige führt auch ein Drachenboot-Team an, zu den Rennen lädt er auch Amerikaner ein. Doch nun hat er es eilig, er klopft sein Schuhe ab und steckt seine rote Mütze in die Tasche. Gibt es keinen Austausch nach dem Spiel? "Wir haben doch alle unsere Familien", sagt er und wirkt verwundert über die Frage. "In der Zukunft sollten wir das ändern. Nach den Spielen könnten wir grillen oder an den Strand gehen. Durch Baseball können Freundschaften entstehen."

Für die deutschen Reporter posieren die Mannschaften für ein gemeinsames Foto. Sie lachen, aber ausführliche Gespräche ergeben sich nicht. Von den Air-Force-Mitgliedern kann niemand Japanisch. Und Atsushi Yamamoto ist der einzige Gastgeber, der Englisch spricht. Er sagt, Worte seien nicht immer ausschlaggebend. So spielen Japaner und Amerikaner auf Okinawa gemeinsam Baseball – aber leben dann doch nebeneinander.