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Antisemitismusdebatte in Deutschland

7. Juni 2002

Zum Konflikt zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dem stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Jürgen Möllemann hören Sie den Gastkommentar von Uwe Knüpfer, Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung

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Steine des Anstoßes: Jamal Karsli und Jürgen MöllemannBild: AP

Deutsche reden sich gern ein, sie lebten in einer ganz normalen westlichen Demokratie. In dieser Woche war zu erleben, dass dem beileibe nicht so ist.

Die Vorgeschichte: Ein Landtagsabgeordneter der Grünen, ein Mann namens Karsli, ein Deutscher syrischer Herkunft, hatte das Vorgehen des israelischen Militärs in den besetzten Gebieten mit "Nazi-Methoden" verglichen und von der Existenz einer "zionistischen Lobby" gesprochen. Herr Karsli fühlte sich bei den Grünen nicht mehr wohl. Herr Möllemann, FDP-Vorsitzender in NRW und Vizechef der Bundes-FDP, bot ihm eine neue politische Heimat bei den Liberalen an. Der Zentralrat der Juden in Deutschland protestierte dagegen. Herr Möllemann beleidigte Herrn Friedmann, einen eitlen Talkmaster, der zugleich stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats ist. Möllemann warf Friedmann sinngemäß vor, durch die Art seines Auftretens antijüdische Ressentiments zu bestärken.

Dies wiederum verglichen Friedmann und viele Kommentatoren mit dem alten, unsäglichen Vorwurf, am Antisemitismus seien die Juden selber Schuld.

Karsli trat nicht in die FDP ein, wohl aber in deren NRW-Landtagsfraktion. Er bedauerte die Form seiner Kritik an Israel. Karsli und Möllemann versicherten, keine Antisemiten zu sein. Die veröffentlichte Meinung widersprach im Chor: Ihr seid es doch! Anschwellender Bocksgesang. Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats, ein ansonsten vernünftiger Mann, rief zu einem "Aufstand der Demokraten" gegen Möllemann auf.

Soweit die Vorgeschichte. In dieser Woche nun sah sich auch Herr Westerwelle, der junge, ungeprüfte FDP-Vorsitzende, heftig kritisiert: er lasse sich von Möllemann auf der Nase herumtanzen. Das meinte er, sich nicht bieten lassen zu können, und stellte Möllemann ein Ultimatum: Du oder ich!

Möllemann gab nach, Karsli trat aus der FDP-Fraktion nun wieder aus.

Welch ein beschämendes Spektakel! Welch ein bestürzend niedriges Niveau der öffentlichen Auseinandersetzung! Welch eine traurig deutsche Debatte! Voller Denk- und Äußerungsverbote, voller Angstmacherei und Zwang, sich zu bekennen. Zur Kameradschaft, in diesem Fall der Kameradschaft der Gutmeinenden.

Wollen wir Parteien, in denen der Vorsitzende regiert wie ein Politbüro? Nein. Wollen wir Politiker, die Machtworte sprechen, statt überzeugend zu wirken? Nein. Wollen wir Politiker, die einstimmen, sobald sie den Chorgesang der veröffentlichten Meinung hören? Nein, nochmals nein.

Es hieß, Möllemann suche Stimmen am rechten Rand des Wählerspektrums. Vielleicht. Aber dort sind zum Glück nicht viele Stimmen zu finden. Jedenfalls nicht genug für eine Volkspartei, wie die FDP sie werden will.

Was sich auftat in dieser Woche, war eine gewaltige Kluft zwischen der veröffentlichten und der öffentlichen Meinung in Deutschland. An Esstischen und in Büros wurde ganz anders diskutiert als in den meisten Feuilletons: besser, offener, rationaler. Die überwiegende Mehrzahl der Bürger, jedenfalls nähren diesen Anschein Leserbriefe, verstand die Debatte als einen Versuch, legitime Kritik an Israel mit der Keule des Antisemitismus-Vorwurfs niederzuknüppeln, und zeigte wenig Verständnis dafür.

Die sich so äußerten, offenbarten sich als Christen und Juden, Sozial- und Christdemokraten.

Die FDP war drauf und dran, solche Menschen als Wähler zu gewinnen. Wie wird Herr Westerwelle sich ärgern, sollte er bemerken, dass er sich verrechnet hat!