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Gegen den Antisemitismus im Stadion

Felix Tamsut
7. September 2021

Die Fußballklubs Borussia Dortmund und Feyenoord Rotterdam bekämpfen gemeinsam den Antisemitismus unter ihren Anhängern. Dabei soll eine unabhängige Fankultur die Lösung sein, nicht das Problem.

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Fußball 1. Bundesliga | 19. Spieltag | SC Freiburg - TSG 1899 Hoffenheim
Bild: Getty Images/Bongarts/C. Kaspar-Bartke

"Juden ins Gas!" 

"Hitler kommt euch holen!" 

"Auschwitz ist euer Zuhause!" 

Deutschland in den 80er-Jahren: Hooligan-Gruppen, damals oft rechtsextremer Gesinnung, skandierten solche Hassgesänge, in denen sie gegnerische Fans nach Auschwitz schicken wollten. In England wurde der Premier-League-Verein Tottenham Hotspur wiederholt angegriffen, weil seine Fans als Yids, das jiddische Wort für Juden, galten. In den Niederlanden ist die Rivalität zwischen dem Rotterdamer Verein Feyenoord und Ajax Amsterdam, dessen Fans sich als "Super Joden" (Superjuden) bezeichnen, zu einer Brutstätte des Antisemitismus geworden. 

Das jüngste Beispiel war der Wechsel von Steven Berghuis, Kapitän von und Fanliebling bei Feyenoord, zum niederländischen Meister Ajax. Auf einem Graffiti in der Stadt trug Berghuis die gestreifte Uniform der KZ-Häftlinge im Holocaust und außerdem einen Gelben Stern. "Juden laufen immer weg", hieß es da. 

"Sie sehen ein Gesicht" 

Steven Burger (35) ist seit dreieinhalb Jahren Fanbeauftragter von Feyenoord. Früher war er Dauerkarteninhaber und Hardcore-Fan. Jetzt ist er einer der Verantwortlichen für das Aufklärungsprogramm des Vereins, das antisemitischen Tendenzen unter den Feyenoord-Fans entgegenwirken soll.  

Der Vereins möchte die Fans zum Nachdenken über ihr Verhalten anregen, anstatt sie nur zu bestrafen. Feyenoord-Anhänger, die bei einer Straftat erwischt werden, führen Gespräche mit in Rotterdam lebenden Holocaust-Überlebenden. Burger erklärte gegenüber der DW, man wolle den Fans die Tragweite ihres Verhaltens klarmachen, die Auswirkungen auf einzelne Menschen, auch auf Anhänger des eigenen Vereins: "Plötzlich geht es nicht mehr um 'die Juden'. Sie sehen ein Gesicht", sagt Berger und nennt es einen "Augenöffner" für viele Teilnehmer. 

Bildungsexperten engagieren sich 

Das Programm von Feyenoord wurde in Zusammenarbeit mit der pädagogischen Abteilung des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam entwickelt. Willem Wagener, der seit 20 Jahren für die Einrichtung arbeitet, sagt, die Entscheidung, sich mit Antisemitismus im niederländischen Fußball zu befassen, sei aus der Erkenntnis heraus entstanden, dass anti-jüdische Gefühle oft über das Stadion hinausgehen. "Ich habe den Antisemitismus an niederländischen Schulen untersucht. Überraschenderweise gaben mehr als 50 Prozent der Lehrer, die von Vorfällen berichteten, an, dass diese mit Fußball zu tun hatten." 

Polen | Konferenz Changing The Chants
Willem Wagener vom Anne-Frank-Haus bei der "Changing The Chants"-Konferenz in PolenBild: Mareen Meyer

Feyenoord und das Anne-Frank-Haus gehörten zu den Initiatoren der Konferenz "Changing the Chants", zu deutsch: "Die Gesänge ändern", die in Oswiecim in Polen stattfand. Die Konferenz bildete den Abschluss eines zweijährigen Projekts zur Bekämpfung von Antisemitismus im europäischen Fußball. 

Neben Podiumsdiskussionen über die Bekämpfung antisemitischer Tendenzen in den europäischen Fußballstadien umfasste die Konferenz auch einen Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz. Die rund 50 Teilnehmer kamen unter anderem aus den Bereichen Sozialarbeit, Bildung und Journalismus. 

Borussia Dortmund: Ein wichtiger Akteur 

Auch ein deutscher Verein spielt eine zentrale Rolle bei der Initiative "Changing The Chants": Borussia Dortmund. Der Bundesligist hatte in der Vergangenheit mit antisemitischen Tendenzen in der eigenen Fangemeinde zu kämpfen. Die Stadt ist zwar eine SPD-Hochburg, aber auch für ihre rechtsextremen Gruppierungen bekannt. Viele Fan- und Ultragruppen des Vereins distanzieren sich bewusst vom Rassismus, wodurch sie oft zur Zielscheibe der rechtsextremen Szene der Stadt werden.

Daniel Lörcher ist der Chef der Abteilung Unternehmensverantwortung des BVB. Er hat das Dortmunder Aufklärungsprogramm in den letzten Jahren federführend geleitet. Das Programm sieht vor, dass Fans, Vereinsmitarbeiter und Mitarbeiter von Sponsoren des BVB ehemalige Konzentrationslager besuchen, wobei der Schwerpunkt auf der Stadt Dortmund und den Juden liegt, die vor dem Holocaust in der Stadt lebten. "Es war für uns interessant zu erfahren, was in diesem Bereich auf europäischer Ebene passiert ist", sagt er und nennt es "den logischen nächsten Schritt" für den Verein. 

Pressebilder Borusia Dortmund | Antisemitismus
Borussia Dortmund engagiert sich schon länger im Kampf gegen AntisemitismusBild: Alexandre Simoes/BVB

Im Unterschied zur Herangehensweise von Feyenoord zielt das Dortmunder Projekt darauf ab, alle Fans zu erreichen, die sich für das Programm interessieren, und nicht nur die mit Stadionverbot. In Zukunft wollen beide Vereine die Ideen des jeweils anderen in ihren Städten umsetzen. 

Unabhängige Fankultur als Schlüssel zum Wandel 

Im Mittelpunkt beider Ansätze steht jedoch die Einsicht, dass die Fans und die unabhängige Fankultur Teil der Lösung und nicht des Problems sind. "Wenn ich als Vertreter von Feyenoord versuchen würde, den Fans etwas aufzuzwingen, würde das nicht funktionieren", sagt Steven Berger von Feyenoord. "Wir wollen ihnen die Verantwortung für das Problem übertragen, ohne mit dem Finger auf sie zu zeigen. 

Wagener stimmt dem zu. "Die einzige Möglichkeit, eine Verhaltensänderung auszulösen, besteht darin, mit den Fußballfans in ihrer eigenen Sprache zu sprechen. Wenn die Fans verstehen, dass sie einige ihrer eigenen Leute verletzen, ist das ein Mechanismus, der sie motivieren kann, sich zu ändern." 

Für Daniel Lörcher, ehemaliges Mitglied einer Ultra-Gruppe von Borussia Dortmund, ist es wichtig, Gespräche zwischen den verschiedenen Teilen der Fanlandschaft des Vereins zu initiieren. "Ohne die Fans im Boot zu haben, würde das alles nicht funktionieren." 

"Ohne Fußball wäre ich nicht hier" 

Welchen Einfluss der Fußball auf den Einzelnen haben kann, zeigt das Beispiel von Fabian, einem 26-jährigen Ultra aus Deutschland. "In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin  sowie in der Schule waren Rassismus und Antisemitismus so gut wie normal", erinnert er sich. "Dagegen gab es kaum Einwände, auch nicht von mir." 

Mit 18 Jahren machte Fabian seine ersten Schritte in der Ultra-Szene seines Vereins. Die linke politische Einstellung seiner Gruppe führte dazu, dass er sich mit den Dingen auseinandersetzen musste, die seine bisherige Sozialisation geprägt hatten. "Ohne Fußball wäre ich bestimmt nicht hier, auf einer Konferenz über Antisemitismus in Auschwitz", sagt er. "Es hat mir die Augen geöffnet. Durch den Einfluss meiner Ultragruppe begann ich zu lernen und darüber nachzudenken, was Rassismus und Antisemitismus bedeuten und was sie den Menschen antun." 

Aus dem Englischen übersetzt von Tobias Oelmaier.