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1000 Jahre Wissensaustausch: Juden, Christen und Muslime

Klaus Krämer
8. Dezember 2017

Von 500 bis 1500 herrschte zwischen Gelehrten über alle Religionsgrenzen hinweg ein reger Austausch, so das Thema einer Schau. Damals gab es Wissenszentren wie das "Haus der Weisheit" in Bagdad, so Kurator Fingernagel.

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Ausstellung Juden, Christen und Muslime Im Dialog der Wissenschaften 500-1500 im Martin Gropius Bau
Bild: Österreichische Nationalbibliothek

Am kommenden Samstag (09.12.2017) startet im Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung "Juden, Christen und Muslime – Im Dialog mit der Wissenschaft 500-1500". Dabei geht es um die Zusammenarbeit jüdischer, christlicher und muslimischer Gelehrter im genannten Zeitraum, also um Wissenstransfer. Wir sprachen mit dem Kurator, Dr. Andreas Fingernagel, von der Österreichischen Nationalbibliothek.

DW: Herr Dr. Fingernagel, wie muss man sich den Wissenstransfer zwischen den Jahren 500 und 1500 vorstellen?

Andreas Fingernagel: Nach dem Untergang des oströmischen Reiches bestand die Gefahr, dass das Wissen der alten Griechen verloren geht. In dieser Phase treten die arabischen Gelehrten auf den Plan, zuerst in der Zeit vom 7. zum 8. Jahrhundert, die sich dieser griechischen Texte annehmen und die dann oft ins Syrische übersetzen, letztendlich aber in das Arabische. Durch die Expansion der Araber auch nach Westeuropa, in erster Linie nach Spanien, kommt dieses Wissen dann entlang des Mittelmeeres immer mehr in Berührung mit dem europäischen Kulturraum. Dort wird es wieder von verschiedensten Ethnien und verschiedensten Gelehrten – in erster Linie jüdischen Gelehrten – rezipiert und dann in das Latein übertragen. Über diese Umwege ist uns sehr viel Wissen über das antike Griechenland erhalten geblieben.

Es war ja nicht nur ein Transfer zwischen Orient und Okzident, sondern auch ein Transfer über Religionsgrenzen hinweg. Weshalb hat das so gut zwischen den beteiligten jüdischen, muslimischen und christlichen Gelehrten funktioniert?

Dr. Andreas Fingernagel
Kurator Dr. Andreas FingernagelBild: Ingrid Oentrich

Das hat wahrscheinlich deshalb so gut funktioniert, weil man Wissenszentren etabliert hat. Zuerst in Alexandria, dann in Gundischapur. Später dann vor allem dieses berühmte "Haus der Weisheit" in Bagdad, wo man offenbar unabhängig von ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten Personen, die sich eine hohe Sprachkompetenz oder wissenschaftliche Kompetenz erworben hatten, gesammelt hat, die sich dann wirklich in einem Dialog an die Übersetzungen gemacht haben.

Nicht nur friedliches Miteinander

Waren die Gläubigen unterschiedlicher Couleurs damals toleranter als heute?

Die große Gefahr ist, dass man diese Zeit idealisiert. Es gibt auch viele Hindernisse, die diesem Austausch entgegengestanden sind. Vor allem in Spanien gibt es im 12. Jahrhundert massive Judenverfolgungen, sodass viele jüdische Gelehrte auswandern mussten, entweder nach Nordafrika oder nach Südfrankreich. Man sollte den Begriff "Toleranz" in dieser Zeit nicht überstrapazieren. Es gab sehr viele Dinge, die diesem friedlichen Miteinander und diesem friedlichen Austausch entgegengestanden sind.

Welche Art von wissenschaftlichen Abhandlungen wurden damals übersetzt und diskutiert?

Also eigentlich der gesamte Kosmos der wissenschaftlichen Literatur, den man von den Griechen her gekannt hat. Wir haben uns in der Ausstellung auf wenige Themen konzentriert, weil die Österreichische Nationalbibliothek in diesen Bereichen sehr viel zu bieten hat: Das ist einmal die Medizin. Die stand natürlich ganz besonders im Fokus, weil die medizinische Versorgung natürlich ein Anliegen vieler Mäzene gewesen ist. Und das Zweite - auch ein Thema, dass wieder praktisch orientiert war – war die Astronomie. Die war auch für die religiöse Ausrichtung sehr wichtig. Man musste Zeitpunkte festlegen. Wann ein Fastenmonat oder das Pessachfest beginnt, war von astronomischen Gegebenheiten abhängig. Genauso die Berechnung des Osterfestes, aber auch der ganze Bereich der Navigation und der Ortsbestimmung sind durch die Astronomie geklärt worden.

Frühe Zentren der Wissenschaft

Eine besondere Rolle kam im 9. Jahrhundert dem "Haus der Weisheit" in Bagdad zu. Was geschah dort?

Dieses "Haus der Weisheit" war eine Einrichtung, die man wirklich mit einem heutigen Wissenschaftszentrum gleichsetzen kann. Das erstaunliche war, dass es nicht nur eine Bibliothek und Übersetzerschule war, sondern dass sich dort wahrscheinlich auch ein Observatorium und ein Krankenhaus befunden haben. Es war ein sehr breit aufgestelltes Forschungs- und Gelehrtenzentrum.

Niedergang wegen Gewalt und Übersättigung

Wann und warum kam dann der Bruch?

Der Bruch kam aus unterschiedlichen Gründen. Im Hochmittelalter waren es – um bei Bagdad zu bleiben – die Mongolen-Einfälle. Bagdad und das "Haus der Weisheit" sind fast zur Gänze zerstört worden. Die Bibliotheken sind zerstört worden und vieles, was man hier an Wissen angehäuft hat, ist mit einem Schlag verloren gegangen.

Ein aufgeschlagenes Buch  von 1505 über die Mondphasen
Ein Buch von 1505 über die MondphasenBild: Österreichische Nationalbibliothek

Zum anderen kann man schon feststellen, dass im Hochmittelalter, also im 11. und 12. Jahrhundert, dieser Austausch etwas erlahmte. Das hat vielfach damit zu tun, dass die wichtigsten Texte aus den genannten Wissenschaften schon damals in Latein übersetzt waren und damit eine gewisse Übersättigung an Informationen eingetreten ist. Also dieser große Schwung, der im Frühmittelalter eingesetzt hatte, war damit vorbei.

Es geht in der Schau um vier große Schriftkulturen, die hebräische, die griechische, die arabische und die lateinische. Mit welchen Exponaten wollen sie deren Kulturaustausch plastisch machen?

Wir haben die Ausstellung in drei Teile gegliedert und einen einleitenden Teil vorangestellt. Und in diesem Teil wollen wir einmal die materiellen Voraussetzungen dieser Schriftkulturen darlegen. Das bedeutet: Wir zeigen aus allen dieser vier Schriftkulturen wie sich die Schrift entwickelt hat, wie Vereinheitlichungen vorgenommen wurden. Auch, wie sich das Papier als ganz wichtige Voraussetzung, dass sich Schriftlichkeit weiter verbreiten konnte durch die Berührung mit China zuerst im Orient, danach im Okzident verbreitet hat. Es wird auch viel über Übersetzungstechniken berichtet. Viele Übersetzer fertigten zuerst eine Wort-für-Wort-Übersetzung an und in einer zweiten Stufe wurde das dann in eine literarisch verständliche Form gebracht.

Impulse für heute

Auf welche Weise könnte die Begegnung der Kulturen heute vom damaligen interkulturellen Dialog lernen?

Wir haben diese Ausstellung ja 2010 schon einmal in Wien gezeigt. Damals sind wir von vielen Besuchern auf das Thema der Aktualität angesprochen worden. Es ist natürlich schon ein toller Impuls zu sehen, dass es einen Wissensaustausch gegeben hat, auch wenn er nicht durchgehend friedlich und ohne Hemmnisse passiert ist. Das aber so etwas auf einer gewissen Ebene passiert ist, kann einen auch für die Zukunft etwas hoffnungsfroher stimmen. Wir haben gerade in den vergangenen Jahren bemerkt, dass es von der arabischen Welt ein immer stärker werdendes Interesse an ihrer weiter zurückliegenden kulturellen Überlieferung gibt. In der Folge dieser Ausstellung gab es dann relativ viele Kooperationen. Wissenschaftler aus arabischen Staaten sind zu uns gekommen und haben sich diese Handschriften und Texte angesehen. Es ist ein Impuls – vor allem für die arabische Welt – sich mehr mit ihrer Wissenschaftsgeschichte auseinanderzusetzen.

Das Gespräch führte Klaus Krämer

Die Ausstellung "Juden, Christen und Muslime – Im Dialog mit der Wissenschaft 500-1500", ist vom 09.12.2017 – 04.03.2018 im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen.

Der Kurator, Dr. Andreas Fingernagel, ist Leiter der Handschriften-, Autographen- und Nachlass-Sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek und der Sammlung von Handschriften und alten Drucken.